20 Jahre Jena Vision
Internationale Fachkonferenz für Optometrie und Vision Science
Mit der Jena Vision Conference vom 31. Oktober bis 2. November 2025 feierte das Forschungsinstitut Jena Vision sein 20-jähriges Bestehen im ehemaligen Volksbad Jena. Forschende, Lehrende, Studierende sowie zahlreiche internationale Gäste kamen zusammen, um aktuelle Entwicklungen der Optometrie und Vision Science zu diskutieren – und um einen Blick zurück auf zwei Jahrzehnte JenVis-Geschichte zu werfen.
Die Konferenz begann am Freitagabend im Restaurant Scala im Jena Tower mit einem stimmungsvollen Auftakt über den Dächern der Stadt. Bei dieser Welcome Reception trafen sich Key Opinion Leader, Alumni, Partner und Ehrengäste zu einem informellen Einstieg. Vor dem Panorama der erleuchteten Straßen Jenas entstanden bei Cocktails, Getränken und Snacks erste Gespräche mit internationalen und nationalen Referenten – ein Vorgeschmack auf die inhaltliche Dichte des folgenden Tages.

JenVis – aus der Hochschule gewachsen, heute international vernetzt
Gefeiert wurde das Forschungsinstitut JenVis, das vor 20 Jahren von Prof. Wolfgang Sickenberger und Dr. Sebastian Marx gegründet wurde. Beide leiten das Institut auch bis heute. JenVis ist aus der Ernst-Abbe-Hochschule Jena heraus entstanden, agiert jedoch als eigenständiges Forschungsnetzwerk und verbindet dabei die akademische Lehre mit internationaler Vision-Science-Forschung.
Prof. Wolfgang Sickenberger prägt die Hochschule seit vielen Jahren. Mit seiner praxisnahen, klaren und zugleich wissenschaftlich fundierten Lehrhaltung gelingt es ihm immer wieder, Studierende für forschungsorientiertes Arbeiten zu begeistern. Ein Ergebnis dieser Arbeit wurde in Jena eindrucksvoll sichtbar: Die jungen Optometrie-Studierenden der Ernst-Abbe-Hochschule sind es als versierte Redner gewohnt, internationale Kongresse kennenzulernen und wissenschaftliche Diskussionen zu führen. Auch Dr. Sebastian Marx setzt sich seit Jahren für diese enge Verzahnung von Wissenschaft, Studium und internationalem Austausch ein.
Beide brachten im Rahmen der Konferenz humorvolle Rückblicke ein, die das Programm zugleich persönlich und unterhaltsam machten.
Fachprogramm im ehemaligen Volksbad
Das ehemalige Volksbad Jena, eine historische Schwimmhalle, war ein stimmungsvoller Rahmen für diese Jubiläumskonferenz. Wo früher Badegäste schwammen, präsentierten heute internationale Experten aktuelle Forschungsergebnisse, Rückblicke und Fachvorträge – teils auf Deutsch, teils auf Englisch.
Prof. Steffen Teichert, Staatssekretär für Wissenschaft und Kultur des Freistaats Thüringen, hob in seiner Rede die besondere Rolle von JenVis hervor. Er sagte, JenVis habe hier in vorbildlicher Weise Wissenschaft und Innovation verbunden. Zugleich betonte er, dass sich rund um JenVis in den vergangenen zwanzig Jahren eine starke Community entwickelt habe, in der aus sehr jungen Menschen gereifte Fachleute geworden seien, die heute an vielen Schlüsselpositionen Wichtiges leisten. Jena und die Thüringer Wissenschaftslandschaft ordnete er zudem ausdrücklich als herausragenden Standort ein, an dem Spitzenforschung und Innovation in besonderer Dichte zusammentreffen.
Die charmante Moderation des Programms lag in den Händen von Dr. Oliver Kolbe und Johannes Schubart, die auf der Konferenz-Website treffend als „Dream Team der Optometrie“ bezeichnet wurden. Kolbe, ausgebildeter Augenoptiker und späterer Optometrie- und Laser/Optotechnologie-Absolvent, arbeitete mehrere Jahre wissenschaftlich bei JenVis und an der Ernst-Abbe-Hochschule – eine Verbindung, die seine Nähe zum Jenaer Forschungsteam erklärt. Schubart bringt Erfahrungen aus Lehrtätigkeiten an der Ernst-Abbe-Hochschule mit und ist heute im Management von Optiswiss tätig. Gemeinsam führten sie mit viel Witz und guter Dynamik durch das Programm und gestalteten die Übergänge zwischen den Vorträgen äußerst kurzweilig.
