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Fielmann: „Ich bin über meine Träume hinausgewachsen!“

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Abschied von Günther Fielmann

Er war Visionär, Rebell, Vorreiter, Weltverbesserer, Kundenfreund, Brillenbauer, Bio-Landwirt und Revolutionär. Er hat mit seiner Arbeit eine ganze Branche auf den Kopf gestellt und so manch einer hat ihn nicht nur als harten Konkurrenten, sondern regelrecht als Feind betrachtet. Nun ist Günther Fielmann nach einem langen und erfüllten Leben am 3. Januar 2024 im Alter von 84 Jahren in seinem Wohnort Lütjensee im Kreise seiner Familie friedlich eingeschlafen.

Manchmal ist es wohl einfach Schicksal oder Berufung oder eine Lebensaufgabe – denn obwohl Günther Fielmann unfreiwillig den Beruf des Augenoptikers erlernt hat, hat er mit dieser Entscheidung eine ganze Branche revolutioniert. 

Nach seiner Ausbildung, den Gesellenjahren, der Meisterschule und Erfahrungen in der Industrie eröffnet er 1972 das erste eigene augenoptische Fachgeschäft in Cuxhaven. Und dieser neue Laden fällt auf, denn Günther Fielmann brach mit den üblichen Traditionen der Augenoptiker. Er präsentiert alle Brillen offen im Verkaufsraum, sodass der Kunde die Auswahl hat und selbst entscheiden kann. Zudem sind die Preise an die tatsächlichen Herstellungskosten der Brille gekoppelt und sorgen dafür, dass Fielmann sehr viel günstiger ist als alle anderen Wettbewerber. Außerdem bekommen Kunden so das erste Mal das Gefühl einer verständlichen und transparenten Preisgestaltung, die in der Augenoptik der 1960er Jahre ein absolutes Unding ist. 

Wettbewerber als Motivatoren

Sein Einsatz für das Kundenwohl geht auf: Innerhalb von nur zwei Jahren eröffnet Günther Fielmann sechs weitere Geschäfte, die eher wie eine Modeboutique als die damals gängigen Augenoptikgeschäfte anmuten lassen. Das bleibt nicht unbemerkt.

Gerade die Werbung, in der klar kommuniziert wird, dass keiner so günstig ist wie Fielmann, fällt auf und sorgt für erhitzte Gemüter bei den Wettbewerbern. Man verklagt den jungen Unternehmer und versucht ihn so zu bremsen – doch gerade diese Provokation und Herausforderung sorgt für die Motivation und den Willen weiterzumachen. Günther Fielmann selbst sagte später einmal: „Hätten die mich damals in Ruhe gelassen, hätte ich meine sechs, sieben Geschäfte behalten und das wäre es gewesen.“ Gesagt, getan. 1980, also nur acht Jahre nach der Eröffnung des ersten Geschäfts, betreibt Fielmann 49 Niederlassungen und hat sich dem nächsten Großprojekt gewidmet: Der Kassenbrille.

Der Geschäftsmann empfand die Kassenbrille schon von jeher als eine reine Zumutung für die Kunden – fast schon eine Diskriminierung. Also höchste Zeit etwas dagegen zu tun. So klappert er das Land nach kooperativen Krankenkassen ab, die dazu bereit sind, neue Regelungen zu vereinbaren. Und schließlich wird er bei einer kleinen Ortskrankenkasse im friesischen Esens fündig und unterschreibt 1981 den historischen Vertrag über die Fertigung von 90 schönen, qualitativ hochwertigen Brillenfassungen, in 640 Farb- und Materialvarianten, die den Versicherten nun zur Auswahl stehen. Die anderen Krankenkassen ziehen nach und schon hat Fielmann die Kassenbrille schön gemacht.

Garantien, die sich bezahlt machen

Im Laufe der Jahre kommen immer mehr Niederlassungen dazu und ebenso kommen Leistungen dazu, von denen Kunden vorher nur träumen konnten. Fielmann führt die Zufriedenheitsgarantie ein, die Geld-zurück-Garantie und richtet die Reklamationsbearbeitung im Sinne des Kunden völlig neu aus. Der Leitsatz lautet: „Der Kunde bist Du!“ und wird zur Identität des Unternehmens, zur Leitkultur, zur Philosophie. 

Ende der 1980er Jahre übernimmt Fielmann gleich mehrere Optikketten und so wächst das Unternehmen quasi über Nacht auf eine Größe von 201 Niederlassungen.

Als die Mauer fällt und sich die ganze Republik im Wandel befindet, verliert Günther Fielmann keine Zeit, sondern bereist die DDR, knüpft Kontakte, schließt Verträge mit der Sozialversicherung des Landes und eröffnet nur anderthalb Jahre nach dem Mauerfall in zahlreichen Städten Ostdeutschlands neue Niederlassungen. Die Begeisterung ist groß, es bilden sich über Monate hinweg immer wieder
lange Schlangen vor den Geschäften, denn Brillen waren
in der DDR absolute Mangelware, auf Gläser musste monatelang gewartet werden.

