Sportoptometrie

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Dynamisches Sehen und Auge-Hand-Koordination

Für die Ausübung der meisten Sportarten ist die visuelle Wahrnehmung unbestritten eines der wichtigsten Sinnesorgane. Als Spezialisten für gutes Sehen ist der Augenoptiker Ansprechpartner für viele Sporttreibende. Sportbrillen mit und ohne Korrektion, aber auch Kontaktlinsen sind für diese Zielgruppe die hauptsächlich angefragten Produkte. In dem Zusammenhang konzentriert sich die klassische deutsche Augenoptik in den meisten Fällen rein auf die Optimierung der statischen Sehleistung und die Schutzfunktion einer Brillenversorgung vor Strahlung, Staub und Luft. Kontrastwahrnehmung, Funktionsteste, Tiefensehen, Farbensehen spielen allerdings ebenfalls eine große Rolle und sollten entsprechend Berücksichtigung finden. Weniger bzw. kaum beschrieben ist das Thema der dynamischen Sehleistung sowie die sogenannte Auge-Hand-Koordination. Bei Spitzengeschwindigkeiten von 120 km/h im Handball oder gar 180 km/h im Tischtennis ist die visuelle Wahrnehmung und eine schnelle Reaktion gefordert. Der folgende Artikel gibt einen Einblick in diese wenig beschriebenen Bereiche der dynamischen Sehschärfe und Auge-Hand-Koordination.

Dynamische Sehschärfe bzw. Bewegungssehen

Nach Ludvigh und Miller (1953) beschreibt die dynamische Sehschärfe das räumliche Auflösungsvermögen des Auges für sich bewegende Objekte. Gerade bei Rückschlagsportarten wie z.B. Tennis, Badminton, Tischtennis müssen Sportler in der Lage sein, sich schnell bewegende Objekte zu verfolgen, um eine entsprechende körperliche Reaktion z.B. für einen Rückschlag auszulösen. Das Bewegungssehen kann in zwei Bereiche differenziert werden. Unter efferentem Bewegungssehen versteht man die Abbildung von bewegten
Objekten auf der Netzhaut durch Augen-, Kopf- und Körper­­­bewegungen, sodass das Bild in der Fovea centralis gehalten werden kann. Erfolgt hingegen eine retinale Bildwanderung, also keine Verfolgung des Objektes durch Augen-, Kopf- oder Körperbewegungen, wird dies als afferente Bewegungswahrnehmung bezeichnet. Beide Bewegungen können in Kombination auftreten. 

Für die Messung der dynamischen Sehschärfe finden sich eine Vielzahl von Tests und experimentellen Geräten, wobei die wenigsten Tests miteinander vergleichbar sind. Zu den bekanntesten älteren Tests zählen z.B. der Marsdenball mit aufgedruckten Optotypen, ferner ältere Geräte wie der ­Wayne Robot Rotator – eine Art umgebauter Plattenspieler mit rotierenden Optotypen auf einer Scheibe.

Ein in der wissenschaftlichen Literatur gut beschriebener Test ist der Düsseldorfer Test für Dynamisches Sehen (DTDS) von Wist (1998). Hierbei handelt sich um ein PC-gestütztes Verfahren, bei dem auf einem Random-Dot-Display oszillierende Landoltringe erzeugt werden. Im Testszenario müssen Landoltringe mit konstanter Größe und vier möglichen geraden Öffnungsrichtungen bei fester Kopfhaltung erkannt werden. Hierbei sieht der Proband anfänglich ein schwarz-weißes-Punktefeld. Einige Punkte in Form des Landoldtrings werden dann kurzzeitig oszilliert. Die Optotypen sind nur durch diese schnellen Mikrobewegungen auszumachen. Zur Variation des Schwierigkeitsgrades kann die Anzahl der bewegten Punkte verändert werden.

