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Ein Interlens-Wochenende in Lübeck

Bild: eyetronic/stock.adobe.com

Die 111. Arbeitstagung des Interlens Contactlinsen-Institute e.V.

Willkommen zu einem Wochenende rund um die interessantesten Kontaktlinsenthemen, die die Welt der Augenoptik und Optometrie derzeit beschäftigen. Aber dieses Mal mit spannenden Einblicken in die Thematik der Presbyopie. Fachreferenten berichteten auf der Arbeitstagung des Interlens Contactlinsen-Institute e.V. über die aktuelle Forschungslage, Neuentwicklungen bezüglich des operativen Austausches der Linsen sowie verschiedene Intraokularlinsendesigns. 

Bereits zum 111. Mal lud der Verein vom 11. bis zum 12. November 2023 zur bekannten Arbeitstagung in das Atlantic Hotel in der Lübecker Altstadt ein. Die 1986 gegründete Vereinigung veranstaltet in diesem Zusammenhang zweimal pro Jahr individuelle Arbeitstagungen. Dabei werden die Tagungen immer in Städten abgehalten, in denen auch ein Interlens Fachbetrieb zu finden ist. Lassen Sie sich im kommenden Artikel durch zwei Tage Arbeitstagung mit insgesamt 51 Teilnehmenden führen.

Ortho-K-Linsen und die Biomechanik der Hornhaut

Der Vorstandsvorsitzende Ralf Emminger leitete mit netten Anekdoten durch den ersten Tagungstag und begrüßte in diesem Zusammenhang herzlich die vortragenden Referenten. Sylvia Wulf, Dozentin der technischen Hochschule ­Lübeck, eröffnete die Vortragsreihe mit Wissenswertem über ihre aktuelle Studie rund um den Einfluss der Orthokeratologie auf die biomechanischen Eigenschaften der Hornhaut. Dabei gab sie zu Beginn einen Überblick über die Entwicklung der Orthokeratologie von der Konstruktion in den 1950er Jahren über die Reformation der 90er Jahren auf Grund neuer Materialien bis hin zur heutigen Anwendung zur Myopie-Prävention sowie -Korrektion. Die Orthokeratologie-Linse stellt diesbezüglich ein spezifisches Linsendesign dar, welches individuell auf den Träger abgestimmt wird. Aus dem ÜberNacht-Tragen dieser Linse folgt eine zentrale Abflachung sowie periphere Versteilung der Cornea. Daraus resultierend kommt es sowohl zu einer Brechkraft- als auch Dickenänderung der einzelnen Schichten der Hornhaut. Die von Sylvia Wulf durchgeführte Studie BICOO untersucht den Einfluss der Ortho-K-Linse auf die Biomechanik der Hornhaut. Die Studie wird in diesem Zusammenhang prospektiv und investigativ durchgeführt. Die Studienteilnehmer werden mit dem Non-Contact-Tonometer Oculus Corvis ST gemessen, welches die temporäre Formation der Hornhaut durch den Luftstoß über eine Highspeed-Kamera dokumentiert. In diesem Zusammenhang werden Aufnahmen der Bewegung der Hornhaut vor und nach dem Tragen der Linsen übereinandergelegt. In der Studie wurden zu Beginn insgesamt 35 Probanden eingeschlossen, die insgesamt sechs Untersuchungsterminen beiwohnen. Nach einer sechsmonatigen Laufzeit reduzierte sich die Anzahl auf 26. Gründe für den Drop-out waren beispielsweiße die Unzufriedenheit über die subjektive Wahrnehmung durch die Linsen oder fehlende Compliance. Eine weitere Beobachtung, die Wulf während eines Probandentermins machte, war das Tragen der Ortho-K-Linse über einer Sklerallinse. Die Daten werden derzeit ausgewertet. Das aktuelle Ergebnis der Studie? Ja, die biomechanischen Eigenschaften werden durch die Linse beeinflusst. Beispielsweise verändert das Linsendesign auch die gemessenen Werte des Augeninnendrucks. Der Unterschied ist jedoch nicht signifikant. 

