|

Gute Prognosen trotz teilweise schlechtem Konsumklima

Bild: Creation Art / Adobe Stock

Konsumforscher Roland Lorek über die Augenoptik in Europa

Die aktuellen weltweiten Krisen beeinflussen auch die Augenoptik. Einzelne Brillenglashersteller verlagern Produktionen, beispielsweise von Deutschland nach Tschechien. Die Konsumstimmung könnte besser sein, und es gibt erste Indizien, dass die Zahl der jungen, gelegentlichen Brillenträger zurückgeht. Doch wie genau wirkt sich das alles auf die Augenoptik in Europa aus? Die aktuellen Zahlen hierzu kennt Roland Lorek, Analyst vom Marktforschungsinstitut NielsenIQ und GfK. FOCUS hat mit ihm über die Preisentwicklung bei Brillen, Trends und Auswirkungen der Krisen gesprochen.

FOCUS: Die aktuellen Zollkonflikte, Inflation und Kriege bewegen Menschen auf der ganzen Welt. Wie würden Sie das aktuelle Konsumklima in Europa zusammenfassen?

Lorek: Insgesamt hat sich das europäische Konsumklima nach den Schockwellen durch Corona sowie anschließend durch den Ukraine-Krieg und die Inflation wieder normalisiert. Es befindet sich aktuell auf einem, wie ich es bezeichnen würde, neutralen Niveau – allerdings ist das Level noch deutlich unter dem Vor-Pandemie-Niveau.

Die Verbraucher blicken aktuell kritisch auf die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung, die Kaufbereitschaft bleibt gedämpft und die Inflationserwartung erhöht. Dennoch ist es nicht mehr so pessimistisch, wie es war, als diese Krisen ausgebrochen sind. Obwohl die Themen, beispielsweise der Ukraine-Krieg, durchaus weiterhin aktuell sind. Aber die Menschen scheinen sich daran zu gewöhnen.

Das war jetzt der europäische Schnitt, wobei das Konsumklima innerhalb Europas sehr variiert. In Deutschland beispielsweise ist es sehr pessimistisch und gedämpfter als im Durchschnitt Europas­. Die Deutschen sind immer noch sehr verunsichert und versuchen, ihr Geld beisammenzuhalten. Den tiefsten Stand im Konsumklima in Deutschland gab es allerdings während der Ukraine- und Gas-Krise, als die Deutschen Angst hatten, dass ihnen das Gas zum Heizen ausgeht. Hier spiegeln sich auch Themen wie die Unzufriedenheit mit der damaligen Regierung wider.

Die Stimmung passt im Übrigen auch zu den Wachstumsraten der Bruttoinlandsprodukte. Auch hier liegt Deutschland im europäischen Vergleich weit hinten. 

FOCUS: In Deutschland haben sich gleich mehrere Brillenglashersteller von Deutschland als Produktionsstandort verabschiedet. Findet sich hierfür eine Erklärung, wenn man die NIQ-Marktdaten betrachtet?

Lorek: In unseren Zahlen sehen wir, dass die Konsumenten in Deutschland aktuell zurückhaltend sind, mehr Geld für die Brillenoptik auszugeben. Das Absatzwachstum ist sehr dünn und die Umsätze wachsen nur leicht über den Inflationsraten. Es gibt sozusagen keinen Wachstumswind. In diesem Umfeld, kombiniert mit steigenden Finanzierungskosten in den letzten Jahren, steigt der Kostendruck in der augenoptischen Industrie. Die hohen Arbeits- und Energiekosten in Deutschland sowie die Perspektive, dass diese in Zukunft noch weiter steigen könnten, führen dazu, dass Investitionsentscheidungen aktuell eher zu Gunsten anderer Produktionsstandorte getroffen werden. Diese Entwicklung betrifft allerdings nicht nur die augenoptische Industrie und leider zeigt sich aktuell kein Trend dahingehend, dass sich das deutlich verbessern könnte. 

FOCUS: Laut der Allensbach-Studie ist die Anzahl der Brillenträger in Deutschland seit langer Zeit erstmalig gesunken. Gibt es diese Entwicklung auch in anderen Ländern?

