OCT-Auswertung
Mit Hilfe einer normativen Datenbank
Die normative Datenbank ist nur eins von mehreren Hilfsmitteln im Screening-Bereich. Welche Erkenntnisse durch den Vergleich mit der Norm gewonnen werden können und welche Einschränkungen es gibt, soll in diesem Artikel einmal ausführlich beleuchtet werden.
Was ist eine normative Datenbank?
Normative Datenbanken wurden bereits in den optische Kohärenztomographie-Geräten der ersten Generation, den sogenannten Time-Domain-OCT (TD) verwendet, um Auffälligkeiten sichtbar zu machen. Die normativen Datensätze ermöglichen es, einen aktuellen Messwert mit einer Sammlung zahlreicher Augen zu vergleichen und somit ein Gefühl für die Größe des Messwertes zu erhalten.
Eine ähnliche Einstufung wird bei Gewichts- und Wachstumskurven von Babys und Kleinkindern eingesetzt. Die Perzentilkurven* helfen Eltern eine Einschätzung zu bekommen, wo ihr eigenes Kind im Vergleich zu anderen Kindern liegt.
Wie wird eine normative Datenbank erstellt?
Grundlegend sind alle Norm-Datenbanken am Markt ähnlich aufgebaut. Auch wenn jeder Hersteller seine eigene Datenbank zusammenstellen lässt, ist die dahinterliegende Arbeit mehr oder weniger identisch. Es wird eine definierte Anzahl von Menschen mit dem OCT untersucht. Je nach gewünschtem Parameter wird ein spezifischer Teil des Auges vermessen. Anschließend werden in den Tomogrammen die einzelnen Schichten (Layer) „eingezeichnet“, z.B. ILM und RPE für die Netzhautdicke. Diese Kontrolle der Schichten muss in allen einzelnen B-Scans erfolgen. Für eine 3D-Untersuchung der Retina bedeutet dies eine Kontrolle von 168 Bildern pro Auge. Diese Kontrolle muss für alle Personen und deren Untersuchungen in der normativen Datenbank erfolgen. Je nach Hersteller können es bis zu 650 Personen sein. Diese Kontrolle erfolgt durch ausgewählte Augenärzte, die an extra dafür ausgewählten Standorten diese komplexen Datensätze für die normativen Datenbanken erheben.
Die meisten normativen Datenbanken enthalten zahlreiche Testpersonen aus unterschiedlichen Altersstufen. Dadurch kann die natürliche Verdünnung der Strukturen über die Lebenszeit dokumentiert und verglichen werden. Auch die ethnische Herkunft eines Menschen spielt bei der Erstellung und Anwendung eines normativen Vergleichs eine übergeordnete Rolle. Daher muss beim Anlegen der Kunden die ethnische Herkunft berücksichtigt werden. Übliche Einteilungen sind hierbei Menschen kaukasischer, asiatischer, afroamerikanischer und lateinamerikanischer Herkunft. Typischerweise unterscheiden sich Parameter wie z.B. die Netzhautdicke zwischen den unterschiedlichen ethnischen Gruppen.
Welche Parameter sind in der Norm-Datenbank erfasst?
Die folgenden Parameter und Beschreibungen beziehen sich auf die Software der REVO SD-OCTs der Firma Optopol. Bei anderen Herstellern können Bezeichnungen und Distanzen abweichen.
Netzhautdicke
Die Netzhautdicke ist der Bereich zwischen der inneren Grenzmembran (ILM) und dem retinalen Pigmentepithel (RPE). Der Wert wird auf einer Fläche von 6 x 6 mm erfasst. Dafür wird eine Retina-3D-Untersuchung auf einer Fläche von 10 x 10 mm aufgenommen. Abbildung 1 zeigt den B-Scan einer Netzhaut. Oberhalb der roten Linie liegt der Glaskörper, unterhalb der türkisfarbenen Linie liegt die Aderhaut. Zwischen den beiden Linien liegen die regelmäßig angeordneten Schichten der Netzhaut. Die vertikale grüne Linie zeigt einen einzelnen A-Scan innerhalb des B-Scans mit der gemessenen Netzhautdicke für diesen Punkt. Der Wert wird im Diagramm darunter mit der Norm-Datenbank verglichen. Die Farben entsprechen der weiter oben im Artikel beschriebenen prozentualen Einteilung. Bei der Netzhautdicke wird auch die „positive Abweichung“ normativ erfasst, wodurch z.B. die Erkennung von ödematösen Veränderungen (Verdickungen) unterstützt wird.
