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Leica Eyecare: Back to the Roots

Leica-Geschäftsfüher Jörg Bauer. Bilder: Silke Sage

Eine Traditionsmarke kommt nach Deutschland

Aus dem Nichts entstanden steht in Heuchelheim bei Wetzlar seit Kurzem die erste eigene hochmoderne Leica Eyecare-Produktion. Alles auf Anfang lautet hier das Motto, denn die Traditionsmarke Leica nimmt zum ersten Mal in ihrer Geschichte die Brillenglasproduktion selbst in die Hand. Für Geschäftsführer Jörg Bauer kommt dieser Schritt einer Geburt eines Babys gleich – seines Babys, um genau zu sein. Fragt man ihn nach dem Warum, so ist seine Antwort schnell klar: „Weil Leica-Brillengläser eigentlich schon immer hierhergehört haben“. Der FOCUS besuchte die Produktion kurz vor der offiziellen Eröffnung im Juli.

„Willkommen in Wetzlar, in der Stadt der Optik“, ­begrüßen uns Jörg Bauer, Geschäftsführer der Leica Eyecare, und Marketing Managerin Claudia Rehm: „Die Leica-Welt können wir Ihnen auf keinen Fall ­vorenthalten“. Was damit gemeint ist, wird schnell klar. Denn wir stehen direkt vor dem Leica-Firmensitz, der eindeutig ein architektonisches Highlight ist.

Das gesamte Gebäude ist optisch an eine Kamera angelehnt und auf dem Dach befindet sich ein Rundweg mit einzigartigem Ausblick auf die ganze Umgebung. Das macht neugierig, was sich in dem Gebäude verbirgt.

Die Marke Leica

Wir starten den Rundgang in der Fotoausstellung und erhaschen dort einen Blick in die Kameraproduktion. Hinter einer Glasscheibe sitzen hochkonzentrierte Mitarbeiter, die Kanten von Gläsern schwarz anmalen. An einer weiteren Station wird aus vielen einzelnen Bauteilen eine Kamera zusammen­gesetzt – es müssen hunderte, teils winzige, Teile sein. Hier herrscht absolute Ruhe, alles ist geordnet. Die Präzision, mit der die Mitarbeiter ihrer Arbeit nachgehen, wirkt geradezu ansteckend und lässt jeden Beobachter vor der Glasscheibe einen Moment innehalten. Maschinen gibt es fast keine. Alles scheint wie bei laufenden Zahnrädern perfekt abgestimmt ineinander zu greifen. Jeder Arbeitsschritt ist reine Hand­arbeit. Hier also werden die weltberühmten Premium-­Kameras gefertigt. Neben der Produktion und Verwaltung befinden sich in den anliegenden Gebäuden ein Museum, ein Hotel und die ­Akademie, an der man beispielsweise ­Fotokurse besuchen kann. Insgesamt arbeiten am Standort rund 730 Mitarbeiter.

Der Grund des Besuches ist der Hauptsitz jedoch nicht, denn heute soll es natürlich um Brillengläser gehen – und dort ­werden wir in eine gänzlich andere Welt eintauchen.

Eine Produktion aus dem „Greenfield“

Die Reise geht weiter in die Kleinstadt Heuchelheim, die ­circa 15 Autominuten vom Hauptsitz entfernt liegt. Hier steht seit Kurzem die erste eigene Leica Eyecare-Produktionshalle und der Kontrast zur Kameraproduktion könnte größer nicht sein.

Aus dem Nichts ist hier in wenigen Monaten eine neue, hochmoderne Brillenglasproduktion entstanden. Im Gegensatz zu unserer ersten Station ist es hier laut, lebendig, alles läuft vollautomatisiert und die Maschinen sind neuester technischer Standard. Hier gibt es keinen Grund zu flüstern.

Die Euphorie des Geschäftsführers und der Mitarbeiter ist geradezu greifbar. Kein Wunder, schließlich kommt in wenigen Wochen, das „Baby“ zur Welt. Die erste eigene Leica-Brillenglasproduktion in Deutschland. Doch wie kam es überhaupt dazu und warum erst jetzt?