Ein weiterer, viel beschriebener Test ist die Messung der sog. sakkadischen Ortungsgeschwindigkeit nach Jendrusch. Hierbei können bogenförmige Objektgeschwindigkeiten von bis zu 100 °/s kontinuierlich mit den Augen verfolgt werden. Bei höheren Objektgeschwindigkeiten erfolgen Sakkaden, durch welche eine möglichst präzise Annäherung an das sich bewegende Objekt erfolgen kann. Über 600–700 °/s kann das visuelle System keine Informationen über das dargebotene, sich bewegende Objekt aufnehmen. Es erfolgt eine sakkadische Suppression. In Anlehnung an Ludvigh und Miller wurde das Testverfahren zu einem Test zur Bestimmung der sakkadischen Ortungsgeschwindigkeit weiterentwickelt (Jendrusch 2008, 2011). Unter standardisierten Beleuchtungsbedingungen werden Landoltringe mit konstanter Größe (Visus 0,1) und steigender Geschwindigkeit von links nach rechts über eine bogenförmige Leinwand bewegt. Der Kopf des Prüflings ist dabei fixiert. Schwellenwert stellt die Winkelgeschwindigkeit dar, bei der noch 80% der Sehzeichen richtig erkannt werden können (Tidow 1996). 

Neuere Monitor-basierte Tests wurden auch an der EAH Jena im Rahmen von Abschlussarbeiten entwickelt und getestet, allerdings bisher noch nicht publiziert. Diese Ansätze erscheinen vielversprechend. Ein kürzlich international vorgestellter Test von Hirano und Mitarbeiter testete eine neu entwickelte Fernvisuskarte für die statische und dynamische Sehschärfe. Bei dem Verfahren handelt es sich um ein computergestütztes Messgerät, welches statisches und dynamisches Sehen testet. Es werden Buchstaben dargeboten, die linear aber auch in einem sogenannten Random-Walk sich kontinuierlich über den Monitor bewegen und an verschiedenen Stellen diesen verlassen, aber auch wieder auftauchen können.

Auge-Hand-Koordination

Nach Crawford et al (2004) wirken bei der Auge-Hand-Koordination mehrere sensomotorische Systeme zusammen. Beteiligt sind neben dem visuellen System das vestibuläre System (Gleichgewichtssinn), Augen-, Kopf- und Armkontrollsysteme, Propriozeption (Lage- und Raumwahrnehmung des eigenen Körpers) und Aspekte der Kognition, Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses. Als führendes Sinnesorgan bei der Auge-Hand-Koordination wird der Sehsinn genannt, da zunächst für eine Reaktion ein visueller Reiz erkannt und beurteilt werden muss. Die Zeit, bis ein visueller Reiz von den Rezeptoren des Auges in der Sehrinde ankommt, wird häufig in eine Spanne von 50-80 Millisekunden (ms) angegeben. Durch Messungen der Hirnströme konnten Thorpe und Mitarbeiter nachweisen, dass ein komplexer visueller Reiz ca. 150 ms benötigt, bis er im Gehirn wahrgenommen und skaliert wird. Nach den Ergebnissen dieser Studie vergehen weitere 150 ms, bis eine einfache motorische Reaktion wie z.B. ein Knopfdruck auf den visuellen Reiz ausgelöst wird. (Thorpe, S. et al 1996)

Sehfähigkeit von Spitzensportlern

Die Fähigkeit, visuelle Informationen in kurzer Zeit effektiv zu verarbeiten, ist in schnellen Ballsportarten von enormer Bedeutung. Die Athleten müssen die zentral und peripher aufgenommenen Informationen des Spielgeschehens möglichst genau und schnell erkennen, beurteilen und ihre Reaktion darauf abstimmen. Beispielsweise besitzt der Deutsche Tischtennisprofi Timo Boll die Fähigkeit, den Stempel eines Tischtennisballs bei einer Geschwindigkeit von rund 180 km/h zu erkennen und anhand des
Dralls auf die Flugbahn zu schließen. Ihm bleiben gerade einmal 0,05 s zu reagieren und seinen Rückschlag darauf anzupassen.  In einer Prüfung von Elite-Tischtennisspielern konnten Hülsdünker et al. (2019) die Bedeutung von neuronalen visuellen Prozessen für die VMRT über verschiedene visuomotorisch anspruchsvolle Sportarten und Altersgruppen bestätigen. Eine Reaktionszeit kann sowohl unter Laborbedingungen ermittelt werden als auch an sogenannten Reaktionsboards, die zum Teil auch bei spezialisierten Augenoptikern bzw. Sportoptometristen eingesetzt werden. Im Folgenden wird eine Auswahl dieser Geräte vorgestellt:

T-Wall

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Die T-Wall misst und schult die Reaktion, die Koordination und die Bewegungsfähigkeit. Der Haupteinsatz wird dabei auf die Auge-Hand-Koordination beschränkt, wobei die farbigen Druckplatten auch durch Reaktion mit Fuß, Knie oder Kopf betätigt werden können.  Neben diesen Reaktionstests können auch Ausdauer und kognitive Leistungsfähigkeit wie visuelle Erinnerung geprüft und trainiert werden. Abbildung 5 zeigt die T-Wall Premium, welche im Sportoptmetrie-Praktikum der EAH Jena wie auch bei Sportsvisiontests an Breiten- und Profisportlern eingesetzt wird. 

