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Das Ende einer Ehe

Bild: dimasobko/stock.adobe.com

Alles hatte so gut angefangen. Da hing der Himmel noch voller Geigen. Die Beziehung war noch jung und man blickte in eine gemeinsame, strahlende und hoffnungsvolle Zukunft. Alles wollte man sich teilen. Einfach alles. Quasi Fifty-Fifty machen, mit einem Brillenangebot, das ­unwiderstehlich ist. 

Der eine, nennen wir ihn Bert, schaffte die Sehtests ran, kümmerte sich mit greller Werbung um den stetigen Nachschub neuer Kunden. Mit preiswerten Brillen, bei denen die Kunden nicht nein sagen können, würde er einziehen. Der andere, nennen wir ihn Ernie, machte die Arbeit vor Ort. Er lieferte einen Teil seiner Verkaufsfläche, seine Werkzeuge, seine Zeit, sein Personal und sein Know-how. So war sein Terminkalender stets voll – und weit und breit (Gebietsschutz, versteht sich ja von selbst) gab es keinen Kollegen, der ein ähnliches Konzept hatte. Seine Kunden reisten oft von weit her an, um einen Sehtest samt Kauf einer Brille aus dem sagenhaften Angebot bei ihm zu machen. Berts Werbung bespielte die Kunden flächendeckend in ganz Deutschland. Das Lächeln war bei Ernie und Bert breit, denn dieses Ehekonzept bezahlte die Rechnungen. Ohne Ehevertrag versteht sich … ein Commitment reiche doch völlig aus, hatte Bert gesagt.

Ernie hatte mit seinem Geschäft eine ideale Position: 1a-Lage, Traditionsunternehmen, Stammkunden in dritter Generation – und auch Platz für Berts Zusatzangebot. Bert hatte vorher mit mäßigem Erfolg Brillen im Netz angeboten, bis ihm plötzlich klar wurde: das geht ja gar nicht. Ohne Optiker vor Ort will die Dinger niemand haben. Zumindest nicht im großen Stil. Also, Rolle rückwärts und vom Angebot im Netz will er nie etwas gehört haben. Er brauchte einen Ernie, der mit ihm gemeinsame Sache machte. Besonders seine Sehtests brauchte er wie ein Junkie sein Meth. 

So lief es über Jahre, doch das Feuer der ersten Liebe kühlte nach und nach ab. Denn Bert hatte viele Eisen im Feuer. Zu viele für Ernies Geschmack. Der Gebietsschutz (der gar keiner war) löste sich auf und plötzlich hatte Ernie in fast jeder Nachbarstadt die neuen Partner von Bert vor der Nase. Es dauerte nicht lang, da gab es den ersten Partner von Bert in seiner Stadt. Berts Methoden, die Kunden ranzukarren waren immer noch sehr erfolgreich, wenn auch Ernie dafür häufiger als früher duschen musste. Egal, die Bert-Kunden kamen und füllten manche Lücke im Terminkalender. 

Irgendwann wurde der Ton zwischen beiden frostig. Ernie fand, die Partnerschaft verschob sich mehr und mehr in eine Schieflage. Spurte Ernie nicht, wurde Bert pampig. Außerdem, sagte Bert, schaffe er hier schließlich die ganzen Kunden ran, da müsse Ernie ja schon mal was mehr tun! 

Aus 50/50 wurde 75/25 – natürlich für Bert. Doch das war Bert nicht genug: Ernie sollte nun auch seine Brillengläser für seine alten Stammkunden nicht mehr bei Ernies altem Freund Randolf bestellen – sondern auch bei Bert! Das fand Ernie doof, denn er hatte bei seinem Freund von früher schon seit 30 Jahren bestellt und noch was „nebenbei am Laufen“, denn seine Fassungen kamen auch von Randolf und das eine oder andere Gerät bekam er auch von ihm. Und weil er bisher immer seine Gläser dort bestellt hatte, sogar mit einer günstigen Finanzierung. 

So sollte Ernie ab jetzt eine Gebühr zahlen, wenn er nicht Berts Gläser abnahm. Berts Geschäftssystem wuchs und wuchs, und er wurde gieriger und gieriger. Ernie sollte ab nun auch seinen Stammkunden nur noch Brillen von Bert aufsetzen. Das ging Ernie aber zu weit!

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Wenn Ernie morgens die Nachrichten checkte, sah er Berts Werbung auf allen Kanälen. Bert schöpfte alle Möglichkeiten am Rande des guten Geschmacks aus, um Kunden anzulocken. Diese Kunden waren meist vom Billig-Kaliber, kamen oft mit lächerlichen Reklamationen zurück und beschwerten sich laut. Ganz anders als Berts Stammkunden. Denn diese gab es ja auch noch. Diese waren treu, griffen für eine schicke Brille gern tiefer in die Tasche und kannten Chef und Mitarbeiter oft schon von Kindesbeinen an. 

Die Beziehung bekam tiefe Risse. Bert drohte, mit einem neuen, besseren Ernie zusammenzuarbeiten. Und irgendwann zwischen DSGVO und Corona-Pandemie hat sich Bert gedacht: „Was brauch ich die Ernie-Typen überhaupt?“ So machte Bert jetzt nebenbei auch seine eigenen Geschäfte auf, wenn auch mit minimaler Personalbesetzung, denn gute Optiker sind so rar wie rosa Einhörner. Ernies Kunden waren verwirrt: Hinter seinem Rücken wurden sie von Bert angeschrieben. Sie sollten doch lieber gleich zu ihm in sein neues Geschäft kommen. Da sei es auch schön.

Am Ende bekam Ernie für den Verkauf von 25 kompletten Brillen 50 € von Bert. Das heißt im Klartext: 25-mal Beratung, 25-mal Refraktion, 25-mal Anpassung und 25-mal Abgabe.
50 €. Nein nicht pro Brille. 50 € für 25 Brillen zusammen. Damit war für Ernie Schluss!

Falls Sie sich schon immer gefragt haben, wie man eine komplette Brille für unter 10 € verkaufen kann. Ganz einfach: Indem man einen Ernie findet, der unter solchen Bedingungen deutlich unter dem Mindestlohn arbeitet. Als Optiker.

Rechnen Sie sich das mal aus. Dazu brauchen Sie keinen Taschenrechner.

Heute gehen Bert und Ernie getrennte Wege. Ab und zu kommt mal einer von Berts alten Kunden rein – und legt, ohne mit der Wimper zu zucken, ein paar Hunderter für eine schicke Gleitsichtbrille auf den Tisch und fragt: Bert … wer?

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