Blick in die Zukunft

Lena Petzold, Masterabsolventin der Ernst-Abbe-Hochschule Jena, stellte ihre Bachelorarbeit rund um die objektive Vermessung der Abbildungsgüte verschiedener Intraokularlinsen vor. Dabei beschrieb sie das verwendete Messgerät- das VirtIOL. Wie der Name schon vermuten lässt, dient es der Simulation von Intraokularlinsen durch die „virtuelle“ Implantation von Intraokularlinsen (IOLs). Auf dessen Grundlage können die Parameter von IOLs schon vor der operativen Implantation vermessen und für den Patienten visualisiert werden. Der Aufbau des VirtIOL ist eine komprimierte optische Bank, mit Hilfe dessen die zu untersuchenden Objekte durch die Intraokularlinse anhand verschiedener Testobjekte verglichen werden können. Für die vorgestellte Studie wurden drei verschiedene IOLs anhand ihres Kontrastes und Auflösungsvermögens in Entfernungen zwischen 40 Zentimetern bis zu sechs Metern objektiv vermessen. Der Versuchsaufbau wurde in diesem Zusammenhang durch eine Industriekamera komplettiert. Dabei zeigte sich die Stärke von Monofokallinsen in der Ferne, vorausgesetzt diese sind auf die Ferne optimiert. Die multifokalen Linsen erreichten hingegen in allen Entfernungen solide Messergebnisse.
Der Messaufbau stellt eine Grundlage für weiterführende Studien dar, welche beispielsweise mit anderen IOL-Designs oder einer höher auflösenden Messkamera wiederholt werden können. Während der anschließenden Diskussion wurde eine mögliche Variation für die Vermessung von Kontaktlinsen erfragt, welche als eine weitere Option für zukünftige Untersuchungen mit dem VirtIOL erprobt werden kann. 

EDoF versus MIOL

Nach einer anschließenden Pause leitete Ralf Emminger, ­Geschäftsführer von Wörle.Optik SehkraftCentrum München, die nächsten zwei Fachvorträge mit Grundlagen des EDoF-Prinzips ein. EDoF steht in diesem Zusammenhang für Extended/Enhanced Depth of Focus und bezeichnet einen erweiterten Tiefenschärfe- beziehungsweise Fokusbereich. Das wiederum bedeutet, dass es keinen einzelnen Brennpunkt gibt, sondern Objekte in einem vergrößerten Entfernungsbereich erkannt werden können. Mit einer reinen EDoF-Linse könne laut Emminger eine Schärfentiefe von maximal einer Dioptrie erreicht werden. Zusätzlich informierte Emminger über die Anforderung der American Academy of Ophthalmology bezüglich des Vergleiches von EDoF-Linsen mit einer Referenzgruppe sowie das Wirkprinzip der EDoF-Linsen. Dabei können die Linsen in reine (Optimierung
höherer Ordnungen und Ausnutzung des Lochblendeneffektes) und hybride Linsen (Mischform durch refraktives und diffraktives Design) unterteilt werden. Die Wirkung der Linsen ist dabei jedoch abhängig von der Pupillengröße, der Umgebungsbeleuchtung oder auch den Aberrationen des Auges. Die Qualität der EDoF-Linsen kann in-vitro über die optische Bank und in-vivo über Fragebögen für Patienten ermittelt werden. Aus den vorgestellten Untersuchungen wurde ersichtlich, dass EDoF-Linsen subjektiv besser abschnitten als die multifokalen Vergleichslinsen. In diesem Zusammenhang solle jedoch die nötige Neuroadaptationszeit des Gehirns zur Eingewöhnung an das Linsendesign von  mindestens sechs Wochen nicht vernachlässigt werden. Zudem berichtete Emminger über die zwei derzeitig am Markt vertretenen Patente für EDoF-Designs, die „Natural Vue“ (USA) und das Prinzip des Brien Holden Vision Institutes (Australien). 

Das Prinzip nach Brien Holden findet auch Anwendung in den Linsendesigns, welche Verena Hardt, Seminarleiterin der Firma Wöhlk, vorstellte. Dabei leitete sie in der Diskussion geschickt auf ihren anschließenden Vortrag über die neuen Multifokal- (MKL)- und EDoF-Kontaktlinsendesigns aus und für die Praxis über. Währenddessen merkte sie an, dass eine schnellere Neuroadaptation sowohl für Kunden als auch Anpasser von Vorteil sei und brachte in diesem Zusammenhang die Seed 1dayPure ins Spiel. Diese formstabile Tageslinse unterliegt dem EDoF-Prinzip nach Brien Holden, welches zu einer Weitung des Schärfenbereiches mit homogener Abbildung im Bereich vor sowie auf der Netzhaut führen solle. 

