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Kreislaufwirtschaft: „Es gibt keinen Abfall, es gibt nur Rohstoffe!“

Bild: Getty Images

Ein Interview über Kreislaufwirtschaft mit Alexander Maak

Alte Maschinen, Fassungen, Schleifreste oder Verpackungen sind in den Augen vieler Unternehmen Abfall. Alexander Maak hingegen sieht in ihnen wertvolle Rohstoffe, denn der Managing Director von Interzero ist Experte im Bereich Kreislaufwirtschaft. Ein Konzept, das Unternehmen die einzigartige Chance bietet, sich einerseits Rohstoffe zu sichern und andererseits einen Unique Selling Point (USP) zu haben – und das alles im Sinne der Nachhaltigkeit.

FOCUS: Herr Maak, Sie sagen, es gibt keinen Abfall, es gibt nur Rohstoffe. Was genau meinen Sie damit?

Maak: Ganz einfach – die Welt muss Kreisläufe schließen lernen. Wir verbrauchen extrem viele Rohstoffe der Erde. Wir hatten dieses Jahr bereits am zweiten August den Earth Overshoot Day, das ist der Tag, an dem wir rein rechnerisch alle Rohstoffe der Erde für dieses Jahr verbraucht haben. Seit dem Tag leben wir auf Pump zukünftiger Generationen. Davon müssen wir wegkommen.

Das bedeutet, nicht alles wegwerfen, sondern aus dem, was für viele Leute Abfall ist, wieder Rohstoffe zu machen und sie zirkulär zurück in die Produktion zu führen, um neue Produkte daraus zu machen. Damit wir Primärrohstoffe und die Ressourcen der Erde schonen.

FOCUS: Das ist gut im Sinne der Nachhaltigkeit. Doch was hat ein Unternehmen davon, in die Kreislaufwirtschaft einzu­steigen?

Maak: Da gibt es viele Aspekte. Ich halte nichts davon, wenn Nachhaltigkeit viel Geld kostet, sondern letztlich kann man Nachhaltigkeit und positive Business-Cases miteinander verbinden. Es muss sich lohnen, und zwar nicht auf der Marketingebene, sondern auch direkt finanziell.

Zum Beispiel wenn man Rohstoffe oder Abfälle so gut aufarbeitet, dass sie wieder zum Rohstoff für die eigene Produktion­ werden. Dann sieht man zwei Effekte: Man kann bei dem Einkauf der Rohstoffe Geld sparen und man hat Zugriff auf die Rohstoffe.

Viele Rohstoffe sind durch lange Lieferketten oder Störungen nicht immer einfach zu bekommen. Oder man hängt von den Kapazitäten ab, von Zulieferern und vielem mehr.

Mit der Kreislaufführung von eigenen Abfällen, die wieder Rohstoffe werden, sichert man sich unmittelbaren Zugriff auf Rohstoffe. Das muss nicht teuer sein, sondern kann einen positiven Effekt haben.

FOCUS: Ist das in den meisten Branchen ein realistisches ­Szenario?

Maak: Ja, das ist es! Irgendwie geht es in jeder Branche. Die Frage ist, wie tiefgreifend es angegangen wird. Schaut man beispielsweise auf die Recycling-Pyramide (Abb. 1), wäre das erste Szenario „Vermeiden“. Das ist in der Brillenindustrie schlecht möglich, weil der Verbraucher eine Brille braucht. Es ist also ein Produkt, das man nicht vermeiden kann.

Alexander Maak. Bild: Interzero
Alexander Maak. Bild: Interzero

FOCUS: Man könnte beispielsweise die Fassung weiterverwenden und nur die Gläser austauschen.

Maak: Genau, dann wären wir aber schon bei den nächsten Szenarien weiter unten. Bei „Vorbereitung zur Wiederverwendung“ und „Recycling“. Es kann auch ein USP sein etwas aufzuarbeiten, sodass es Neuwertcharakter hat, und es entweder in dem gleichen Markt oder auch in Drittmärkten, wo man vielleicht einen neuen Footprint haben möchte, einzubringen.

