Augencheck in der Drogeriekette dm
Ausweitung von Gesundheitsdienstleistungen
Die Drogeriemarktkette dm bietet seit Anfang August in einer Düsseldorfer Filiale ein Augenscreening per Netzhautfotografie an und drängt damit preisaggressiv und niederschwellig auf das Terrain von Ophthalmologie und Augenoptik. Die Empörung folgte auf dem Fuße. Doch die rechtliche Handhabe scheint eindeutig. Was wir bis jetzt wissen.
Wer Anfang August in Düsseldorf bei dm in der Nordstraße noch schnell in der Mittagspause ein paar Windeln oder Fußcreme kaufen wollte, konnte zu seiner Verwunderung auch gleich noch ein Netzhautscreening mitnehmen. Der Behandlungsraum: ein kleiner Kubus zwischen den Regalen. Die Expertise: eine KI mit fern-ärztlicher Validierung. Der Ansprechpartner: Ein dm-Mitarbeiter. Die Kosten: 14,95 €. Eine Terminvergabe ist nicht nötig. Der Service wird in Kooperation mit dem Düsseldorfer Softwareanbieter Skleo Health durchgeführt und zielt auf die Früherkennung von Auffälligkeiten im Augenhintergrund ab. Glaukom, diabetische Retinopathie und altersbedingte Makuladegeneration sollen auf diese Weise schnell und früh erkannt werden. Doch Sebastian Bayer, dm-Geschäftsführer für das Ressort Marketing + Beschaffung, sagt gegenüber dem FOCUS, es habe bei bisherigen Screenings Hinweise auf über 100 weitere Erkrankungsentitäten gegeben.
Ausweitung des Angebots
Während Augenoptiker in Deutschland strengen handwerks- und gesundheitsrechtlichen Vorgaben unterliegen, scheint dm hier in einer freien Zone zu agieren, die insbesondere bei Augenärzten Fragen nach Qualitätssicherung, Fachpersonal und rechtlichen Rahmenbedingungen aufwirft.
Seit September sind diese Untersuchungen zusätzlich in zwei Filialen von dm in Aachen und Köln möglich, weitere folgen zeitnah mit Bad Münstereifel und Karlsruhe. Ein klassischer Sehtest oder eine Brillenberatung ist nicht Teil der Untersuchung, jedoch sollen auch Brillenwerte ähnlich einer objektiven Refraktion ermittelt werden können.
„Die in unseren dm-Märkten durchgeführten Augenscreenings werden zum einen mithilfe einer KI auf Auffälligkeiten geprüft und zudem werden alle Netzhautaufnahmen einzeln von Fachärztinnen bzw. Fachärzten für Augenheilkunde überprüft“, erklärt Sebastian Bayer. „Diese ärztliche Prüfung garantiert eine qualitätsgesicherte Auswertung und gewährleistet die Einhaltung höchster fachlicher Standards. Dies dient der Absicherung, dass die von der KI erkannten Auffälligkeiten korrekt eingeordnet werden. Zudem erweitert die ärztliche Überprüfung der Netzhautaufnahmen das Spektrum erkennbarer Veränderungen. Erst nach dieser Prüfung erhält die Kundin bzw. der Kunde eine Handlungsempfehlung durch den Kooperationspartner Skleo Health. So wird sichergestellt, dass nur medizinisch relevante Fälle weitergeleitet werden und die Kundinnen und Kunden eine fundierte Rückmeldung erhalten“, so der Geschäftsführer weiter.
Dm bietet zudem mit Hautscreenings, einem Hautarzt-Service und einer Blutanalyse weitere Gesundheitsdienstleistungen an. Laut Sebastian Bayer werden in der Pilotierungsphase diese in jeweils fünf unterschiedlichen dm-Märkten in Deutschland angeboten. Unter dm.de können Interessierte prüfen, in welchen Filialen die Gesundheitsdienstleistungen verfügbar sind.