In Vergleichstesten mit multifokalen Kontaktlinsen dominierte laut Hardt die EDoF-Linse vor allem im Zwischen- und Nahbereich. Durch die Pupillenunabhängigkeit werde eine gute ­Sehqualität bei allen Lichtverhältnissen erreicht. Die Neuroadaptation beziehungsweise die Qualität des Netzhautbildes sei in diesem Zusammenhang jedoch kundenabhängig und individuell beeinflusst, und zwar durch den Lebensstil, die vorhandene Akkommodation sowie bisher genutzte Kontaktlinsendesigns. Eine formstabile, multifokale Kontaktlinsenentwicklung aus dem Hause Wöhlk stellt die Multi FEN dar. FEN steht dabei für Fast, Easy, Natural Vision. Ein aufeinander abgestimmtes Vorder- und Rückflächendesign soll natürliches Sehen in allen Entfernungen bieten. Dabei kann die Addition über die Auswahl drei verschiedener Profile variiert werden. Anzumerken ist auch, dass die Linse lediglich einer Oberflächenbehandlung mittels Plasma unterzogen wird. Mit dem Ziel einer guten Benetzbarkeit. 

Svenja Nienhaus, Dozentin der Akademie der Augenoptik, informierte anschließend über die Besonderheiten Multifokaler Intraokularlinsen (MIOL). Die Möglichkeit der multifokalen Wirkungen von Intraokularlinsen wurde durch subluxierte monofokale Linsen (Linsen, deren Lage sich teilweise verändert hatte; Anm. d. Red) nach einer Implantation entdeckt. Trotz dessen kam es zu einer Neuroadaptation sowie simultanen Abbildung, was auch bei heutigen MIOL der Fall ist. Verschiedene Parameter wie das Design (refraktiv, diffraktiv), die Fokalität (bi- oder trifokal) oder auch die Addition beeinflussen die Wirkung der Linsen. 

Letzteres spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige ­Rolle bei Halos. Beispielweise sind die Halos bei einer Addition zwischen +2,0 und +3,0 dpt am stärksten ausgeprägt, auf der anderen Seite werden die Halos bei einer hohen ­Addition (+6 dpt) wieder geringer. 

Stellt das eine Alternative für die Versorgung nach einem operativen Eingriff, wie der Vitrektomie (Entfernung des Glaskörpers; Anm. d. Red.) dar? Das Ziel der Korrektion mittels multifokaler Intraokularlinsen stellt nach Nienhaus ein Visus über 0,8 in Kombination mit einem möglichst großen Entfernungsbereich dar. Vor allem bei EDoF-Linsen sollte in Entfernungen zwischen der Unendlichkeit (Ferne) und 0,67 m (Zwischenbereich) ein Visus größer 0,63 erreicht werden. Der Korrekturmaßstab der Kunden ist in den meisten Fällen der unkorrigierte Fernvisus. 

Weiterhin drehte sich der Vortrag über die Notwendigkeit der Voruntersuchung der Netzhaut mittels OCT, da ab einem Alter von 75 Jahren jeder zehnte funduskopisch unauffällig sei. Auch stellte Nienhaus eine neue Routine zur Vermessung von MIOL nach Implantation dar, bei der beispielsweise auf eine objektive Refraktion verzichtet werden solle. Der Visus naturalis kann in diesem Zusammenhang subjektiv über eine Defokuskurve erhoben werden. 

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Die „FALCK“

An den vorangegangenen Vortrag knüpfte Dr. Markus Pölzl, leitender Augenarzt des nordBLICK Keratokonus Zentrums Kiel, an. Dieser betonte in diesem Zusammenhang den großen Einfluss der individuellen Auswahl der MIOL sowie der präoperativen Beratung. Sein eigentliches Vortragsthema drehte sich jedoch um die eierlegende Wollmilchsau „FALCK“. FALCK stellt eine modifizierte lamelläre Keratoplastik mit Hilfe des Femtosekundenlasers dar, bei der mittels des Augenlaserverfahrens SMILE eine Hornhauttasche erzeugt wird. 

Ein, aus einer Spenderhornhaut erzeugter Lentikel mit einer zentralen, stromalen Gewebeausstanzung wird anschließend in die Hornhauttasche eingesetzt. Zusätzlich erfolgt eine Bestrahlung über Crosslinking (Anm. d. Red.: Verstärkung des Hornhautgewebes durch eine Quervernetzung der Zellen). Der Eingriff wird mittels Tropfinfusion durchgeführt. 

Bisher wurden über einen exakten Zeitraum von sieben Jahren 300 Patienten mit diesem operativen Eingriff versorgt, wobei die Langzeitergebnisse noch ausstehen. Derzeitige Vorteile stellen beispielsweise die Reversibilität des Eingriffes dar, da es zu keinem Gewebeverlust kommt. Auch kann es zu einem Visusanstieg, mindestens aber zu einem gleichbleibenden Visus kommen. Voraussetzung hierfür ist, dass das ausgestanzte Zentrum über der Pupille positioniert wurde. Somit wird das Sehen nicht durch auftretende Fibrose beeinträchtigt. Durch die intrastromale Lokalisation kam es bisher noch zu keiner Abstoßungsreaktion. Des Weiteren merkte Pölzl an, dass das Stadium eines Keratokonus in diesem Zusammenhang irrelevant sei. Der Eingriff wird von den Krankenkassen übernommen, auf Grundlage der Durchführung einer Keratoplastik. Die Erprobung der Methodik läuft auch weiterhin. 

