Praxisnäher und zukunftsfest

Der ZVA über die Hintergründe und Ziele der neuen Meisterprüfungsverordnung
Die Anforderungen an Augenoptikermeister haben sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt – von optometrischen Aufgaben über Myopie-Management bis hin zur Kontaktlinsenanpassung. Mit der Novellierung der Meisterprüfungsverordnung reagiert der Zentralverband der Augenoptiker und Optometristen (ZVA) auf diese Entwicklungen. Im Interview erläutern Verbandspräsident Christian Müller und Dirk Schäfermeyer, Leiter der Abteilung Berufsbildung, wie die neuen Inhalte praxisnäher gestaltet wurden, welche Kompetenzen künftig im Fokus stehen und wie der rechtliche Rahmen gewahrt bleibt.
Während früher vor allem handwerkliche Fertigkeiten im Vordergrund standen, sind heute zunehmend optometrische Kompetenzen im Beruf des Augenoptikers gefragt. Das hat sich auch auf Kundenseite herumgesprochen. Gestiegene Erwartungen an die augenoptische Versorgung sind die Konsequenz. Aus diesem Grund hat der ZVA die Meisterprüfungsverordnung überarbeitet. Welche inhaltlichen und strukturellen Änderungen vorgenommen wurden, wie internationale Entwicklungen berücksichtigt wurden und welche Rolle die neue Situationsaufgabe spielt, hat FOCUS in Erfahrung gebracht.
- Christian Müller (Bild: ZVA/Peter Boettcher)
- Dirk Schäfermeyer (Bild: ZVA/Peter Boettcher)
FOCUS: Was waren die wichtigsten Gründe für die Novellierung der Meisterprüfungsverordnung aus Sicht des ZVA? Welche genauen Entwicklungen in der Augenoptik haben den Bedarf ausgelöst?
Müller: Die bisherige Meisterprüfungsverordnung stammt aus dem Jahr 2005. Seitdem haben sich die Anforderungen im Beruf deutlich verändert. Heute stehen Themen wie die stärkere Einbindung optometrischer Leistungen, die zunehmende Spezialisierung bei der Kontaktlinsenanpassung, das Myopie-Management sowie der Umgang mit modernen Diagnostikgeräten im Mittelpunkt.
Gleichzeitig sind die Erwartungen von Kunden, Ärzten und Krankenkassen an die Fachkompetenz von Augenoptikermeistern gestiegen. All dies hat es erforderlich gemacht, die Meisterprüfung neu auszurichten. Der ZVA hat sich dafür eingesetzt, dass neue Prüfungsinhalte praxisnah, zukunftsorientiert und realistisch umsetzbar sind.
FOCUS: In welchem Maß wurden auch internationale Standards und Entwicklungen in der Augenoptik/Optometrie berücksichtigt?
Müller: Die Novellierung wurde selbstverständlich nicht isoliert betrachtet, sondern auch im internationalen Kontext. In vielen europäischen Ländern und auch in Nordamerika ist die Optometrie bereits seit Jahren stärker verankert. Ziel war es allerdings nicht, ein ausländisches Modell zu übernehmen, sondern die Besonderheiten des deutschen Gesundheitssystems und der augenoptischen Tradition zu berücksichtigen. Internationale Entwicklungen, etwa im Bereich optometrischer Screening-Verfahren, oder auch neue Technologien und Messverfahren wie zum Beispiel das Myopie-Management, sind in die Verordnung eingeflossen. Wir haben darauf geachtet, dass die neuen Prüfungsinhalte einen Anschluss an internationale Standards ermöglichen.
FOCUS: Wie konkret wird das Thema Kontaktlinsenanpassung in der Prüfung zukünftig geregelt? Welche Anforderungen werden gestellt, z.B. an Anpassungskompetenz, Auswahl der Linsen, Umgang mit Komplikationen etc.?