Einschätzung der Verbände
Gegenüber FOCUS meldet der ZVA (Zentralverband der Augenoptiker und Optometristen), dass man die Sachlage einer ersten rechtlichen Prüfung unterzogen habe. Darin heißt es: „Unabhängig davon, wie gut die automatisierte Auswertung funktioniert, halten wir es für unablässig, dass Screenings ausschließlich von fachkundigen optometrisch versierten Augenoptikermeistern und geprüften Optometristen angeboten und durchgeführt werden – um die Ergebnisse der KI-gestützten Bewertungen auf Plausibilität prüfen zu können, mit der eigenen Bewertung abzugleichen, dem Kunden diese verständlich zu erläutern und richtig einzuordnen sowie ggf. eine Weiterleitung an einen Facharzt für Augenheilkunde oder bei Feststellen einer Fehlsichtigkeit die Versorgung mit einer passenden Sehhilfe anzustoßen. Ob Mitarbeiter einer Drogeriekette hierzu in der Lage sind, erscheint doch mehr als fraglich.“
Zur rechtlichen Einschätzung sagt der Verband, dass auf Anhieb nicht erkennbar sei, dass ein solches Angebot in Drogeriemärkten grundsätzlich unzulässig ist. In den dm-Filialen werde nicht gegen die Handwerksordnung verstoßen, da sich die angebotenen Tätigkeiten auf eine automatische (objektive) Refraktionsbestimmung und die reine Anfertigung (nicht Auswertung) eines Netzhautbildes beschränken. Beide Angebote berühren keine wesentlichen Tätigkeiten des Augenoptikerhandwerks.
Allerdings sind mehrere wettbewerbsrechtlich relevante Aspekte auffällig. So werde man mit der Wettbewerbszentrale zusammenarbeiten, die das Angebot gründlich prüfe. Im Wortlaut heißt es: „Es gibt einige Fragen, die konkret für das Angebot von Skleo Health, dem Anbieter des Augen-Screenings bei dm, relevant sind: Ist die Werbung transparent und enthält sie alle notwendigen Informationen, damit die Verbraucher nicht in die Irre geführt werden? Dann gibt es aber auch Fragen von genereller Bedeutung: Wie bewirbt man KI-basierte Auswertungen? Was ist unter „ärztlich validiert“ zu verstehen? Es ist nicht auszuschließen, dass noch einige Zeit vergeht, bis wir hier Rechtsklarheit haben.“
Mit einer Pressemeldung reagierte Mitte August der BVA (Berufsverband der Augenärzte Deutschlands) auf das Angebot der Gesundheitsdienstleistungen der Drogeriekette dm: „Augengesundheit gehört in fachärztliche Hand“, betont der BVA-Vorstand.
Auch sie sehen in der Blackbox KI Erklärungsbedarf. Es heißt: „Wie genau die Aufnahmen ausgewertet werden, ist nicht weitergehend erläutert. ‚KI geprüft‘ sowie ‚ärztlich validiert‘ sind inhaltlich nicht ausreichend definierte Begriffe.“
Der BVA hatte außerdem zu Beginn des Jahres in Zusammenarbeit mit der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) ein Ethikpapier zum augenärztlichen Einsatz von Künstlicher Intelligenz veröffentlicht. Darin haben die Fachorganisationen dezidiert erarbeitet, was es beim Einsatz von KI in der Augenheilkunde zu beachten gilt. „Der Einsatz von KI ist nicht standardisiert; es gibt keine einheitlichen Vorgaben, die einen fachärztlichen Standard garantieren. Wie genau die Auswertung verläuft, auf welche Metadaten die KI zurückgreift und in welcher Weise diese die Auswertung prägen, ist so nicht zu beurteilen. Fakt ist: KI-Unterstützung kann hilfreich sein, ist jedoch kein Garant für korrekte Ergebnisse und kein validierter Standard in der Medizin und bei Screenings“, betont der erste BVA-Vorsitzende Daniel Pleger.
Das sagt dm
Zieht man insbesondere in Betracht, wie man das Risiko falsch-positiver bzw. falsch-negativer Ergebnisse adressiert, inklusive Aufklärung, Hinweise und Eskalationspfaden, so versichert Sebastian Bayer: „Beim Augenscreening durch Skleo Health handelt es sich um ein KI-gestütztes Verfahren, das zusätzlich von Fachärztinnen und -ärzten validiert wird. Kundinnen und Kunden werden transparent darüber informiert, dass es sich um ein Screening handelt, das keine augenärztliche Untersuchung ersetzt. Durch die ärztliche Bewertung lassen sich falsch-negative und falsch-positive Ergebnisse deutlich reduzieren. Auffällige Befunde werden gezielt weiter abgeklärt, auf Wunsch über ein Netzwerk von mehr als 500 Partnerpraxen, unter Wahrung der freien Arztwahl.“
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