Senaptec Sensory Station

Ein weiteres multifunktionelles Gerät ist die Senaptec ­Sensory Station. Über 10 verschiedene visuelle und sensomotorische Übungen können damit bewertet werden (Abbildung 4). Darunter befinden sich z.B. Übungen und Tests zu folgenden Bereichen: Kontrastsensitivität, Tiefenwahrnehmung, Fokusänderungen (Nah-Fern-Schnelligkeit), Perzeptionsdauer, Reaktionszeit, Zielerfassung. Innerhalb von 25 MInuten können damit verschiedene visuelle Leistungsparameter gemessen und erfasst werden. 

Dynavision 

Im Gegensatz zu den vorherigen Reaktionsboards ist die ­Anordnung der Leuchtdioden bei Dynavision konzentrisch radiär, wie in Abbildung 6 dargestellt. Zum Einsatz kommt der Dynavision D2 beim Training und der Bewertung von visuellen, kognitiven und motorischen Funktionen in allen Altersgruppen, Stadien und Zuständen (Dynavision 2020). Es dient Sportlern als Trainingsgerät für die Reaktionszeit, die visuelle Wahrnehmung und die Auge-Hand-Koordination. 

Fitlight System

Einen höheren Bekanntheitsgrad als die zuvor beschriebenen Geräte hat das Fitlight System. Es wurde vom dänischen Handballtrainer Erik Rasmussen entwickelt. Es ist ebenfalls ein
multifunktionales System zum Testen und Trainieren von Augen-Körper-Koordination, peripherem Sehen, Reaktionsfähigkeit und Schnelligkeit. Die flexibel zu platzierenden ca. 12 cm großen Sensoren beinhalten einen inneren Ring mit 4 LEDs und einen äußeren Ring mit 10 LEDs. Die Steuerung erfolgt über eine spezielle App. Damit können bis zu 32 Sensoren in einem 40 m Umfeld angesteuert werden. Insgesamt sind 6 verschiedene Farben einstellbar. Die Deaktivierung der Sensoren kann durch Berührung oder auch durch kontaktlose Annäherung (z.B. Überstreichen mit der Hand) erfolgen. Neben vorhandenen Programmen können auch eigene Programme erstellt werden. Mithilfe von verschiedenen Halterungen können die Sensoren vielseitig In- und Outdoor eingesetzt werden, z.B. an Wänden, auf dem Boden oder an Toren. Das Fitlight System kam bereits in diversen Studien zum Einsatz. Oft wird das Gerät zur Messung oder Bestimmung von Reaktionszeiten eingesetzt.

Einen Ausblick auf Weiterentwicklungen stellt die Nutzung von Virtual Reality (VR) Brillen dar. Hierbei taucht der Nutzer in eine virtuelle Welt ein, in der in Echtzeit Interaktionen wie Hand- oder  Kopfbewegungen erfolgen können. Die VR unterschiedet sich hierbei maßgeblich durch eine Echtzeitbetrachtung in einem 360°-Umfeld. Ferner eröffnet die VR-Nutzung weitere Möglichkeiten wie beispielsweise akustische und haptische Reize und eine egozentrische Perspektive. Um das Tiefensehen zu ermöglichen, werden kabelfreie Stereoskopie-Brillen getragen. Die Einsatzmöglichkeiten von VR im Sport sind vielseitig wie z.B. im Therapie- und Rehabilitationsbereich aber auch für Freizeit- und Leistungssport.  

Begriffe aus der Sportoptometrie

Dynamische Sehschärfe
Räumliches Auflösungsvermögen des Auges für sich bewegende Objekte.

Efferentes Bewegungssehen
Abbildung von bewegten Objekten auf der Netzhaut durch Augen-, Kopf- und Körperbewegungen.

Afferentes Bewegungssehen
Abbildung über retinale Bildwanderung.

Random-Walk
zufällige (stochastische) Bewegung, zufällige Schrittfolge, ein mathematisches Modell für eine Verkettung zufälliger Bewegungen.

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