Fachkongress: Sicht.Kontakte 2024
Vollblut-Kongress im Herzen des Ruhrgebiets
In Essen und damit quasi im Wohnzimmer des FOCUS (Verlagssitz ist Mülheim an der Ruhr – also „umme Ecke“) fand Ende September eine mehrtägige Veranstaltung statt, die eigentlich nur den feuchten Träumen eines jeden Vollblut-Optometristen entsprungen sein kann. Die Rede ist von der Sicht.Kontakte 2024, dem Jahreskongress der VDCO, der gemeinsam mit der IVBS und dem ZVA veranstaltet wird.
Immer an einem Wochenende im Jahr und an einem Ort bündeln die Vereinigung deutscher Contactlinsen-Spezialisten und Optometristen (VDCO), der Zentralverband der Augenoptiker und Optometristen (ZVA) und die Internationale Vereinigung für binokulares Sehen (IVBS) ein vielfältiges Fortbildungsprogramm, das sich gezielt an alle Berufsangehörigen der Augenoptik und Optometrie sowie Studierende dieser Fachrichtungen wendet. Neben den interessanten Inhalten steht auch das Netzwerken ganz oben auf der To-Do-Liste der Teilnehmer. Eingebettet in die Sicht.Kontakte ist immer auch der Tag der Optometrie, der einen Tag nach dem zweitätigen Kongress stattfand (lesen Sie dazu den Artikel auf Seite 46). Anders als in vorherigen Jahren wurde die Obermeistertagung des ZVA diesmal an einem separaten Ort und zu anderer Zeit ausgetragen (mehr dazu erfahren Sie in dem Artikel auf Seite 14).
Volles Programm in Essen
Der Ruhrturm in Essen bot vom 27. bis 28. September den passenden Rahmen für die Jahrestagung,
die mehr als 330 Augenoptiker, Optometristen und Kontaktlinsenspezialisten anlockte. Neben hochkarätigen Fachvorträgen und praxisnahen Workshops gab es genug Zeit dazwischen für den Austausch mit anderen Teilnehmern, Industrie oder führenden Experten der Branche. Insgesamt präsentierten 47 renommierte Referenten in 24 Vorträgen und 21 Workshops ihre Themen.
Am Freitagmorgen ging es nach einem Welcome-Frühstück, los mit Dr. Sebastian Marx zum Thema „Ophthalmische Versorgungsmöglichkeiten bei Fazialisparese“, gefolgt von Jessica Gruhl, die über Herausforderungen bei der Anpassung von weichen Kontaktlinsen sprach. Professor Wolfgang Sickenberger vertiefte das Wissen der Teilnehmer rund um die Versorgung von Presbyopie mit Kontaktlinsen. Kurz vor der ersten Pause präsentierten Nele Opitz und Jasper Ufert von der VDCO Young ein spannendes Fall-Quiz zum vorderen Augenabschnitt.
Peter-Abel-Preis
Nach der nächsten Stärkung wurde es feierlich: Der Peter-Abel-Preis wird für die beste wissenschaftliche Arbeit, die zur Erlangung des PhD geführt hat, vergeben. Der diesjährige Preisträger Emmanuel Kobia-Acquah, von der Technological University Dublin, war zwar selbst nicht anwesend, wurde jedoch per Screen zugeschaltet und stellte seine Arbeit „Choroidal thickness changes in response to topical antimuscarinic medication and relationships with myopia progression in children in Ireland“ dem Publikum vor.
Ausgezeichnet wurde seine Forschung zur Aderhautdicke bei der Myopie-Progression unter der Gabe von antimuskarinischen Augentropfen, insbesondere Atropin, bei europäischen Kindern. Seine Studie zeigte, dass niedrig dosiertes Atropin (0,01%) das Fortschreiten der Myopie verlangsamt und die Aderhautdicke signifikant beeinflusst, was mit der Entstehung und dem Fortschreiten von Myopie in Verbindung steht. Kobia-Acquah wies auch auf die Bedeutung der standardisierten Anwendung von Cyclopentolat hin, um zuverlässige Messungen der Aderhautdicke zu erhalten. Der Preis ist mit 2.000 € dotiert und wird von der VDCO gesponsert.