Da gibt es verschiedenste Denkanstöße. Das fängt an bei dem Design: Welches Basismaterial nimmt man? Gibt es Ersatzmaterial? Wie gut kann man das Material wieder im Kreislauf führen – also wieder aufarbeiten, sodass es Neuwertcharakter hat. Wie hole ich es aus dem Markt zurück? Gibt es Sammelsysteme? Hat man beispielsweise Boxen beim Augenoptiker, um Brillen zurückzubekommen? Und was kann man damit machen? Welche Drittmärkte gibt es? Oder nutzt man sie für einen guten Zweck? Es gibt ja durchaus Menschen, die sich keine Brillen leisten können. Da kann auch das Thema Social Responsibility betrachtet werden – auch das gehört zur Nachhaltigkeit dazu.

Oder man sammelt alte Fassungen, Brillengläser oder Abschnittsreste, die man zurück an den Kunststoff-Produzenten bringt, um dann neue Rohware zu produzieren, damit es beispielsweise wieder als Granulat an die Industrie geht, um neue Fassungen herzustellen.

FOCUS: In der Industrie fallen ja auch viele Schleifreste an. Können diese Ihrer Einschätzung nach recycelt werden? Und falls ja, welche Voraussetzungen müssten dafür erfüllt werden?

Maak: Grundsätzlich können Schleifreste wiederverwendet werden. Sie werden dann an den eigentlichen Materialhersteller gegeben und der kann sie wieder in die Produktion einfließen lassen. Die Voraussetzungen sind, dass man sie zurückbekommen muss. Das heißt, es muss in irgendeiner Form ein sauberes Sammelsystem existieren. Es muss auch detektierbar sein, damit die Kunststoffarten nicht gemischt werden. Das geht beispielsweise über Nahinfrarot Scanner. So werden beispielsweise auch circa 830.000 Tonnen Gelber Sack jedes Jahr von Interzero in Deutschland nach Fraktionen wie Polyethylen und Polypropylen, Styropor usw. sortiert.

FOCUS: Allerdings werden bei den Glasherstellern oft auf einer Maschine verschiedene Brillenglasmaterialien bearbeitet, die Schleifabfälle sind dementsprechend gemischt.

Maak: Das ist tatsächlich schon schwieriger. Es gibt auch hier Trennverfahren, beispielsweise das Schwimm/Sink-Verfahren. Ob das Sinn macht, muss dann im Einzelfall allerdings im Labor von einem Chemiker getestet werden.

Ist eine Trennung nicht sinnvoll, dann muss man im schlimmsten Fall überlegen, was macht man damit? Wegwerfen oder verbrennen ist meiner Meinung nach keine Option!

Wie kann man also beispielsweise ein anderes Produkt daraus machen, bei dem die Mischung nicht schlimm ist? Das wäre dann zwar eine Form von Downcycling und nicht optimal, aber immer noch besser als die thermische Verwertung.

FOCUS: Es gibt inzwischen Brillenglashersteller, die Biokunststoffe im Angebot haben. Was halten Sie von solchen Produkten?

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Maak: Es gibt zwei Arten von Biokunststoffen. Einerseits gibt es kompostierbare Biokunststoffe. Das macht aktuell keinen Sinn, weil es keine Kompostieranlage gibt, die das mit verwerten kann. Das ist höchstens in ferner Zukunft interessant, wenn ein sinnvolles System etabliert wäre.

Ein Biokunststoff aus nachwachsenden Rohstoffen wie Rapsöl oder Ähnlichem kann sinnvoll sein, weil er die gleichen Charaktereigenschaften hat wie der eigentliche Kunststoff.

Die Betrachtung ist allerdings sehr individuell. Da müsste man die benötigte Landwirtschaftsfläche anschauen und vieles mehr. Es kann aber durchaus ein positiver Effekt auf die CO2-Bilanz resultieren.

FOCUS: Angenommen ein Brillenglashersteller möchte neu in die Kreislaufwirtschaft einsteigen, was wäre der erste Schritt?

Maak: Der erste Schritt wäre sich mit uns zusammenzusetzen und die technischen Gegebenheiten, Lieferanten und Kundensituationen zu besprechen: Wie bekommt man welches Material zurück und was ist das Ziel? Dann würden wir als Umweltdienstleister verschiedene Wege aufzeigen und auch tatsächlich die Umsetzung mit begleiten. Im Vergleich zu anderen Anbietern lassen wir niemanden bei der Umsetzung alleine.