Schäfermeyer: Die Kontaktlinsenanpassung nimmt in der neuen Meisterprüfungsverordnung einen höheren Stellenwert ein als bisher. Künftig wird nicht nur das technische Einsetzen und Kontrollieren geprüft, sondern die gesamte Kompetenzkette: von der Auswahl der geeigneten Kontaktlinsen über die individuelle Anpassung bis hin zum Erkennen von Auffälligkeiten am Auge sowie mögliche Komplikationen. Damit wird die Verantwortung der Meisterinnen und Meister für eine sichere und fachgerechte Versorgung stärker betont. Der ZVA hat sich dafür eingesetzt, dass die Anforderungen anspruchsvoll, aber praxisgerecht formuliert sind – also auf einem Niveau, das im betrieblichen Alltag erforderlich ist, ohne die Grenze zu ärztlichen Tätigkeiten zu überschreiten.
FOCUS: Wie sieht die neue Situationsaufgabe genau aus? Welche Kompetenzen sollen dabei geprüft werden?
Müller: Mit der neuen Situationsaufgabe wird ein zentrales Element in der praktischen Prüfung eingeführt, das die Praxisnähe der Prüfung erheblich stärkt. Dabei soll ein realer Beratungs- und Versorgungsfall möglichst authentisch simuliert werden – zum Beispiel an einem Kunden mit besonderen Sehansprüchen oder gesundheitlichen Fragen.
Schäfermeyer: Geprüft werden nicht nur die rein fachlichen Fertigkeiten, sondern auch die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge zu erkennen, Entscheidungen zu begründen und den Kunden verständlich zu beraten. Je nach Fall können dabei unterschiedliche Geräte und Verfahren zum Einsatz kommen – von der Refraktionsbestimmung über die Beurteilung des vorderen und hinteren Augenabschnitts bis hin zu Screening-Maßnahmen. Ziel ist es, die Gesamtkompetenz des Meisters zu erfassen: also Fachwissen, praktische Fertigkeiten und kommunikative Fähigkeiten in einem stimmigen Gesamtbild.
FOCUS: Wie sehen die Übergangsregelungen aus, z.B. für Kandidaten, die schon in der Vorbereitung sind?
Schäfermeyer: Prüfungsverfahren, die ab dem 1. Juli 2026 begonnen werden – also nach Anmeldung und Zulassung zu diesem Zeitpunkt – finden auf Grundlage der neuen Meisterprüfungsverordnung statt. Bis zum Inkrafttreten der neuen Verordnung werden alle Meisterprüfungen noch nach der derzeit gültigen Fassung durchgeführt.
FOCUS: Wie stark wird sich die Prüfungsbelastung verändern, insbesondere durch Pflichtanteile, die früher optional waren?
Müller: In der praktischen Prüfung war es bisher möglich, entweder eine Kontaktlinse anzupassen oder eine Brille anzufertigen. Da die handwerkliche Fertigung von Brillen bereits fester Bestandteil der Gesellenprüfung ist, wird sie künftig in der Meisterprüfung nicht noch einmal abgeprüft. Diese Option entfällt also. Stattdessen wird die Kontaktlinsenanpassung verpflichtend, ebenso wie optometrische Aufgabenstellungen. Damit wird ein einheitliches und höheres Qualifikationsniveau gewährleistet, ohne die Prüflinge unnötig zu belasten. Entscheidend ist, dass die Anforderungen praxisnah formuliert sind und den Kompetenzen entsprechen, die Meisterinnen und Meister im Alltag tatsächlich benötigen.
FOCUS: Werden sich Dauer oder Umfang der Vorbereitung (z.B. Praxisstunden, Simulationen) deutlich erhöhen?
Schäfermeyer: Der neue Rahmenlehrplan des ZVA, der die Meisterprüfungsverordnung inhaltlich übersetzt, sieht wie bisher einen Gesamtumfang von rund 1.600 Stunden für die Vorbereitung auf alle vier Teile der Prüfung vor. Dieser zeitliche Umfang bleibt also unverändert, es gibt keine Ausweitung der Vorbereitungszeit. Anpassungen ergeben sich inhaltlich: Die Kontaktlinsenanpassung ist künftig klarer definiert, sodass die Prüflinge genau wissen, was gefordert ist. Zudem werden im Meisterprüfungsprojekt optometrische Untersuchungen stärker berücksichtigt. Zudem wurden betriebswirtschaftliche Inhalte im fachtheoretischen Prüfungsteil stark modernisiert. Das sind Kernkompetenzen, die im Berufsalltag unverzichtbar sind. Damit bleibt der zeitliche Rahmen für die Vorbereitung stabil, aber die inhaltliche Ausrichtung der Prüfung wird praxisnäher und zielgerichteter.
