Abnabelung

15.04.2021

Vor einigen Jahren war es noch keine Selbstverständlichkeit als mobiler Augenoptiker durch Altenheime oder auf Hausbesuche zu tingeln. Ein stationäres Fachgeschäft musste als Basis zumindest von einem Augen­optikermeister (oder Fachhochschulabsolvent) betrieben werden, um dann in Ausnahmefällen außer Haus Sehtests vornehmen und ­Brillen verkaufen zu dürfen. 

Und haben wir uns noch vor wenigen Jahren alle ­darüber lustig gemacht, mit welchen abstrusen Methoden ein Kunde für seinen Online-Kauf seine Pupillendistanz selbst messen sollte – wir erinnern uns an die CD-Cover-Methode – so kann ein Kunde heute sogar seinen Sehtest ganz ohne fachliche Unterstützung allein zu Hause durchführen. Dabei ist kein Meister anwesend, nicht einmal ein Geselle – oder wenigstens ein angelernter Seiteneinsteiger aus dem Einzelhandel. Und auch kein dazugehöriges Fachgeschäft in der Nähe. Der ­Kunde kann das alles ganz allein durchführen.

Die aktuellen Methoden dieser Sehtests sind jedoch sehr unterschiedlich. Wir unterscheiden zwischen Selbstrefraktion, autonomer Refraktion und Telerefraktion. 

Vor rund einem Jahr gab ­Mister Spex in einer Meldung ­bekannt, einen Online-Sehtest durch die Kooperation mit dem niederländischen Software-Entwickler „easee“ an den Start gebracht zu haben. Kunden zwischen 18 und 40 Jahren und innerhalb eines bestimmten Dioptriebereichs konnten damit ihre Brillenglaswerte selbst vor dem heimischen Rechner überprüfen. In der beginnenden Corona-Krise sollte so die Versorgung mit Brillen gesichert werden. 

Die autonome Refraktion wurde jüngst auf dem digitalen Fielmann Kolloquium vorgestellt. Diese Methode soll immerhin so weit autark funktionieren, dass der Kunde selbst nur wenig Hirnschmalz verwenden muss und somit als mögliche Gefahrenquelle für sich selbst ausscheidet. Einzig die Technik, die Software und die enggesteckten Parameter sollen verlässliche Ergebnisse liefern. Die Fehlerquellen sind in diesem Rahmen somit weitgehend reduziert worden. ­Allerdings kommen dafür momentan nur wenige potenzielle Nutzer infrage. 

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Aktuell ist die Technologie noch nicht marktreif. Solange es nur in diesem kleinen Bereich einsetzbar ist, soll diese Art der Refraktion parallel zur klassischen Refraktion eingesetzt werden. Doch klar ist auch: Wenn es dann soweit ist, die Kinderkrankheiten eliminiert sind und der denkbare Kundenkreis vergrößert wurde, wird Fielmann mit einer gut durchdachten und ausgereiften Technologie auf dem Augenoptikmarkt aufschlagen.

Eine weitere Methode schließlich, macht sich die ­Televersorgung zunutze. Wenn Augenärzte Netzhaut­befunde via Bildübertragung beurteilen können, warum können dann nicht auch Personen eine Refraktion ferngesteuert über ein Büro in einer anderen Stadt beiwohnen? Das zumindest soll bald Realität werden. Hatte sich der Anbieter bisher vornehmlich in traditionelle Augenoptikgeschäfte gesetzt, deren Infrastruktur, Know-how und Räume genutzt und im Gegenzug reichlich Werbung geschaltet und Termine für seinen Partnern vereinbart, so wird er dies bald im Alleingang machen können. 

Eine Hürde dafür war unter anderem die Refraktion vor Ort. Genau das kann der Brillenanbieter zukünftig selbst in die Hand nehmen. Alles was benötigt wird, ist einen Standort, Equipment und eine Person, die verkaufen kann. Die Refraktion wird mittels High-Tech Phoropter, Software und outgesourctem Fachpersonal vorgenommen. Schöne­ neue Welt. 

In dieser Ausgabe des FOCUS widmen wir uns der klassischen Refraktion. Die Frage ist nicht, ob der Augenoptiker noch die Refraktion macht, sondern wie. Es gibt die Puristen auf der einen Seite, die auf Gläserkasten und Messbrille setzen und es gibt Augenoptiker, die lieber den Komfort eines Phoropters nutzen – und nicht zuletzt die, die auf hochentwickelte Technik stehen.

Welche Methode die beste ist, lassen wir offen, denn jedes Instrument hat seine speziellen Vorzüge. Und solange noch ein Augenoptiker in irgendeiner Weise diese sensible ­Messung durchführt und nicht nur auf Plausibilität überprüft, ist die Versorgung verlässlich. 

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