Ein ganz wichtiger Aspekt generell ist, dass es keiner alleine hinbekommen wird, eine Kreislaufwirtschaft einzuführen. Das funktioniert nur über Partnerschaften. Wer muss also dabei sein? Im Prinzip der Kunststoffhersteller. Derjenige, der die Blanks herstellt. Derjenige, der die Brillengläser daraus schleift und letztlich der Augenoptiker, wenn man es zurückhaben möchte. Und es braucht natürlich die Recyclingkette, um den Loop zu schließen, jemanden, der das alles koordiniert.

Das ist es, was wir bei Interzero machen. Wir koordinieren die verschiedenen Logistikströme, Verarbeitungsströme, die Rückholung, die rechtlichen Aspekte – Abfallrecht ist beispielsweise auch nicht immer einfach. Wir bringen also alle Partner zusammen und bilden den Systemkopf.

FOCUS: Wie können Unternehmen motiviert werden, in die Kreislaufwirtschaft einzusteigen?

Maak: Ein extremer Ansatz ist eine Regulierung durch den Gesetzgeber. Beispielsweise wenn vorgegeben würde, dass Brillen den Anteil x Recyclingmaterial enthalten müssen. Das wird beispielsweise bei Autos gerade diskutiert. Bei Brillen – also Medizinprodukten – ist dieses Szenario allerdings unrealistischer.

Es gibt aber beispielweise Kunststoffabgaben für schwer ­recycelbare Kunststoffe in der EU. Das bedeutet irgendwann, wenn man Kunststoff nicht im Kreislauf führt, hat man ein teureres Produkt. Das wäre dann also eine monetäre, regulierungsgetriebene Motivation.

Viel wichtiger und eleganter finde ich es allerdings, wenn ein Unternehmen einen USP schafft, wenn es nachhaltig wird und klimaneutral. Das ist ja mittlerweile auch bei den meisten Verbrauchern angekommen.

Zum Dritten glaube ich, dass Wichtige ist der Zugriff auf den Rohstoff. Dass man sich rechtzeitig Zugriff auf den Rohstoff sichert und einen Kreislauf etabliert. Heute spricht beispielsweise jeder über E-Autos. Da sind Kobalt und Nickel drin. Das kommt aus dem Kongo, Afghanistan oder Russland, das sind keine zuverlässigen Lieferketten. Wenn man also die Batterien im Kreislauf führen kann, ist das ein echter strategischer Vorteil.

Bei Brillen haben wir wiederum keine einfachen, sondern sehr technische Kunststoffe, die relativ teuer sind. Und je hochwertiger ein Produkt ist, desto einfacher ist es daraus posi­tive Business-Skills zu bekommen.

FOCUS: Wo sehen Sie in der Brillenindustrie das größte ­Potenzial?

Maak: Da gibt es ganz unterschiedliche Punkte. Man kann schon bei der Verpackung anfangen und Demoscheiben würde ich da auch als Teil der Verpackung sehen. Wie kommt alles zum Augenoptiker? In welchen Verpackungsgrößen? Wie viel wirft der Augenoptiker von der eigentlichen Sekundärverpackung weg? Kann man das auch wiederverwertbar machen?

Einige Augenoptiker haben beispielsweise wiederverwendbare Kartons eingeführt. Auch zwischen Augenoptikern, Glasherstellern und Fassungslieferanten könnten Mehrwegverpackungen Sinn machen. Dazu braucht es dann aber einen Branchenstandard.

FOCUS: Kommen wir zur letzten Frage: Was motiviert Sie, ganz persönlich, jeden Tag zur Arbeit zu gehen?

Maak: Das ist relativ einfach. Ich habe vorhin den Earth Overshoot Day genannt. Wir als Unternehmen haben es geschafft, diesen errechneten Tag um sieben Minuten und 16 Sekunden nach hinten zu schieben – und zwar global. Das hört sich vielleicht erst einmal wenig an, aber bei unserer Unternehmensgröße von rund 2.000 Mitarbeitern – verglichen mit all den Unternehmen, die es auf der Welt gibt – ist das schon eine Leistung. Es motiviert mich also etwas Gutes zu tun. Ich versuche, meinen Kindern eine bessere Welt zu hinterlassen mit dem, was ich tue.

Vor Kurzem habe ich an einer Grundschule einen Vortrag vor 6- und 7-Jährigen gehalten. Das war unglaublich toll. Die haben es verstanden und das ist einfach schön.

FOCUS: Vielen Dank für das Gespräch.

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