Augenchirurgie und Kontaktlinsenanpassung
Danach ging es mit einem neuen Themenfeld weiter. Prof. Dr. Björn Bachmann stellte neue Strategien des Endothelersatzes vor, während Prof. Dr. Tobias Brockmann Ausschlusskriterien in der refraktiven Chirurgie erörterte. Prof. Dr. Christian Meltendorf präsentierte mögliche optische Probleme nach Hornhaut- und Linsenchirurgie. Abschließend gaben Laura Sauerbier und Simon Jäkel praktische Einblicke in die Anpassung von Kontaktlinsen nach Crosslinking und Keratoplastik sowie Freiform-Skleralkontaktlinsen. Das Vortragsprogramm am ersten Tag endete mit dem Beitrag zu Mini-Sklerallinsen von Uwe Bischoff und Corinna Jonske.
Praxisnahe Workshops
Das war nicht alles, denn parallel zum Vortragsprogramm konnten die Teilnehmer am Freitag viele Workshops mit praxisnahen und spezialisierten Inhalten, die vor allem auf die tägliche Arbeit in der Optometrie ausgerichtet waren, besuchen. Hier lag der Schwerpunkt bei der Kinderoptometrie und bei optometrischen Dienstleistungen.
Der Workshop von Florian Ambros befasste sich mit der visuellen Analyse bei Schulkindern, wobei die Bedeutung der frühzeitigen Erkennung von Sehproblemen hervorgehoben wurde. Parallel dazu gab Simon Jäkel wertvolle Praxistipps zur erfolgreichen optometrischen Dienstleistung, die es den Teilnehmern ermöglichen, ihre Praxis effizienter zu gestalten. Am Nachmittag folgte ein intensiver Workshop von Philipp Hessler, der über die 10 größten Missverständnisse im Myopie-Management aufklärte und auf deren Einfluss auf die Patientenversorgung einging. In einem weiteren Workshop zeigte Sara Bachmann den Teilnehmern praktische Tipps und Tricks zur Nutzung der Optischen Kohärenztomographie (OCT), um Diagnosen präziser und schneller zu stellen.
Der Samstag begann nach dem Welcome-Frühstück mit einer praxisnahen Keynote von Sebastian Marx, der neue Therapieansätze beim Trockenen Auge vorstellte. Im Anschluss sprach Sebastian Golczyk über die Diagnose und Behandlung von allergischen Augenreaktionen. Ein weiteres Highlight war der Vortrag von Urs Businger zum Thema „Blaues Licht: Fluch oder Segen für das Auge?“.
Gunter-Schamberger-Preis
Schon stand die nächste Preisverleihung an: Sandra Schurig erhielt den Gunter-Schamberger-Preis und referierte zum Thema „Bewertung der Hydrophilie von Silikon-Hydrogelen durch Visualisierung hydrophober Bereiche mit Sudan IV“.
Sie untersuchte die hydrophoben Bereiche auf der Oberfläche und im Kernmaterial der Linsen und zeigte, dass die Hydrophobie im Kernmaterial stärker ausgeprägt war. Eine All-in-One-Lösung konnte diese hydrophoben Bereiche nach Benetzung mit künstlicher Tränenlösung reduzieren. Die Ergebnisse tragen nicht nur zur besseren Benetzbarkeit und Tragekomfort von Kontaktlinsen bei, sondern auch zur Optimierung von Pflegeprodukten. Der Preis ist mit 1.000 € dotiert und wird von Alcon gesponsert.
Glaukom-Diagnostik
Daniela Nosch sprach in ihrem Vortrag über glaukomatöse Veränderungen der Papille und Carl Erb erläuterte innovative Ansätze zur perimetrischen Frühdiagnose, gefolgt von einem Vortrag von Christian van Oterendorp zu den Grundlagen der Progressionsbeurteilung beim Glaukom. Zum Abschluss dieses interessanten Vortragsblocks gab Karsten Klabe einen Überblick zur Glaukomchirurgie.
Rolf-Weinschenk-Preis und Ralf-Bachmann-Preis
Nach der Mittagspause standen zwei weitere Preisverleihungen an: Jessica Kemper wurde mit dem Rolf-Weinschenk-Preis für das beste wissenschaftliche Poster im Bereich der Kontaktlinse ausgezeichnet. Ihr Poster, das sich mit Scheitelbrechwertprofilen weicher, rotationssymmetrischer Kontaktlinsen befasste, zeigte innovative Ansätze zur Optimierung der Anpassung weicher Kontaktlinsen. Die von ihr vorgestellten Profile bieten Augenoptikern ein tieferes Verständnis der optischen Eigenschaften von Kontaktlinsen und helfen, die Sehqualität für Kontaktlinsenträger weiter zu verbessern. Der Preis ist mit 500 € dotiert und wird gesponsert von Hecht Contactlinsen.