Lorek: Unsere Daten lassen diesen Schluss nicht zu. In unseren Zahlen wachsen die Absätze von Brillenfassungen bzw. Brillengläsern in den anderen EU-Ländern stärker als in Deutschland. Das spricht dafür, dass die Zahl der Brillenträger in den anderen von uns beobachteten Märkten zumindest konstant bleibt, wenn nicht sogar zunimmt.

Was die Allensbach-Studie angeht, wäre ich noch vorsichtig mit der Interpretation. Da sollte man abwarten, was die nächsten Befragungen zeigen. Vielleicht handelt es sich auch um ein einmaliges Phänomen. Ein Trend lässt sich hieraus zumindest noch nicht ableiten.

FOCUS: Welche Folgen könnte der neue Zollkonflikt für die in Europa ansässige Brillenindustrie haben?

Lorek: Das ist für mich aktuell noch schwer einzuschätzen, da die Verhandlungen sehr bewegt erscheinen, man hört fast täglich von neuen Entwicklungen. Sollte am Ende ein neues System bestehen bleiben, in dem sich die großen Regionen der Welt gegenseitig höher bezollen, würde ich von negativen Effekten ausgehen.

Die höheren Preise würden vermutlich dazu führen, dass die Verbraucher im Durchschnitt Abstriche bei der Produktqualität bzw. beim Design machen – also zu günstigeren Produkten greifen. Hiervon würde ich zumindest kurzfristig negative Effekte auf die Margenentwicklung der Industrie erwarten. Der bisherige Verlauf der globalen Zollverhandlungen gibt aus meiner Sicht aber Grund zur Hoffnung, dass sich eine bessere Lösung einstellt. Hier muss man abwarten, was am Ende herauskommt.

FOCUS: Wie hat sich der Umsatz bezogen auf Brillengläser in Europa entwickelt? 

Lorek: Im Schnitt sind die Umsätze in den EU4-Ländern (Deutschland, Spanien, Italien und Frankreich) in 2024 um 5% gewachsen, während die abgesetzten Mengen nur um circa 1% angestiegen sind. 

Wenn man sich den Pro-Kopf-Umsatz anschaut, also den Durchschnittspreis für zwei Brillengläser + Fassung, so lag dieser 2024 im Schnitt bei 365 € und damit 4% höher als noch 2023.

FOCUS: Welche Trends, insbesondere bei Brillengläsern, ­sehen Sie aktuell?

Lorek: In den vier europäischen Kernmärkten, die wir beobachten, zeigen sich aktuell stagnierende Absätze für monofokale Brillengläser, während Gleitsicht im Volumen wächst. Diese Veränderung im Produktmix führt zu steigenden Durchschnittspreisen für Brillengläser insgesamt. Dies in Kombination mit inflationsbedingten Preisanhebungen führt zu ordentlichen Umsatzzuwächsen, die deutlich über die moderate Steigerung der Absatzvolumina hinausgehen.

Ein weiterer Trend ist die voranschreitende Marktdurchdringung von Brillengläsern zur Verlangsamung sich entwickelnder Kurzsichtigkeit bei Kindern, die sogenannten Myopie-Management-Gläser. Bei diesen speziellen Brillengläsern sehen wir in Europa in den vergangenen Jahren sehr starkes Wachstum, allerdings auf noch insgesamt niedrigen Absatzvolumina. 

Medial erlangt das Thema aktuell ja extrem viel Aufmerksamkeit und eventuell muss der Markt hier noch hereinwachsen.

FOCUS: Können Sie eine Prognose abgeben, wie sich der europäische Brillenmarkt in naher Zukunft entwickeln wird?

Lorek: Der Brillenmarkt Europa ist in unseren Zahlen im Umsatz seit 2018 jedes Jahr zwischen 1% und 6% gewachsen. Ausreißer waren nur die beiden Corona-Jahre (mit -13% bzw. +19%). Das Medianalter in Europa liegt aktuell bei etwa 45 und steigt langsam aber stetig an, das passt genau zu den steigenden Absatzzahlen bei Gleitsichtbrillen.

Das wiederum bedeutet, dass die Anzahl der in Europa lebenden, alterssichtigen Menschen ebenfalls tendenziell weiter steigen wird. Durch die zunehmende Smartphone-Nutzung dürften die Fehlsichtigkeiten bei jungen Menschen nach aktuellem Kenntnisstand ebenfalls tendenziell zunehmen.  In diesem Umfeld gehe ich davon aus, dass der europäische Brillenmarkt auch in den kommenden Jahren in Volumen und Umsatz real wachsen wird.