Vorträge von Freunden und Wegbegleitern
Nach dem Rückblick von Prof. Wolfgang Sickenberger und Dr. Sebastian Marx, bei dem neben vielen Meilensteinen auch Einblicke hinter die Kulissen gezeigt wurden, ging es weiter zur Keynote von Professor Lyndon Jones (University of Waterloo/CORE), der die neusten Entwicklungen rund um Kontaktlinsenmaterialien, Studienergebnisse und internationale Trends vorstellte.
Im Rahmen ihres Vortrags gaben Prof. Timo Mappes und Prof. Maria Dienerowitz einen aktuellen Einblick in die Weiterentwicklung des Deutschen Optischen Museums. Das Museum befindet sich derzeit in einer umfassenden Modernisierungs- und Neugestaltungsphase, in der wissenschaftshistorische Sammlungen, interaktive Lernstationen und moderne Raumkonzepte zu einem zeitgemäßen Erlebnisort für Optik und Photonik zusammengeführt werden. Der Vortrag zeigte eindrucksvoll, wie das Museum künftig Wissen erlebbar machen und die Bedeutung der Optik für Wissenschaft und Gesellschaft vermitteln will.
Mit Jim Kokkinakis wurde die Bühne wieder international. Er ist Senior Lecturer an der UNSW School of Optometry and Vision Science in Sydney und leitet dort eine renommierte Praxis. In seinem Vortrag „Keine Angst vor Tränen – Lipids and More“ demonstrierte er sehr anschaulich, wie sich Sebum (Hautfett) und Meibum (Lidrand-/Meibomdrüsenlipide) unterscheiden und welchen negativen Einfluss Hautlipide auf den Tränenfilm haben können. Er zeigte, dass sogar geringe Mengen von Haut-Lipid-Verunreinigungen die Stabilität des Tränenfilms stören und zu Reizungen bzw. Schädigungen der Hornhaut führen können — ein Aspekt mit direkter Relevanz für die Diagnostik und Therapie trockener Augen.
Stefan Schwarz zeigte sich erfreut über die vorausgegangenen Beiträge und knüpfte mit einem praxisnahen Überblick zur Presbyopie an. Er erläuterte die physiologischen Ursachen und die Auswirkungen auf das Nahsehen und stellte zentrale Versorgungsoptionen vor – von Lesebrillen über Mehrstärkenkontaktlinsen bis zu pharmakologischen und chirurgischen Ansätzen. Sein Kernpunkt: Es gibt keine Standardlösung, sondern die Wahl hängt von den individuellen Bedürfnissen und Lesegewohnheiten ab. Zugleich betonte er die Bedeutung der Augenoptik als Coach für Früherkennung und lebensstilorientierte Beratung.
Der in unserer Branche bekannte Augenoptiker Bo Lauenborg (Aarhus/Dänemark), zeigte mit seinem Beitrag „Mission Impossible – How can I satisfy my customers?“ Einblicke in seine praxisnahe Arbeitsweise. Nach der Pause folgte ein wissenschaftlicher Block rund um Kontaktlinsen, zu dem Uwe Bischof von Müller Welt, Daddi Fadel aus Waterloo, Kanada und Greg Denayer aus Ohio, USA mit pointierten Fachbeiträgen zu aktuellen klinischen und anwendungsspezifischen Themen beitrugen.
Aus Großbritannien reiste Brian Tompkins an, bekannt für seine lebendigen und humorvollen Präsentationen. Sein diesjähriger Vortrag „Recipe for Contact Lens Success“ verband wissenschaftliche Inhalte mit einer Live-Kochdemo – ein Auftritt, der das Publikum ebenso überraschte wie begeisterte.