Vincent Pohlan und Florian Worsch wurden für ihr gemeinsames Projekt zur Entwicklung eines neuen Messverfahrens zur Bestimmung von Dysphotopsie-Effekten mit dem Ralf-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Ihre Forschung konzentrierte sich auf die quantifizierbare Analyse von Lichtstreueffekten, die bei Kontaktlinsenträgern und Patienten nach Kataraktoperationen auftreten können. Die präzise Messmethode ermöglicht eine genauere Diagnostik und bessere Behandlungsansätze für Patienten, die an diesen visuellen Störungen leiden. Der mit 500 € dotierte Preis wird von Ralf Bachmann persönlich gesponsert und wurde erstmalig für das beste wissenschaftliche Poster im Bereich der Optometrie vergeben.
Im Anschluss bot Dr. Philipp Herrmann von der Universitäts-Augenklinik Bonn, einen Blick über den Tellerrand mit einem Vortrag zu seltenen genetischen Netzhauterkrankungen. Katharina Keller gab einen Überblick zu Pupillendefekten und Machteld Devenijn erläuterte die neuesten Forschungen zur Behandlung trockener altersbedingter Makuladegeneration.
Qual der Wahl an Tag Zwei
Wie schon am Vortag liefen Vortragsprogramm und Workshops parallel, was so manche nicht leicht getroffene Entscheidung erzwang. Christian Kempgens leitete eine Session zur Anpassung weicher multifokaler Kontaktlinsen, mit Einblicken in die Anpassstrategien dieser Linsen.
Carl Erb behandelte das Thema Auge und Allgemeinerkrankungen, wobei er die Auswirkungen systemischer Krankheiten auf das Auge beleuchtete. Parallel dazu führte Sophie Hornberger einen Workshop zu Marketingstrategien und deren Anwendung in der Kontaktlinsenbranche durch.
Nach der Mittagspause folgte Katharina Keller mit ihrem Workshop rund um Beurteilungen von Spaltlampenbefunden. Zur gleichen Zeit leitete Sarah Schwab eine Sitzung zum Tränenfilmscreening mit dem Topograph SBM OS1000, in dem die Teilnehmer moderne Screening-Methoden kennenlernten.
Kurzer Kaffee-Stop und es ging weiter mit Ralf Bachmann, der in seinem optometrischen Workshop praxisnahe Grundlagen zur Untersuchung der Sehfunktionen vermittelte. Gleichzeitig leiteten Petra Zapsky und Anna Stock eine Mitmach-Session zu multifokalen Kontaktlinsen, in der sie zielgerichtete Anpassstrategien erläuterten.
Später wurde die VDCO Young wieder aktiv: Tom Luis Platten und Vincent Pohlan diskutierten im Arbeitgeber-Forum, wie man junge Arbeitnehmer für den eigenen Betrieb begeistern kann.
Parallel dazu präsentierten Kerstin Meckel und Rafael Czaja im Workshop die MeniconNiji, eine SiHy-Monatslinse, die laut Anbieter durch hohen Tragekomfort und geringen Pflegeaufwand überzeugt.
Dozenten der Kontaktoptik unter sich
Am Rande des Kongresses nutzten Dozenten aus der Schweiz, Österreich und Deutschland die Gelegenheit für einen inspirierenden Austausch untereinander. Höhepunkt war die Mustervorlesung von Gustav Pöltner und Horst Drexel zum Thema Keratokonus, die auf großes Interesse stieß. Anschließend wurde die Didaktik in der Speziallinsenanpassung diskutiert. Prof. Phil Morgan aus Manchester berichtete online über die Internationale Vereinigung der Kontaktlinsenlehrkräfte (IACLE) und internationale Lehrstandards. Maik Stach präsentierte einen innovativen Ansatz zur Anpassung formstabiler Kontaktlinsen. Zudem wurde das Abdruckverfahren Eyeprint vorgestellt, um Sonderlinsen für schwierige Anpassungen herzustellen. Ein emotionaler Moment war es, als Gustav Pöltner seinen bevorstehenden Ruhestand andeutete und sein Wissen zum Thema Keratokonus teilte.
Wem am Ende noch nicht der Kopf schwirrte von so viel Input, der konnte noch mal reflektieren: Dieser gelungene Kongress gab den Rahmen nicht zuletzt für einen guten Austausch unter Kollegen und Experten inmitten einer zweitägigen Industrieausstellung mit 24 Ausstellern.
Auf eine Fortsetzung, nächstes Jahr in Osnabrück
Der nächste Termin, den sich alle Vollblut-Optometristen, und die es noch werden wollen, jetzt schon in den Kalender eintragen sollten, ist das Wochenende 10. bis 12. Oktober 2025. Dann findet in Osnabrück die nächste Sicht.Kontakte statt.