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Spectaris-Trendforum 2024/25

Bilder: Silke Sage

„Den Mutigen gehört die Welt!“

Der erste Sonntag im November bekommt in jedem Jahr ein rotes Kreuz im Kalender – es ist Zeit für das Trend­forum! Wie immer startete das Event des Industrieverbands Spectaris bereits einen Tag vor der eigentlichen Veranstaltung – klassisch mit einem zünftigen Get-Together. Diesmal aber zusätzlich auch mit einem Deep Dive-Workshop zum Thema Screening. Am Abend traf man sich in einer der hippsten Locations in Berlin, wo Networking und Feiern im Vordergrund standen, bevor am Montag das eigentliche Trendforum stattfand.

Das Trendforum ist außergewöhnlich. Es ist eine ganz besondere Veranstaltung, in einer besonderen Location, mit besonderen Themen und nur, wer schon einmal hautnah dabei war, weiß, wie besonders es wirklich ist. Den Auftakt bildete wie immer die Vorabend-Party, die wie im vergangenen Jahr im „Klunkerkranich“ stattfand. Über den Dächern von Neukölln, auf einem (abends) verlassenen Parkhaus, findet man – mit entsprechender Anleitung – eine der hippsten Locations von ganz Berlin. Was man nämlich auf einem Parkhaus außerhalb der Öffnungszeiten absolut nicht erwartet, ist eine gemütliche Event-Location, die eine wilde Mischung aus Omas Kaffeekränzchen und einer Art Après-Ski-Hütte darstellt. Das Get-Together machte seinem Namen alle Ehre: man traf sich, man führte spannende Gespräche, schlemmte und ja, tatsächlich wurde auch ein wenig getanzt.

Neu war in diesem Jahr, dass es an diesem Sonntag, neben dem Get-Together auch noch eine weitere Veranstaltung gab, bei dem sich ein kleiner Kreis an Experten über das Kernthema „Screening – jetzt oder nie“ austauschte. Im sogenannten Deep Dive ging es um die persönlichen Gepflogenheiten und Erfahrungen, die Erkenntnisse des Workshops sollten dann in der Podiumsdiskussion auf dem Trendforum tags darauf vorgestellt werden.

Auftakt in eine bedeutsame Woche

Am Montagmorgen des 4. Novembers startete das Trendforum wie immer in der Berliner Classic Remise und nachdem Mirjam Rösch, Vorsitzende des Spectaris-Fachverbandes ­Consumer Optics, das Publikum begrüßt hatte, eröffnete Dr. Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik den Tag mit ihrer Keynote zum Thema Pulverfass-Weltpolitik. In dieser politisch bedeutsamen Woche half sie dabei, die aktuellen Konflikte der Welt einzuordnen und machte auf Chancen und zu erwartende Gefahren aufmerksam. Im Angesicht der zu diesem Zeitpunkt unmittelbar bevorstehenden Wahlen in den USA war dieser Vortrag von außerordentlicher Bedeutsamkeit und konnte das Publikum fesseln.

Screening – jetzt oder nie

Im Anschluss an diese besondere Keynote folgte die Podiumsdiskussion zum Thema: „Screening – jetzt oder nie!“. Die Teilnehmer stellten die Erkenntnisse des Deep Dives vom Vortag vor und waren sich in der Kernaussage einig: Ein bewusstes und hochwertiges Screening sollte zum Alltag eines Augenoptikers dazu gehören und deshalb überall eingeführt werden. Dabei muss es nicht immer die Untersuchung mit OCT oder ein Fundusbild sein, für das kostspielige Geräte angeschafft werden müssen. Tränenfilmanalysen, Cover-/Uncovertest, Amslergitter und und und – all das sind Screeningteste, die praktisch kein zusätzliches Equipment benötigen, dem Kunden aber einen echten Mehrwert bieten können. Zumindest für den Anfang sei es eine einfache Möglichkeit einzusteigen und sich nach und nach immer weiter zu spezialisieren.

