Gleitsichtgläser neu gedacht
Die Vorstellung von Varilux XR Series auf der Mido
Auf der vergangenen Mido präsentierte sich EssilorLuxottica erstmals mitsamt seines ganzen Spektrums unter einem Dach. Wer zwischen den Hallen wechselte und den riesigen Schriftzug des Unternehmens passierte, stand mittendrin, in der geballten Gruppenpräsenz, die alle Bereiche aus dem Unternehmen zeigte: Von Refraktion über Brillen, Brillengläser weiter zu Lernsystemen und Dienstleistungen bis zu Omnichannel-Angeboten für Fachgeschäfte. Hier stellte das Unternehmen auch sein neues Herzstück bei den Gleitsichtgläsern vor: Varilux XR Series.
Mit diesem Messeauftritt zeigte EssilorLuxottica: Wir sind das Vision Care-Unternehmen. Mit allen Facetten. Das demonstrierte der Stand auch visuell. Für das neue Gleitsichtglas wurde der Vorhang in Mailand hier bereits beiseitegeschoben, obschon das Brillenglas erst im April auf einer großen Veranstaltung in Berlin dem deutschen Markt und seinen Partnern vorgestellt werden soll. So war es dann auch EssilorLuxotticas Co-COO und früherer Chef von Forschung und Entwicklung, Dr. Norbert Gorny selbst, der in Begleitung des Essilor-Deutschland-Chefs Alexander Mohr das neue Produkt im Pressegespräch vorstellte. Da das Unternehmen einen ganz erheblichen Teil in die Forschung und Entwicklung neuer Produkte investiert, gab Dr. Gorny einen profunden Einblick in die Entstehungsgeschichte dieses Glasdesigns.
Zunächst habe man sich angeschaut, wie Menschen heute ihren visuellen Sinn nutzen und was sich in den vergangenen Jahren geändert hat. Durch die Einführung der Smartphones vor rund 16 Jahren hat sich der Leseabstand bei den Erwachsenen um durchschnittlich 3,5 cm verkürzt und somit verbrauchen die Menschen ihre Akkommodationsreserve schneller. Außerdem ist der Mensch heute wesentlich mehr visuellen Reizen ausgesetzt, die verarbeitet werden müssen. Bei der Nutzung von Gleitsichtgläsern komme es daher vor, dass in dynamischen Prozessen die Verarbeitung verzögert ist.
Hier haben die Entwickler also einen besonderen Schwerpunkt gelegt und entstanden sei das erste Gleitsichtglas, was für sofortige Schärfe in Bewegung sorge. Der Antrieb liege hier in der künstlichen Verhaltensintelligenz, erklärte Dr. Gorny gegenüber FOCUS. Er betonte: „Wir konnten herausfinden, dass beim aktuellen Lebensstil vieler Menschen in der modernen Welt, sich die Augen rund 100.000-mal am Tag bewegen, um all die visuellen Informationen zu verarbeiten, denen wir ausgesetzt sind“. So wurden als Grundlage im Vorfeld Daten von mehr als 4.000 Konsumenten untersucht, um ein Verständnis für die aktuellen Lebensgewohnheiten und Sehprobleme von Presbyopen zu erhalten und zu vertiefen, erklärte er weiter.
Sehvorhersage mittels KI
Die Gruppe hatte dafür mehr als eine Million Daten gesammelt, um ein völlig neues System zur Verhaltensmodellierung zu entwickeln, das dann vorhersagt, wie presbyope Menschen Objekte in ihrer Umgebung betrachten werden. „Die Stärke der Künstlichen Intelligenz liegt in der Quantität, Qualität und Vielfalt der Daten und der Art und Weise, wie sie analysiert werden. Die Erkenntnisse, die wir aus den Daten von Bestellungen, realen Tragetests, Messungen der Augenoptiker und physiologischen Modellen gewonnen haben, sind exklusiv für EssilorLuxottica. Dank der digitalen „Zwillings“-Technologie (mittels Avatar-Zwilling) können wir nun für jede einzelne Verordnung ein Profil des Sehverhaltens erstellen und das erste augen-responsive Brillenglas anbieten, das das natürliche Sehverhalten des Auges berücksichtigt“, so Norbert Gorny.