Zwischen Rückblick und Zukunft
Ein weiterer Schwerpunkt der Konferenz lag auf der Entwicklung des JenVis-Netzwerks und seiner Bedeutung für Forschung und Karrierewege. So schilderten Dr. Hendrik Walter und Prof. Alex Münz ihre frühen Jahre an der EAH Jena und im JenVis-Umfeld und zeigten, wie stark Projekte, wissenschaftliche Betreuung und die enge Verzahnung von Theorie und Praxis die Vision-Science-Ausbildung in Jena prägen. Sie machten deutlich, warum Jena heute als führender Standort in der Augenoptik und Optometrie gilt und wie das Netzwerk vielen Studierenden als Sprungbrett in internationale Forschungseinrichtungen und spannende Arbeitsfelder dient.
Das war auch sichtbar anhand von Vorträgen der jüngeren Studenten-Generation: Studierende wie Katharina Keller, Hannah Kistner und Lukas Sempf präsentierten beispielhaft in ihren Vorträgen, wie eng Ausbildung, Forschung und Praxis in Jena verzahnt sind.
Ein Abend im Zeiss-Planetarium
Ein emotionaler Höhepunkt war die Abendveranstaltung im Zeiss-Planetarium Jena, dem ältesten noch existierenden Planetarium der Welt. Für die Konferenz wurde die Bestuhlung entfernt und durch Stehtische ersetzt – ein ungewohntes, aber beeindruckendes Bild.
In seiner Begrüßung würdigte der Oberbürgermeister Dr. Thomas Nitzsche die Bedeutung des Forschungsstandortes Jena. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Dr. Reiner Haseloff hob in seiner Video-Ansprache die Rolle der Optometrie im Kontext moderner Gesundheitsforschung hervor. So war das Programm für diesen Abend noch lange nicht vorbei. Zwischen Abendessen, Gesprächen, Rückblicken und einer Fotokulisse für Erinnerungen wurde deutlich, wie breit das Netzwerk aus Wissenschaft, Industrie und Hochschule gewachsen ist.
Ein Blick auf die Lebensspanne des Sehens
Am Sonntag setzten weitere Vorträge das Programm fort – diesmal mit einem thematischen Bogen vom Sehen im Baby- und Kindesalter bis hin zu altersphysiologischen Veränderungen. Den Auftakt dabei machten Prof. Wolfgang Sickenberger und Dr. Sebastian Marx, die zum Sehen von Kindern und Jugendlichen referierten.
Ersterer sprach zunächst über die Weiterbildung und Entwicklung in der Optometrie und Augenoptik. Er merkte kritisch an, dass es viele Ausbildungsabschlüsse mit unterschiedlichen Titeln gibt, was Kunden verwirren könne, welche Spezialisten für welche Bereiche zuständig sind. Ein zentrales Thema ist die Versorgung von Kindern mit Kontaktlinsen, wobei es uneinheitliche Regelungen gibt bzw. Unsicherheit bei Fachleuten bestehen, ab welchem Alter dies erlaubt sei. Studien zeigen, dass Kinder, bereits ab ca. 6 bis 8 Jahren motiviert und compliance-fähig sind, Kontaktlinsen zu tragen, auch wenn die meisten Fälle bei Kindern zwischen 12 und 16 Jahren vorliegen.
Prof. Sickenberger stellte zudem Forschungsarbeiten und Abschlussarbeiten vor, die sich mit Anamnese und Eignung von Kindern für Kontaktlinsen befassen. Dabei sind valide Fragebögen entwickelt worden, um besser einschätzen zu können, ob und ab wann Kinder Kontaktlinsen gut tragen können. Auffallend ist auch, dass in der Praxis die Compliance bei Kindern oft besser ist als bei Erwachsenen.
Er beschrieb den Austausch in der Augenoptiker- und Wissenschaftsgemeinschaft als sehr wertvoll, um Wissen weiterzugeben und interdisziplinär zusammenzuarbeiten, z.B. auch mit Augenärzten. Ganz klar: Der Berufsstand ist nicht nur wichtig, sondern auch erfüllend.
Thomas Harnisch, Geschäftspartner von Dr. Sebastian Marx (Jenalens) stellte anschließend sehr anschauliche Fälle aus seiner Praxis vor, die für die Anwesenden auch aufgrund der nicht ganz alltäglichen Beispiele wertvolle Einblicke boten.