Die Abendstunden

Im letzten Vortrag des ersten Tagungstages informierte Frank Kollwitz, beschäftigt bei Johnson & Johnson, über die Firma und die von ihr produzierte Tecnis-Linsenreihe. Dabei betonte Kollwitz die Notwendigkeit vom Denken abzukommen, die Sehqualität hänge nur vom erreichten Visuswert ab. 

Auch die Abbildungsfehler, Kontrastempfindlichkeit oder das funktionelle Sehen haben einen Einfluss. In diesem Zusammenhang wurde eine Studie über die Höhe der sphärischen Aberration im Auge von rund -0,27 µm angebracht, welche die Hersteller über die IOL verstärken oder abschwächen können. Im Gepäck hatte Kollwitz Fakten über die Tecnis Eyhance, Tecnis­ Symfony und die Tecnis Synergy. Erstere hat eine asphärische Oberfläche höherer Ordnung mit refraktivem Design mit dem Merkmal des stufenlosen sowie kontinuierlichen Anstiegs der Brechkraft von der Peripherie zur Linsenmitte. Die Symfony unterscheidet sich durch das diffraktive Design sowie eine zusätzliche Nahkorrektion. Die zuletzt genannte Tecnis Snyergy punktet durch diffraktives Design über den gesamten Entfernungsbereich inklusive eines Ab­bildungspeaks in der Ferne. Kollwitz beschrieb diese Linse als „Mix und Match zwischen allen EDoF-IOL-Designs“. 

Zum Schluss kam es zu einer Vorstellung der beiden Mitgliedsbewerber. Mit einer Führung und Betriebsbesichtigung durch das in Lübeck heimische Interlens Contactlinsen-Institute und einem anschließenden, gemeinsamen Abendessen endete der erste Tag gelungen. 

Der zweite Tag startete erstmalig in der Geschichte des Interlens Contactlinsen-Institute e.V. zweigeteilt. Zum einen wurde die Jahreshauptversammlung abgehalten. Währenddessen wurden beispielsweise Satzungsänderungen sowie Aufnahmekriterien bzw. Diskussionen über Mitgliedsbewerber durchgeführt. ­Parallel dazu verlief der „Interlens Young“ Erfahrungsaustausch, durch den Julia Lesinski führte. Dabei hatten interessierte Teilnehmende sowie Mitarbeitende der Institute die Möglichkeit, Erfahrungen aus ihrem Alltag zu teilen. Thema war beispielsweise die Kommunikation mit presbyopen Kunden. In diesem Zusammenhang wurde ein Online-Tool zur Simulation von Seheindrücken durch Multifokallinsen angebracht, wobei Linsenparameter wie die Addition oder Pupillengröße individuell dargestellt werden können. Des Weiteren wurde ein griechischer Kontaktlinsenhersteller vorgestellt, welcher qualitativ hochwertige Iris-Kontaktlinsen produziert, was bisherige Erfahrungsberichte bestätigen.

Mit diesem Erfahrungsaustausch endete das wissensreiche Wochenende rund um die 111. Arbeitstagung des Interlens e.V. in Lübeck. Die Resonanz zu dem diesjährigen Forum fiel sehr gut aus. Vor allem die Mischung aus Theorie, Praxis und Fallbeispielen sowie die entspannte Atmosphäre und der fachliche Austausch untereinander fanden bei den Teilnehmenden sehr großen Anklang. „Wir versuchen das Thema Kontaktoptik wieder ein Stück weit attraktiver zu gestalten und ich würde mich über einen weiteren Austausch freuen, um die Linse auch wieder in die Köpfe des augenoptischen Nachwuchses zu bekommen“, sagte Niklas Ihrke-Bronk, Vorstand Interlens.

Sicher sieht man das ein oder andere Gesicht auch bei dem kommenden Event wieder, welches vom 20. auf den 21. April in Bonn stattfinden soll.

Lena Petzold begann nach dem Abitur 2018 das Bachelorstudium Augenoptik/Optometrie an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena, welches sie im Oktober 2021 abschloss. Mit gleitendem Übergang startete sie im selben Monat das anschließende Masterstudium. 2022 ergab sich ihr die Möglichkeit, ihre Bachelorarbeit auf der American Academy of Optometry vorzustellen. Nebenbei arbeitet sie seit 2021 bei JenVis Research.

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