Innovation Kontaktlinse

Nach einer ersten Kaffeepause ging es mit den augenoptisch-fachlichen Themen weiter. Bei ihrem Thema „Tomorrow Vision – Kontaktlinse und Innovation: Zusammen stark!“ sprachen Patricia Dallinger und Florian Treier vom Spectaris-Kontaktlinsen-Kreis von den Möglichkeiten, die Kontaktlinsen bieten. Erstaunlich war vor allem die Tatsache, dass der Marktanteil von Kontaktlinsen in Deutschland scheinbar die ewig in Stein gemeißelte 5%-Hürde überwinden konnte und sich im Moment bei sagenhaften 7,2% eingependelt hat. Ja das ist im Vergleich zum europäischen Ausland wenig, aber immerhin mehr als bislang üblich. Um das Wachstum weiter voranzutreiben, empfehlen die Redner auch mit den Kontaktlinsenherstellern zusammenzuarbeiten und gemeinsam an Innovationen für die Kontaktlinsen zu arbeiten. Doch egal, welche Weiterentwicklungen in Zukunft auf uns und unsere Kunden warten – unsere Pflicht als Augenoptiker ist es in jedem Fall, die Kunden auf die Möglichkeit des Kontaktlinsentragens hinzuweisen. Denn genauso wie wir verschiedene Schuhe für bestimmte Tätigkeiten nutzen, genauso ist die Kontaktlinse in manchen Situationen die bessere Wahl als die Brille.

Schöne digitale Welt

Im Anschluss hielt Dominic Scheppelmann von 2do digital einen Vortrag über die aktuellen Möglichkeiten des Online-Marketings in der Augenoptikbranche. Facebook, Instagram, Snapchat, LinkedIn, TikTok – Plattformen gibt es wie Sand am Meer, leider werden die Möglichkeiten im Moment noch nicht umfangreich ausgenutzt. Man kann sich damit bekannt machen und man kann damit Reichweite, Follower und sowohl Kunden als auch Mitarbeiter gewinnen, wenn man es gut anstellt. Also los geht‘s: Influencer in der Augenoptik gebe es kaum, Unternehmen, die coolen Content veröffentlichten noch viel weniger und dabei haben wir doch so viel zu zeigen und zu erklären! Wenn es Maurer und Dachdecker, Bäcker und Elektriker schaffen, tolle Einblicke in ihren Berufsalltag zu geben, warum sollte dann ausgerechnet die Augenoptik nicht genug Material dafür bieten?

Nach so viel Input am Vormittag ging es direkt in die wohlverdiente Mittagspause, bei der nicht nur lecker geschlemmt wurde, sondern vor allem wieder das Networking, das Fachsimpeln und der Austausch über die Themen des Vormittags im Vordergrund standen. Direkt im Anschluss war es wieder Zeit für einen besonders außergewöhnlichen Vortrag.

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Entscheidungen und gute Führung

Deniz Aytekin, Schiedsrichter des Jahres 2024, hielt eine ergreifende Keynote zum Thema Entscheidungen treffen, Menschen führen und die Empathie der Situation. Als Schiedsrichter kennt sich Deniz Aytekin mit Entscheidungen aus. Doch anders als in unserem Alltag, wo wir vieles noch einmal überdenken, vielleicht sogar überschlafen können, muss er seine Entscheidungen binnen Sekundenbruchteilen fällen. Und das sogar in Situationen, in denen er die Entscheidungsgrundlage gar nicht genau kennt. Fußball ist ein schnelles Spiel und es ist quasi unmöglich, immer alles im Blick zu haben. Deshalb hat er ein Team aus Personen hinter sich stehen, die helfen, analysieren, Entscheidungen kommunizieren und im entscheidenden Moment bremsen, wenn es nötig ist. Im Vortrag erzählte er von seinem Alltag, die Beziehung zu seinem Team und den Spielern, von Anfängerfehlern, von Menschenkenntnis und davon, wie man Menschen fair führt. Ein hochinteres­santer und packender Vortrag, bei dem sogar die Nicht-Fußball-Fans im Publikum mitfieberten.

Dem Fachkräftemangel begegnen

Während sich beim Fußball alles auf den Ball konzentriert, ist es in der Augenoptik mittlerweile so, dass man ganz besonders auf seine Mitarbeiter achten muss. Der Fachkräftemangel ist schon seit Jahren in der Branche angekommen und viele klagen darüber, dass kein passendes Personal zu finden sei. Deshalb drehte sich im Vortrag von Prof. Dr. Astrid Nelke und Friedrich Tromm, Gründer von Trynoagency, alles um die Gewinnung von Mitarbeitern und darum, wie man das eigene Unternehmen zu einer Marke macht, die Bewerber anzieht.