Die Leitz(sche) Camera

Um Leica-Brillengläser zu verstehen, lohnt sich ein kurzer Blick auf die Geschichte des Unternehmens. Das im 19. Jahrhundert als Familienbetrieb gegründete Unternehmen ist heute weltweit tätig. Vater Ernst Leitz und später der gleichbenannte Sohn Ernst Leitz machten das Unternehmen weltbekannt. Der Name Leica entstand aus den Begriffen Leitz(sche) Camera. Erst 2018 trat das Unternehmen in den Brillenglas-Markt ein. Exklusiver Partner für die Herstellung und den Vertrieb der Leica Eyecare-Brillengläser in Europa wurde Novacel. Dass die Brillengläser bislang in Frankreich produziert wurden, erklärt Jörg Bauer damit, dass die ­Geschäftsinteressen zum damaligen Zeitpunkt wohl einfach woanders lagen. Und dass manchmal einfach Zeitpunkt und Menschen perfekt passen müssten – und genau das sei jetzt der Fall: „Es hat vielleicht jemand gefehlt, der die Energie mitbringt zu sagen: ,Wir machen das jetzt hier vor Ort in ­Eigenregie‘, der ein Projekt ausarbeitet und damit das Board wirklich überzeugt. Das habe ich 2020 getan“, erläutert ­Jörg Bauer. Die Firma von Null aufzubauen, war für den Geschäftsführer eine echte Herausforderung. Schließlich brauchte es ein motiviertes Team, ein tragfähiges Konzept und eine Produktion an einem Ort, wo Anfang 2021 nur eine leere Lagerhalle stand. Doch er und das Team haben es geschafft.

Der Ursprung von Leica liegt in der Kameraproduktion.

Novacel soll auch weiterhin ein wichtiger Partner bleiben, insbesondere für den Vertrieb in anderen europäischen Märkten: „Ich kann mir beispielsweise keinen besseren ­Partner für Frankreich vorstellen, dort ist Novacel die Nummer drei auf dem Markt“, sagt Jörg Bauer.

Eine hochmoderne Produktion

Die Spannung, die sich in den letzten Monaten aufgebaut hat, um das Baby ans Licht zu führen, ist in der Halle fast greifbar. Alle wirken hochmotiviert und euphorisch. Aktuell laufen hier noch die letzten Testgläser über das Band. Es gibt immer noch ein Detail oder eine Stellschraube, an der gedreht werden muss, um das Endprodukt Brillenglas noch ein Quäntchen besser zu machen.

Aktuell arbeiten am Standort 20 Mitarbeiter. Gegen Ende des Jahres soll das Team auf circa 30 Personen anwachsen. Ab ­1. Juli sollen rund 600 Aufträge pro Tag produziert werden. Das ist das geplante Startvolumen, erweitert werden kann dann relativ einfach. Beispielsweise durch eine Umstellung auf einen Zwei- oder Drei-Schicht-Betrieb. Der Neuaufbau einer solchen Produktion ist eine Herausforderung: „Es war nichts vorhanden und alles muss neu erschaffen werden. Da geht es nicht nur um die Produktion, sondern um die gesamte Lieferkette und alles muss funktionieren: von der Schnittstelle zum Kunden, über die Entwicklung des Super Clean Coat, die Einhaltung von Standards – wie beispielsweise des Medizinproduktegesetzes – bis hin zum Toilettenpapierhalter. Da hat das Team schnell 15- oder 16-Stunden-Tage“, beschreibt der Geschäftsführer die Anforderungen an ihn und seine Mitarbeiter. Alles gänzlich neu aufzubauen, bietet natürlich auch viele Vorteile, da es keine Altlasten gibt.

Dutzende Maschinen stehen in der Halle. Es sind die neuesten, die es auf dem Markt gibt. Fast alle von Maschinenherstellern, die im direkten Umkreis ansässig sind. Wenn die Entspiegelung doch noch optimiert werden muss oder ein Prozess nicht perfekt läuft, können sich die verschiedenen Experten der Firmen schnell und unkompliziert austauschen, denn die geballte Kompetenz der Augenoptik ist vor Ort. Außerdem können die Maschinenhersteller die neue Produktion als „Show-Lab“ für ihre Kunden nutzen – eine Win-win-Situation.

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Die papierlose Produktion

Dank des durchdachten Konzepts ist die Produktion besonders energieeffizient: „Ich glaube, wir sind beim Thema Nachhaltigkeit so weit gegangen, wie man gehen kann“, erklärt Jörg Bauer stolz. Dazu gehört auch eine echte Innovation, denn das gesamte Lab funktioniert gänzlich papierlos. Vom ersten Schritt an, sobald der Blank aus der Verpackung kommt, bis zum letzten Schritt, der Endkontrolle.

Für den Lab-Alltag bedeutet das, dass jedes Brillenglas­pärchen und der Tray diverse Male neu „verheiratet“ werden müssen. Schließlich durchläuft jedes Glas einen weiten Weg durch die 1.500 Quadratmeter große Halle. Bei keinem der verschiedenen Prozesse wie Schleifen, Polieren, Reinigen, Beschichten, Färben, Endkontrolle und vielem mehr darf die Information verloren gehen, welches Brillenglas zu wem gehört, denn dann würde das große Suchen anfangen. Disziplin und Ordnung haben für die Mitarbeiter demnach höchste Priorität.