Ganglienzelldicke
Die Messung der Ganglienzellen erfolgt, ebenso wie die Netzhautdicke, in einem 3D-Scan der Retina. Dazu liegt optimalerweise eine Messung beider Augen vor. Dies ermöglicht zusätzlich einen Asymmetrie-Vergleich der beiden Augen. Die Auswertung der GCL+IPL ergibt den sogenannten „Donut“, welcher in Abbildung. 2 zu sehen ist. Die Dickenmessung erfolgt zwischen der orangefarbenen und der gelben Linie. Die Auswertung umfasst zusätzlich einen Vergleich der Sektoren mittels Tortendiagramm und einen Vergleich der Mittelwerte über die gesamte Fläche.
Nervenfaserschichtdicke
Die Werte für die Nervenfaserschichtdicke können aus einem engmaschigen 3D-Scan der Papille (Disc) ermittelt werden. Dieser kann von der Vollautomatik der OCT-Software auf Wunsch eingestellt und ausgelöst werden. Dies minimiert den Arbeitsaufwand und erhöht den Komfort für den Kunden. Die Auswertung in Abbildung 3 sieht auf den ersten Blick kompliziert aus, wird aber mit einer gezielten Einarbeitung in die Software ausführlich erläutert. Die grünen, gelben und roten Bereiche zeigen den Vergleich zur normativen Datenbank.
Cup-Disc-Statistik
Das Cup-Disc-Verhältnis ist wohl der Goldstandard in der Glaukomdiagnostik. Zahlreiche Studien haben die Wirksamkeit des Parameters und die Zuverlässigkeit der Vorhersage bestätigt. Auch bei der Sehnervenkopf-Analyse des OCT wird dieser Parameter berücksichtigt und ist ebenfalls normativ erfasst. Zusätzlich werden zahlreiche andere Parameter berücksichtigt und normativ erfasst (siehe Abbildung 4).
In Abbildung 5 sind die Markierungen in den verschiedenen Schichten zur Berechnung der Cup-Disc eingezeichnet. Sowohl für die Werte der Nervenfaserschichtdicke als auch für die Ergebnisse der Cup-Disc-Statistik können deutliche Abweichungen zur Norm vorhanden sein, ohne dass es sich dabei um krankhafte Veränderungen handelt. Der exakte Winkel, in dem die Nervenfasern aus der Papille austreten, können deutlich variieren. Auch die Größe der Disc und Cup können ganz individuelle Werte annehmen, ohne sofort als pathologisch zu gelten. Insbesondere die Fehlsichtigkeit des Kunden muss an dieser Stelle als beeinflussender Parameter betrachtet werden.
Wie werden die Graphen der normativen Datenbank gelesen?
Abbildung 6 zeigt die typische Darstellung der Netzhautdicke im OCT und Abb. 7 die der Nervenfaserschichtdicke. Die grün markierten Bereiche entsprechen den 5 bis 95 Perzentilen, was bedeutet, dass 90% aller Messwerte der Probanden und Probandinnen der normativen Datenbank in diesem Bereich liegen. Der gelbe Streifen unterhalb des grünen Bereichs, markiert den Bereich von 1 bis 5%, der anschließende rote Bereich den < 1%. Wie vorab bereits erwähnt, werden bei der Netzhautdicke auch „positive Abweichungen“ dokumentiert, daher gibt es in der Darstellung der Netzhautdicke auch einen gelben (95 – 99%) und einen rosa (> 99%) Bereich. Diese Bereiche entfallen bei der Nervenfaserschichtdicke (Abb. 7). Die dunkle Linie zeigt in beiden Abbildungen die Messwerte der aktuellen Person.