FOCUS: Wie interessiert zeigen sich die Verbraucher an ­Onlinekäufen von Brillen und Kontaktlinsen?

Lorek: Bei den Kontaktlinsen setzt sich der Online- bzw. der Abokauf von Linsen immer weiter durch. Die Treiber dahinter sind oft günstige Online-Preise kombiniert mit der Bequemlichkeit der Lieferung. Auch in der Brillenoptik gehen wir von einem überdurchschnittlichen Wachstum der Online-Käufe aus, allerdings auf einem deutlich niedrigeren Niveau.

Bei den Kontaktlinsen liegt der Online-Anteil am Umsatz in Deutschland beispielsweise schon bei circa 50%. Argumente für den Onlinekauf sind die günstigen Preise und die bequeme Lieferung.

In der Brillenoptik gehe ich von einem Umsatzanteil im mittleren einstelligen Prozentbereich aus. Hier sind wir weit weg vom Wachstum der Kontaktlinsen. Das könnte u.a. daran liegen, dass die Refraktion noch vor Ort durchgeführt werden muss.

Aber mit dem Eintritt von Amazon Optics auf den deutschen Markt bleibt es spannend, ob solch ein Konzern es schafft, den Durchbruch zu erzielen. 

FOCUS: Erheben Sie Daten von Verkäufen von smarten Brillen, beispielsweise der Ray-Ban Meta? Falls ja, was sind die Ergebnisse? 

Lorek: Bisher fokussieren wir uns bei der Messung der Brillenmärkte auf den Optikerfachhandel. In diesem spielen die smarten Brillen bisher eine sehr kleine Rolle. Vermutlich werden diese Brillen aber stark online bzw. in Elektronikmärkten gekauft. Für die Brillenoptik beobachten wir diese Kanäle bislang nur sehr eingeschränkt, insofern kann ich hier keine fundierte Einschätzung abgeben.

FOCUS: Wir sehen aktuell Tendenzen, dass die zwei Branchen Augenoptik und Hörakustik immer mehr zusammenwachsen. Einerseits durch Filialisten, die beides bedienen, aber auch durch neue Produkte wie die EssilorLuxottica-Hörbrille. Beobachten Sie dies ebenfalls? Falls ja, wo sehen Sie die Gründe hierfür?

Lorek: Die Hörgeräte beobachten wir aktuell nur in Deutschland und dort sehen wir die beschriebene Entwicklung natürlich ebenfalls. Mit der alternden Bevölkerung nähern sich die Kundengruppen für Hörgeräte und Gleitsichtbrillen immer weiter an. Dieser Effekt wird sich über die kommenden Jahrzehnte verstärken. Zusätzlich wuchs der Hörgerätemarkt in Deutschland die letzten Jahre dynamischer als die Brillenoptik – insofern ist es für den Optikerfachhandel natürlich lukrativ, dieses Geschäftsfeld zusätzlich zu erschließen. Dass der Markt für Hörgeräte ein Wachstumsfeld ist, zeigt sich auch an der stetig wachsenden Zahl an Hörakustikfachgeschäften in Deutschland.

FOCUS: Lassen sich aus den von Ihnen erhobenen Marktdaten in Zeiten der vielen Krisen auch positive Trends ablesen? Falls ja, welche und warum?

Lorek: Wie schon angesprochen deutet die demografische Entwicklung in Europa darauf hin, dass sich der Absatzmarkt für Brillenoptik günstig entwickeln wird. Dies spiegelt sich auch in den Wachstumsraten für die europäischen Märkte wider, die sich robuster zeigen als diejenigen für beispielsweise technische Konsumgüter. Diese haben zwar während der Pandemie stark profitiert, stehen aber seit 2022 unter Druck. Sicher sind die Optikmärkte auch von der aktuell eher skeptischen Konsumstimmung beeinflusst, dennoch zeigen unsere Daten, dass die Konsumenten auch in den vergangenen Krisenjahren bereit waren, kontinuierlich Geld für gutes Sehen auszugeben. Ich sehe keinen Grund, warum sich daran grundsätzlich etwas ändern sollte.

FOCUS: Vielen Dank für das Gespräch.

Ähnliche Beiträge