Hinzu kommt, dass Varilux XR eine neue Methode zur Berechnung eines vollständigen binokularen Sehansatzes für jeden Träger ermöglicht, was letztendlich eine schnellere Anpassung für Gleitsichtglaskunden bietet. Für die Berechnung wird ein Avatar des Trägers erzeugt, bei dem alle relevanten Seh-Daten berücksichtigt werden. Neu daran ist auch, dass nicht mehr wie bisher jedes einzelne Glasdesign für sich berechnet wird, sondern stets im Zusammenhang mit dem Zweiten. Die Werte des linken und rechten Auges stehen somit in direkter wechselseitiger Wirkung zueinander. Dieser Umstand verbessert das Zusammenspiel beider Augen und die visuelle Verarbeitung.
Wird es kompliziert? Nein, denn „als Grundlage dient lediglich die Brillenglasverordnung, die PD und die Anpasshöhe, das ist alles, was wir brauchen“, erläutert Norbert Gorny. Die KI weiß anhand der Daten, welche Sehbereiche relevant sind. Somit müsse der Augenoptiker keine andere Messmethode anwenden und auch seine Arbeitsweise nicht anpassen.
Erfahrene Augenoptiker haben weiterhin die Möglichkeit, Empfehlungen auszusprechen, die ihrer Meinung nach für den Träger von Vorteil sein könnten.
Dem modernen Lebensstil angepasst
Zur Veranschaulichung zeigte Norbert Gorny die unterschiedlichen Progressionsdesigns von Gleitsichtgläsern – einmal als herkömmliches Design und einmal mittels KI berechnetem Design. Der Unterschied liegt vor allem in einem aufgeräumten Aufbau der Sehzonen und minimalen Verzeichnungen im Randbereich.
Interessant ist es, dass das Varilux XR auch bei kürzeren Leseabständen, wie es etwa bei der Nutzung von Smartphones auftritt, zur Optimierung führt. Das habe Vorteile sowohl für die Einstiger und jüngeren Gleitsichtglaskunden als auch reifere Träger, die somit in Betracht gezogen werden können.
Brillenträger profitierten so von sofortiger Sehschärfe, auch in Bewegung, mit bis zu 49% mehr Sehvolumen im Vergleich zum Vorgänger Varilux X Series. In unabhängigen Tests von Drittanbietern zogen 87% der Konsumenten, die zumeist hochwertige Gleitsichtgläser tragen, das neue Gleitsichtglasdesign ihrem vorherigem vor, nachdem sie diese ohne Änderung ihrer Sehstärke getestet hatten. Außerdem gewöhnen sich rund 95% der Träger bereits am ersten Tag an ihre neuen Gleitsichtgläser, heißt es vom Unternehmen.
Auch beim Gleitsichtglas die Nachhaltigkeit im Blick
Da bei der Fertigung in der Brillenglas-Produktion vom Halbfabrikat bis hin zum fertigen Brillenglas ein Großteil der Monomere abgetragen und verloren gehen, hat das Unternehmen auch hier einen neuen Ansatz gesucht. Das sei sicher eine inakzeptable Form des Ressourcenverlusts, insbesondere in einer Zeit wie dieser, in der wir alle den Blick auf eine nachhaltige Nutzung richten, erläutert Dr. Gorny. Das Design und der Produktionsprozess kann sowas nun berücksichtigen.
Dies wurde laut EssilorLuxottica durch eine von einem unabhängigen Dritten durchgeführte Lebenszyklusanalyse bestätigt, die eine Reduzierung des Kunststoffverbrauchs um 19% und damit einen Rückgang der CO2-Emissionen um 6% ergab.
Das wird sicher nicht der letzte Schritt in diesen Bestrebungen bleiben. Prinzipiell fällt bei der subtraktiven Fertigung generell mehr Müll an als bei einer denkbaren additiven Fertigung. Diese Methode wird zwar bereits in kleinem Maßstab angewendet, bis es eine Größenordnung erhält, bei der man von einer generellen Produktion sprechen kann, wird es aber sicher noch etwas dauern.