Das PFAS-Problem

Bild: Chris Anton/stock.adobe.com

Da kommt was auf uns zu: „Die Umstellung von MDD auf MDR* erscheint dagegen wie ein Kindergeburtstag.“ Das sagte EFCLIN-Präsident Armin Duddek Ende April in Den Haag auf der vergangenen Konferenz des Industrieverbandes. Hier organisieren sich maßgeblich die europäischen Hersteller von formstabilen und in Teilen auch von weichen Kontaktlinsen und auch die Produzenten von Intraokularlinsen. Die Rede ist von Per- und Polyfluoralkylsubstanzen – kurz PFAS.

Sie sind überall und jeder, der die Wissenschaftsseiten der großen Newsportale verfolgt, weiß, dass die Situation um deren Verwendung, …nun, sagen wir, „kompliziert ist“. Für die einen sind es die „Forever Chemicals“, die niemals in die Umwelt gelangen dürfen, die die menschliche Gesundheit in unterschiedlicher Weise gefährden und deren Verbleib in der Umwelt mehr als kritisch ist. Für die anderen sind es notwendige Stoffe für die Herstellung von alltäglichen Konsumgütern, die dabei helfen, die Wünsche der Verbraucher zu befriedigen. So scheinen auf den ersten Blick zwei Interessen unvereinbar zu sein.

Nach neusten Schätzungen umfasst diese Stoffgruppe mehr als 10.000 verschiedene Stoffe. Dabei haben sie ein breites Spektrum an unterschiedlichen physikalischen und chemischen Eigenschaften. Sie sind in vielen Alltagsgegenständen, die direkt oder auf Umwegen über die Umwelt in den menschlichen Körper gelangen. Nicht mal vor Lebensmitteln ist man sicher. Man kann davon ausgehen, dass fast alle Menschen mittlerweile PFAS im Blut haben.

Die Verbreitung ist so groß, dass es fast unmöglich scheint, eine Regulierung oder gar ein Verbot zu erlangen. Doch eine Behörde hat nun Fakten geschaffen. Anfang Februar 2023 veröffentlichte die Europäische Chemikalienagentur ECHA einen Verbotsvorschlag für alle PFAS. Richtig: Alle. Für die Industrie ist dies ein Nackenschlag mit großer Tragweite, denn die Herausforderung, Alternativen für rund 10.000 chemische Verbindungen zu finden, die praktisch überall sind, oder zumindest für einige davon Ausnahmeregelungen zu erwirken, sind …nun, sagen wir, „kompliziert“. 

Es handelt sich um den umfangreichsten Beschränkungsvorschlag dieser Art – und es sind viele verschiedene Bereiche betroffen. Zu den Branchen, die täglich mit PFAS arbeiten, gehört auch unsere. Denn PFAS werden sowohl in Brillenglasbeschichtungen als auch in formstabilen und teilweise in weichen Kontaktlinsen verwendet. 

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Und es geht hier nicht darum, dass unser Rührei in der Pfanne nicht anbackt oder unsere Schuhe ewig sauber bleiben. Auch nicht, dass der Anblick von Fisch uns eher an lang- und kurzkettige giftige Molekülverbindungen denken lässt als an eine gesunde Omega-3-Quelle. Für unsere Branche bedeutet es vor allem, dass Menschen, die auf bestimmte Kontaktlinsen angewiesen sind, diese nicht mehr bekommen könnten, wenn die Ausnahmeregelungen nicht greifen. 

Eine von EUROMCONTACT durchgeführte Umfrage ergab, dass drei PFAS zur Herstellung von formstabilen Kontaktlinsen verwendet werden, für die es derzeit keine Alternative gibt. Dazu gehören: Fluorpolymere und Perfluorpolyether. Eine mögliche Ausnahmeregelung könnte hier zwar gerechtfertigt sein, doch die Beweislage ist aktuell recht dünn. Hier werden dringend zusätzliche Informationen benötigt – und zwar möglichst schnell bis September 2023, denn dann endet die Konsultations­zeit, in der die Beweise für den gerchtfertigten Einsatz bestimmter PFAS bei der zuständigen EU-Stelle vorgelegt werden können. 

Denn die Hersteller haben aktuell nur zwei Optionen: Die Ausnahmeregelung für Kontaktlinsen zu erwirken oder innerhalb der Übergangsfrist neue Materialien und Oberflächen ohne den Einsatz von PFAS zu entwickeln. Egal wie es für die jeweiligen Moleküle ausgeht: Das Enddatum steht bereits fest. Zwölf Jahre haben die Entwickler Zeit, wenn alles glattläuft, neue oder andere Materialien zu entwickeln. Rechnet man die ­Organisationszeit ein, die von der EU bewilligt werden könnte, kommt man auf 13,5 Jahre. Wie lange hat es nochmal gedauert, dass wir jenseits von PMMA mit am Auge wirklich guten sauerstoffdurchlässigen Materialien arbeiten konnten? Genau: sehr lange. Für die Entwicklung neuer Produkte ist also Druck im Kessel, mit oder ohne Ausnahmeregelung. 

Wir verfolgen die Geschehnisse in GlobalCONTACT und im FOCUS und halten Sie auf dem Laufenden, denn es wird mit Sicherheit … nun, sagen wir, „kompliziert“.

*Die EU-Richtlinie über Medizinprodukte MDD (Medical Devices ­Directive) wurde im Mai 2017 durch die Verordnung MDR (Medical ­Devices Regulation) ersetzt, wobei die Hersteller eine Übergangsfrist von drei Jahren hatten, um die neuen Vorschriften einzuhalten. Für Kontaktlinsenhersteller war und ist es immer noch ein langwieriger Prozess. 

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