Betrachtet man in Abbildung 6 die Netzhautdicke des vorliegenden Falls, so zeigen die Messwerte auf der rechten Seite eine Erhöhung in den rosafarbigen Bereich hinein. Der Messwert liegt damit im > 99% Bereich, was nichts anders bedeutet, als dass 99% aller Probanden in der normativen Datenbank an dieser Stelle eine dünnere Netzhaut hatten. Im Gegensatz dazu zeigt sich in Abbildung 7 ein kleines Stück Nervenfaserschichtdicke, die den roten Bereich touchiert. Daraus kann die Information gelesen werden, dass 99% der Probanden in der Norm-Datenbank an dieser Stelle eine dickere NFL vorweisen konnten.
Anwendung der normativen Datenbank
Grundlegend sei an dieser Stelle gesagt, dass die Auswertung der OCT-Daten mit zunehmender Anzahl von Messungen im Laufe der Zeit präziser und aussagekräftiger wird. Der wichtigste Vergleich für den Patienten ist der mit den eigenen Aufnahmen von vor einem Jahr – oder sogar von vor zehn Jahren. Daher sollte ein OCT-Screening so früh wie möglich gestartet werden.
Abbildung 8 zeigt drei unterschiedliche Kundenbeispiele. Die schwarzen Punkte des Fallbeispiels 1 zeigen einen Verlauf wie aus dem Bilderbuch. Geht man davon aus, dass der Zeitraum zwischen der ersten und der letzten Messung ca. 35 Jahre beträgt, wären in diesem Beispiel nur geringfügige Verluste durch normale, degenerative Prozesse zu verzeichnen. Das zweite Beispiel wird durch die blauen Punkte verkörpert. Diese liegen grenzwertig zwischen dem grünen und unteren gelben Bereich. Zu Beginn könnte man diese Person als kontrollbedürftig einstufen und die Messung zunächst häufiger durchführen. Im Laufe der Jahre würde aber keine Verschlechterung der Messwerte festgestellt werden können. Diese Person hat generell ein etwas dünneres Gewebe, was zu diesem grenzwertigen Verlauf führt. Grundlegend handelt es sich dabei aber nicht um einen pathologischen Befund. Das Ziel sollte hier sein, eine engmaschige Kontrolle durchzuführen. Erst bei gleichbleibenden Ergebnissen können die Kontrollintervalle ausgedehnt werden. Anders verhält es sich mit dem dritten und letzten Fall (rote Punkte). Die ersten Messpunkte wiegen den Auswertenden in einer falschen Sicherheit. Da die Werte im grünen Bereich liegen, könnte der schnelle und starke Verlust übersehen werden. Aber genau an dieser Stelle spielt die OCT-Technologie ihre Stärken aus. Der direkte Vergleich zur ersten Messung zeigt spätestens bei der vierten Messung den deutlichen Verlust. Der exakte Grund für diesen Verlust muss dann durch einen Augenarzt abgeklärt werden. Das Screening mit dem OCT hat aber, dank präziser Messungen, den Schaden sichtbar gemacht, bevor die untersuchte Person deutliche Einschränkungen spüren kann.
Nicht jeder Messwert im roten Bereich bedeutet eine Erkrankung
Die OCT-Auswertung wäre ohne die Werte der normativen Datenbank um einiges schwieriger. Es handelt sich um eine Unterstützung für den Anwendenden, die zu einem wichtigen Instrument der Analyse geworden ist. Ein Vorteil gegenüber KI-basierter Screening-Systeme liegt in der Gesamtheit aller Messwerte, welche durch die normativen Daten und die eigene, steigende Erfahrung weiter unterstützt werden. Es werden nicht nur die erzeugten Tomogramme analysiert, um krankhafte Veränderungen zu finden, sondern es erfolgt auch eine Einstufung gegenüber einer gesunden Norm. In Kombination mit der Verlaufskontrolle werden damit besonders die versteckten und die langsam voranschreitenden Erkrankungen zuverlässig aufgedeckt. Die normative Datenbank sollte am Ende aber nicht wie eine Ampel verstanden werden, bei der jeder Messwert im roten Bereich sofort einer Erkrankung entspricht.