Eigene Produktion in Rathenow und Börsengang

Für die Glasproduktion des Ostens in Rathenow, die Stadt, die als „Wiege der optischen Industrie“ gilt, bedeutete der Mauerfall das Aus und tausende Menschen verloren ihre Jobs. Auch hier reagiert Günther Fielmann schnell, baut 1991 eine moderne Produktion für Metall- und Kunststoffbrillen auf und schafft damit neue Arbeitsplätze.

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1994 folgt der Börsengang und durch das so generierte Kapital wird die Expansion noch schneller vorangetrieben. In den Folgejahren werden Niederlassungen in Österreich, der Schweiz, Polen und in den Niederlanden eröffnet.

Im Jahr 2000 ist die Nachfrage nach Fielmann-Brillen so immens gestiegen, dass die alten Fertigungsstätten nicht mehr ausreichen. So wird der Grundstein für das nächste Großprojekt gelegt: der Bau eines Produktions- und Logistikstandortes in Rathenow, wo heute über 1.000 Mitarbeitende jedes Jahr Millionen Brillengläser und Brillenfassungen produzieren und an die Niederlassungen verschicken. 

Günther Fielmann weiß, dass sein Personal die Grundlage für seinen Erfolg ist. Deshalb kauft er kurz nach der Jahrtausendwende das Renaissance-Schloss Plön vom Land Schleswig-Holstein und renoviert den maroden Bau innerhalb weniger Jahre. 2006 eröffnet dann die Fielmann Akademie Schloss Plön als Aus- und Weiterbildungsstätte des Unternehmens.

2009 ist Günther Fielmann 70 Jahre alt, hat 664 Niederlassungen, verkauft in Deutschland jede zweite Brille und bereitet langsam aber sicher alles dafür vor, das Familienunternehmen an die nächste Generation weiterzugeben. 2016 wird Sohn Marc Fielmann in den Vorstand berufen und bildet mit seinem Vater eine Doppelspitze, bis sich Günther Fielmann 2019 ganz aus dem Unternehmen zurückzieht.

Auszeichnungen für einen naturverbundenen Menschen

Für seinen unternehmerischen Mut und sein soziales und gesellschaftliches Engagement erhielt Günther Fielmann zahlreiche Auszeichnungen, darunter im Jahr 2016 das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Im selben Jahr bekam er die Ehrenbürger‑
würde des Bundeslands Schleswig-Holstein verliehen. Bereits 2002 wurde Günther Fielmann zum Professor des Landes Schleswig-Holstein ernannt, 2004 erhielt er die Ehren-Doktorwürde der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Trotz oder gerade wegen seiner harten Arbeit hat er eine Sache nie vergessen und zwar seine Liebe und Verbundenheit zur Natur. Was er schon als junger Mensch sehr genießen konnte, hat er im weiteren Leben zu einem intensiven Hobby ausgebaut. Schon Mitte der 1980er Jahre erfüllt sich Günther Fielmann den Traum vom eigenen Bauernhof, auf dem er ökologische Landwirtschaft betreibt und Limousin-Rinder und gefährdete Haustierrassen wie das Angler Sattelschwein oder das Kärntner Brillenschaf züchtet.

Das Engagement für gesunde Nahrung, artgerechte Tierhaltung und eine intakte Umwelt liegt ihm schon immer am Herzen. Auch deshalb pflanzt Fielmann in jedem Jahr für jeden Mitarbeiter einen Baum – so wurden bis heute 1,7 Millionen Bäume und Sträucher gepflanzt.

Die Werte sollen weitergeführt werden. So errichtet die Familie Fielmann, vertreten durch Günther Fielmanns Kinder, Sophie und Marc Fielmann, die gemeinnützige Fielmann Förderstiftung. Die Stiftung führt das jahrzehntelange gesellschaftliche Engagement in die Zukunft. Sie unterstützt weiterhin Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur, Denkmalschutz und Denkmalpflege sowie den Naturschutz und die Landschaftspflege, vornehmlich in Norddeutschland.

Dankeschön, Herr Fielmann!

Günther Fielmann war nicht einfach nur ein Unternehmer oder der Leiter eines Großkonzerns – er war eine herausragende Persönlichkeit, die es geschafft hat, Großes zu vollbringen. Er hat die Branche umgekrempelt und mit Herz und Hingabe und eisernem Willen seine Träume verwirklicht. Zum Wohle der Kunden. Und auch wenn er viel Kritik von Mitbewerbern eingesteckt hat, so bin ich mir sicher – die gesamte Augenoptik hat einen Günther Fielmann gebraucht. Jemanden, der uns dazu bringt, uns immer wieder selbst zu hinterfragen und uns subtil dazu auffordert, besser zu werden. Eine Augenoptik ohne Günther Fielmann? Nicht vorstellbar. Deshalb möchte ich „Danke“ sagen. Danke, dass Sie Ihrer Zeit so weit voraus waren und mit Ihrer Arbeit dafür gesorgt haben, dass die moderne Augenoptik so ist, wie sie heute ist. Dass Sie gezeigt haben, dass es sich lohnt, für seine Träume zu kämpfen, dass Beharrlichkeit am Ende siegt und dass nichts unmöglich ist.

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