Dabei wurde immer wieder betont, dass es vor allem darum geht, für Mitarbeiter attraktiv zu sein. Das bedeutet vielleicht, dass man an der ein oder anderen Stelle bereit sein sollte, auch unkonventionelle Wege zu gehen, um sich von der Masse abzuheben. Dazu müsse man sich im Grunde nur eine Frage stellen: Würde ich selbst gerne in meinem Unternehmen arbeiten wollen? Es ist eine relativ lapidare Frage, aber wer wirklich ehrlich zu sich ist und diese Frage ernsthaft beantwortet, sieht ganz schnell, wo das Verbesserungspotenzial steckt. Und das liegt nicht alleine am Geld. Denn dass man seine Mitarbeiter vernünftig bezahlen muss, steht außer Frage.

Es geht eher um Arbeitszeiten, Regelungen für Wochenendarbeit, Zusatzqualifikationen, Sonderaufgaben, die den jeweiligen Talenten entsprechen, und generell die Art der Bewerbung so einfach und so schnell wie möglich zu gestalten. Wir bestellen unser Essen, unsere Kleidung, unser Taxi und am Ende sogar unseren Wocheneinkauf bequem und einfach mit unserem Smartphone und beim Bewerben soll es auf einmal ein tabellarischer Lebenslauf sein? Warum?

Das Bewerbungsverfahren müsse so einfach und kurz wie möglich gestaltet sein, denn keiner habe die Zeit, sein komplettes Leben aufzuschreiben. Setzen Sie lieber auf ein persönliches Kennenlernen! – so lautete die Empfehlung. Dabei erfahre man ebenso alle wichtigen Stationen der beruflichen Laufbahn, bekomme aber gleich ein Gespür dafür, ob ein Bewerber menschlich ins Team passt. Vielleicht telefoniere man auch erstmal, bevor es zu einem persönlichen Vorstellungsgespräch kommt. Studien würden zeigen: Der Arbeitsmarkt ist im Umbruch und die Unternehmen müssen tätig werden, um als potenzieller Arbeitgeber in Betracht gezogen zu werden.

Was macht Arbeitgeber attraktiv?

Auch Bastian Schnuchel untermauerte diese These in seinem Vortrag. Als Augenoptiker mit Leib und Seele kennt er nicht nur die Branche sehr gut, sondern weiß auch um die alltäglichen Problemchen eines Augenoptikers. Um seinen Vortrag perfekt vorzubereiten, hat er im Vorfeld 30 augenoptische Unternehmen bei der Suche nach neuen Mitarbeitern begleitet und konnte feststellen, dass diejenigen, die in der Arbeitgeber-Denkweise in den 80er Jahren hängengeblieben sind, ernsthafte Schwierigkeiten haben, qualifizierte und motivierte Mitarbeiter zu gewinnen. Doch nicht nur der Arbeitgeber sollte modern sein – auch die Räumlichkeiten und Arbeitszeitregelungen sollten so gestaltet sein, dass sie den Mitarbeitern erlauben, ihr Privatleben zu organisieren und zu genießen.

Demokratie und Freiheit als Grundwerte der Deutschen

Nach diesem eingängigen Nachmittag erwartete die Besucher noch eine letzte Kaffeepause, bevor zum letzten hochkarätigen Vortrag des Tages gerufen wurde. Wolfgang Thierse, langjähriger Bundestagspräsident, sprach eindringlich über Freiheit und Demokratie und wie die Probleme unserer Zeit die Gesellschaft spalten könnten. Er hat in der DDR gelebt und Karriere gemacht, den Mauerfall und die Wiedervereinigung miterlebt und sich immer politisch engagiert, bevor er 1998 Bundestagspräsident wurde. Es war eine mutmachende Rede in dieser bedeutsamen Woche, die einen politischen Wendepunkt in Deutschland und der ganzen Welt markiert.

Im Anschluss an diesen Vortrag verabschiedete Mirjam Rösch das Publikum und verwies auf ein Wiedersehen auf der Opti, die vom 31. Januar bis 2. Februar 2025 in München stattfindet, und natürlich auf das Trendforum im nächsten Jahr. n

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