In seinem Fallbericht zeigte Prof. Philipp Hessler von der EAH Jena, wie komplex Entscheidungswege im Myopie-Management sein können. Neben seiner Arbeit an der Hochschule ist er weiterhin in der Praxis tätig. Anhand auffälliger Axiallängenentwicklungen erläuterte er, wie Perzentilgrenzen, Überrefraktion und reales Augenwachstum in die Linsenanpassung einfließen und welche Bedeutung eine konsequente Erfolgskontrolle sowie die Berücksichtigung praktischer Einflussfaktoren im Alltag der jungen Betroffenen haben.
Die Sportoptometristin Monique Bretschneider präsentierte einen eindrucksvollen Fall aus dem Fußball. Sie zeigte, wie visuelle Wahrnehmungsanalysen und gezieltes Visualtraining die Leistungsfähigkeit eines jungen Spielers deutlich verbessern konnten. Durch die enge Zusammenarbeit von Optometrie und Training entstand ein klar nachweisbarer Leistungszuwachs, der das Potenzial visueller Interventionen im Sport unterstreicht.
In einem Doppelvortrag von Prof. Hans-Jürgen Grein von der TH Lübeck und Fielmann Akademie, Plön und Prof. Kathleen S. Kunert, Regiomed Rehaklinik Masserberg, ging es um die Thematik: Sehen im Alter (und all ihren Begleiterscheinungen). Zunächst gab es aber einen kurzen Ausflug in die Zeit, als Prof. Grein noch selbst von 2001 bis 2007 an der EAH Jena tätig war und wie damals der Einstellungsprozess von Prof. Wolfgang Sickenberger aussah. Diese Anekdoten machten die Veranstaltung neben den herausragenden fachlichen Schwerpunkten zu einem sehr persönlichen und nahbaren Ereignis.
Weiter ging es mit Prof. Hakan Kaymak (MVZ Breyer Kaymak Klabe, Düsseldorf). Der Vortrag zeigte, dass Glaskörpertrübungen keine bloße Alterserscheinung sind, sondern insbesondere bei jungen Myopen klinisch relevante Vitreopathien darstellen. Anhand anatomischer und optischer Erkenntnisse sowie eines strukturierten Diagnosepfads wurden Therapieoptionen diskutiert – von niedrig dosiertem Atropin über die YAG-Vitreolyse bis zur minimalinvasiven Core-Vitrektomie als effektiver, schonender Behandlungsansatz.
Die beiden Schweizer Optometristen Claudio Jaeger und Frank Rosskopf zeigten u.a. anhand eines eindrucksvollen Langzeitfalls, wie sich Dry-Eye-Management in der optometrischen Praxis strukturiert umsetzen lässt. Die detaillierte Verlaufsgeschichte einer schweren MGD verdeutlichte den Bedarf an engmaschiger Betreuung – von Sekretextraktion über Wärmetherapien bis zu wiederholten Interventionen – und zeigte zugleich die praktischen Anforderungen, wenn diese Versorgung im eigenen Geschäft etabliert werden soll.
Als letzter Vortrag vor den abschließenden Grußworten präsentierte Dr. Karsten Klabe, leitender Operateur der Breyer-Kaymak-Klabe Augenchirurgie in Düsseldorf einen kompakten Überblick über den aktuellen Stand der Presbyopiekorrektur mit Intraokularlinsen. Er erläuterte Unterschiede zwischen multifokalen, trifokalen und EDOF-IOL, Funktionsprinzipien, OP-Techniken sowie klinische Ergebnisse. Auch Herausforderungen wie Dysphotopsien und Kontrastverlust sowie neue technologische Entwicklungen wurden kritisch diskutiert.
Die Jena Vision Conference 2025 machte deutlich: Forschung lebt von Menschen. Und in Jena sind es Persönlichkeiten wie Prof. Wolfgang Sickenberger und Dr. Sebastian Marx, die ein Umfeld geschaffen haben, in dem dies nicht nur möglich, sondern selbstverständlich ist. Ihre Arbeit hat eine Kultur geprägt, in der wissenschaftliche Neugier und gegenseitige Wertschätzung zu einem besonderen Spirit verschmelzen, der das Institut seit zwei Jahrzehnten trägt – und es auch in Zukunft voranbringen wird.