FOCUS: Wie wird sichergestellt, dass mit den neuen optometrischen bzw. gesundheitsbezogenen Prüfungsanforderungen keine Überschneidung mit ärztlichen Tätigkeiten begründet wird? Wie wird der rechtliche Rahmen gewahrt?
Müller: Die neue Meisterprüfungsverordnung bleibt klar innerhalb des rechtlichen Rahmens. Optometrische Tätigkeiten im Berufsbild und in der Prüfung sind ausschließlich solche, die auch im beruflichen Alltag eines Augenoptikermeisters zulässig sind. Dazu gehören Screeningverfahren, das Erkennen von Auffälligkeiten am vorderen und hinteren Augenabschnitt und ggf. die Weiterleitung an einen Arzt, wenn eine medizinische Abklärung erforderlich ist. Eine fachärztliche Diagnose oder gar eine therapeutische Behandlung bleibt selbstverständlich dem Arzt vorbehalten.
Es werden keine Kompetenzen geprüft, die über den gesetzlich zulässigen Tätigkeitsbereich hinausgehen. Gleichzeitig stärkt die Novellierung den interdisziplinären Austausch: Augenoptikermeister und -meisterinnen können Auffälligkeiten gezielter erkennen und werden damit eine wichtige Schnittstellenfunktion übernehmen.
FOCUS: Welche Haftungsfragen könnten sich durch die Erweiterung der diagnostischen Aufgaben ergeben?
Schäfermeyer: Die Haftung ändert sich durch die neue Meisterprüfungsverordnung nicht. Augenoptikermeisterinnen und -meister bewegen sich weiterhin in dem rechtlichen Rahmen, der für das Augenoptikerhandwerk gilt. Das bedeutet: Sie haften für die fachgerechte Ausführung der Tätigkeiten, die ihnen erlaubt sind und die sie durchführen – also beispielsweise für eine korrekte Refraktionsbestimmung, eine sichere Kontaktlinsenanpassung oder die sachgemäße Durchführung optometrischer Untersuchungen. Eine Diagnose wird nicht gestellt, daher entsteht hier auch keine zusätzliche Haftung. Im Gegenteil: Die Novellierung trägt zur Rechtssicherheit bei, weil die Kompetenzen und Prüfungsanforderungen nun klarer beschrieben sind. Die Prüflinge lernen damit auch, ihre Verantwortung bewusst wahrzunehmen, sowie Grenzen zu erkennen und einzuhalten.
FOCUS: Wie ist bisher das Feedback aus der Praxis von Auszubildenden und Meistern? Wo wird es als sinnvoll angesehen, wo gibt es Kritik?
Müller: Das bisherige Feedback aus der Praxis ist überwiegend positiv. Viele Betriebe und Meisterschulen begrüßen, dass die neuen Prüfungsinhalte die Realität im Berufsalltag besser widerspiegeln und die Meisterprüfung dadurch moderner und praxisnäher wird.
Schäfermeyer: Besonders die klare Gewichtung der Kontaktlinsenanpassung und die stärkere Berücksichtigung optometrischer Screeningverfahren werden als sinnvoll angesehen. Kritik gibt es vereinzelt in Bezug auf den zusätzlichen organisatorischen Aufwand, der mit der Umstellung verbunden ist – etwa die Notwendigkeit, Unterrichtskonzepte oder Prüfungsabläufe anzupassen. Insgesamt überwiegt aber die Zustimmung, weil die Novellierung als ein wichtiger Schritt gesehen wird, um den Meistertitel zukunftsfest zu machen.