Das hält das Team allerdings nicht davon ab, die Dinge auch mal mit Humor zu nehmen. So haben die Mitarbeiter den Maschinen schon Namen gegeben – aus der „Bob der Baumeister“-Serie – und an der Glasfärbestation werden in der Pausenzeit auch mal bunte Designs und Muster für die Kinder ausprobiert, denn starre Strukturen gibt es hier noch nicht.

Das neue Konzept mit viel Emotion

Neben der neuen Produktion am Standort Deutschland wird auch das Gesamtkonzept der Marke überarbeitet. Auch weil Leica Eyecare mit dem neuen Konzept den Fachhandel unterstützen möchte: „Die Augenoptiker werden Gläser bekommen, die in Deutschland gefertigt sind. Von Leica, mit dem Qualitätsanspruch und – sehr wichtig – mit einer klaren Strategie. Denn so eine Marke kann nur von der Marke selbst vertrieben werden, um die DNA, diese Emotionen und auch diese Werthaltigkeit der Marke zu transportieren.“

Besonders wichtig ist es Jörg Bauer, von Anfang an ehrlich damit umzugehen, was angeboten wird und was nicht. Fünf ­Außendienstler sollen dazu sukzessive und gezielt an die ­Augenoptiker herantreten, die gut zu Leica passen könnten. Circa 150 Kunden hätte das Unternehmen gerne im ersten Jahr.

Die Ziele sind bewusst realistisch gesteckt, schließlich wird bei Null gestartet, lediglich die Kunden-Datenbank existiert. Hier geht es also weniger um Masse, als um Qualität. Das soll auch für die Augenoptiker gelten: „Wir wollen den Markt nicht überrennen und müssen nicht omnipräsent sein. Das ist nicht unser Anspruch. Wir wollen Partner sein. Wir wollen dem Fachhandel die Möglichkeit geben, eine Alternative zu haben. Das ist unser Ziel. Und so sind wir auch mit der Kamera aufgestellt“, erklärt Jörg Bauer.

Ein ausgewähltes Portfolio

Sich für die Marke und die Neuaufstellung zu entscheiden, das heißt für das Unternehmen auch, sich bewusst gegen so manches Produkt auszusprechen. So wird es beispielsweise kein mineralisches Glas im Portfolio geben und auch kein Polycarbonat. Damit fährt der Glashersteller genau das gegenteilige Konzept von einzelnen, kleineren deutschen Herstellern, die sich besonders auf Nischenprodukte, wie mineralische Brillengläser, spezialisieren.

Es ist auch nicht das Ziel von Leica Eyecare, den Markt mit vielen Innovationen zu fluten. Stattdessen sollen die Augenoptiker sich auf die gute Qualität verlassen können, einen zuverlässigen Partner an der Seite haben und wenn neue Produkte kommen, dann sollen diese einen echten Mehrwert bieten. Ein Beispiel dafür ist ein Kameraglas – passend zur Marke –, das aktuell noch in der Entwicklung ist.

Mutiges Marketing

Im Marketing startet das Unternehmen mit einem – zumindest für die Branche – ungewöhnlich mutigen Konzept. Der Leitgedanke hier: „Jeder hat es verdient, die Welt so echt wie möglich zu sehen.“

Der Hintergrund des Konzeptes war der Gedanke, dass die Welt, wann man sie über das Smartphone und in sozialen Netzwerken ansieht, sehr häufig mit Filtern zu sehen ist, egal ob es bei der Landschaftsaufnahme ist oder beim Selfie.

Dadurch entstehe fast ein Gruppenzwang, dass jemand schöner zu sein habe als der nächste. „Und ich finde es so unglaubwürdig, dass ein 24-Jähriger mit einem durchtrainierten Sixpack in der Werbung progressive Gläser trägt. Das passt einfach nicht“, ergänzt Jörg Bauer. Daher arbeitet das Unternehmen bewusst mit besonderen Models und vor allem mit echten Charakteren, die nicht dem gängigen Schönheits­­­ide­al entsprechen müssen. Die weder jung sein müssen noch die perfekte Haut haben. In der Werbung sind Menschen mit Pigmentstörungen daher ebenso zu sehen wie Frauen mit grauen Haaren.

Eine einzigartige Chance

Am Ende des Tages ist klar geworden, dass hier Menschen aus Überzeugung arbeiten. Beim Geschäftsführer Jörg Bauer angefangen, über die Mitarbeiter in der Produktion bis hin zum Marketing. Alle haben ihren Teil dazu beigetragen, dass Leica Eyecare zu den Wurzeln, der Marke und Wetzlar zurückkehrt. „Wir können hier etwas schaffen, wozu wir wahrscheinlich niemals wieder im Leben die Möglichkeit bekommen – etwas von Null aufzubauen. Wir können vielleicht mit einem Projekt scheitern, aber aufgeben, das werden wir nicht“. 

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