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Brillen-Werk

Vom 2-Dimensionalen zum 3-Dimensionalen: Brillen aus Blech gehören auch zum Leistungsspektrum (Foto: Markus Zimmermann, alle ­anderen Fotos: Silke Sage).

Augenoptik und Brillenmanufaktur unter einem Dach bei Markus Zimmermann.

Jemand, der die hohe Kunst der individuellen Fassungsherstellung beherrscht, ist Markus Zimmermann. Er betreibt in Stolberg-Vicht, in idyllischer Nähe zur Eifel, ein Augenoptikgeschäft samt Brillenmanufaktur. Was es heißt, individuelle Kundenwünsche zu erfüllen, seiner Liebe zur Kreativität nachzugehen und ganz eigene Wege zu gehen, hat er dem FOCUS während eines Ortstermins verraten. Aber auch, wie er nach der Flutkatastrophe im vergangenen Jahr wieder ganz von vorne anfangen musste.

„Ah, Sie haben den Klingelknopf gefunden“, lautet die Begrüßung von Markus Zimmermann mit einem Augenzwinkern. Denn die neue Hightech-Signal­anlage mit Fingerabdruckscanner scheint so manchen Kunden noch zu überfordern. Während in der Stadt die Augenoptiker ihre Türen weit offenhalten, erhält hier Eintritt, wer zuvor ­geschellt hat. Und das ist auch gut so, die meisten kommen ohnehin mit Termin zu ihrer ganz individuellen Beratung. 

Denn Zimmermann‘s Brillen-Werk liegt ein ganzes Stück außerhalb des historischen Ortskerns von Stolberg. Die ehemalige Stolberger Straßenbahnstation am Waldrand gibt der Manufaktur auf rund 85 m² ein unvergleichliches Zuhause. Hier lebt der kreative Augenoptiker seit fast 30 Jahren nebenan. Seit sieben Jahren arbeitet er auch hier. Ein Faible für die Herstellung von Brillenfassungen hatte er schon vor der Lehre. In einem Praktikum bei einem Aachener Augenoptiker in der 80er Jahren fertigte er eine Lupe an, die seinen späteren Lehrherren davon überzeugte, diesen jungen Mann in sein Geschäft zu holen. 

Diese Liebe zum Handwerk, das Einschätzen der individuellen Bedürfnisse seiner Klienten und die Vollendung einer Brille samt Brillengläsern in Perfektion ließen ihn nie mehr los. Nachdem er in der Altstadt von Stolberg bereits einige Jahre als selbständiger Augenoptiker tätig war, ergab sich durch Zufall die Gelegenheit, die historischen Räumlichkeiten in der ehemaligen Straßenbahnstation zu beziehen. Ein „Big Bang“, auf den er schon lange gewartet hatte. Hier erfüllte er sich dann seinen Traum von einer Brillenmanufaktur und einem Augenoptikgeschäft in einem. 

Leben und Arbeiten unter einem Dach

Wer über den Schotterplatz vor dem Brillen-Werk heranfährt, sieht ein historisches Gebäude aus Backsteinen und hellem Putz mit Fenstern mit Rundbögen und einem freundlichen Vorgarten. Große Schaufenster gibt es keine. Wer sich auf die Zehenspitzen stellt, kann durch die Fenster auf die Werkbank von Markus Zimmermann blicken, über der eine riesige Industrieleuchte thront oder nebenan in die Fassungsausstellung mit eigener Möbelkonzeption. 

Hinter der Eingangstür befindet sich eine kleine Ausstellung und hier steht auch das Herz der Manufaktur: Eine historische Gravur- und Fräsmaschine. Für diesen „Kuhlmann Pantograph“ Baujahr 1965, nutzt der Augenoptiker Holzschablonen für die Grundform, die im Maßstab 2:1 abgetastet werden und die präzise auf die eigentliche Brillenform übertragen werden.

Durch einen kleinen Flur linker Hand gelangen die Kunden zunächst in die Werkstatt samt Espressobar. Neben klassischem Werkzeugequipment befindet sich hier auch ein spezieller Arbeitsplatz für die Herstellung von Brillenfassungen aus ­Acetat, Büffelhorn, Holz oder Blech. Ein Raum weiter ist die Fassungspräsentation. Neben eigenen Kreationen finden sich hier auch Brillenfassungen namhafter Aussteller mit klassischen oder ausgefallenen Modellen. Durchquert man auch diesen, liegt rechts der Refraktionsraum mit weiteren Fassungspräsentationen. Die Räume sind hell gestrichen und bilden einen schönen Kontrast zu den dunklen Holztüren und -rahmen. 

Bevor Markus Zimmermann diese Räumlichkeiten bezog, wohnte er bereits nebenan im Gebäude und eine Kaffeerösterei nutzte diesen Bereich. Als diese auszog, ergab sich die spannende Gelegenheit, hier zu leben und zu arbeiten. ­„Dadurch waren bereits die nötigen Grundstrukturen vorhanden, doch es gab noch viel zu tun, um das Raumkonzept an meine Vorstellungen und an die Erfordernisse eines ­augenoptischen Betriebs anzupassen“, so Zimmermann. „Ich wollte einen Ort schaffen, an dem 25 Jahre Entwicklung, Erfahrung und Errungenschaften in der Augenoptik, Design und Manufaktur stecken. Dazu brauchte ich einen inspirierenden Raum und Gestaltungsoptionen für eine Brillenkultur mit einem Alleinstellungsmerkmal“, fügt er hinzu.

Der Kunde als Inspirationsquelle

Seine Entwürfe entstehen fast ausschließlich auf Kundenwunsch. „Ein Kundenauftrag stellt an den Erstentwurf bestimmte Rahmenbedingungen und eine systematische Vorgehensweise. Die anatomischen Gegebenheiten, die Größenverhältnisse und Proportionen spielen eine wichtige Rolle, bevor Stil und Form festgelegt werden können. Ein Referenzmodell in passgenauer Form kann so Gestalt annehmen und mittels Computersimulation angepasst werden“, erklärt Zimmermann. Mittlerweile habe sich ein reichhaltiger Fundus an Modellkreationen und Prototypen angesammelt, die auf ihren Einsatz warten. Es schlummern auch verschiedenste Designansätze und müssten nur aus der Schublade gezogen werden, wenn es sich ergebe.

Dabei hatte Markus Zimmermann nicht von Anfang an Brillenfassungen für seine Kunden gebaut. Als Filialleiter von einer Niederlassung einer Optikkette und späterer Franchise­nehmer arbeitete er klassisch in der Augenoptik. Es kristallisierte sich immer deutlicher heraus, dass er seine ganz eigene Signatur brauchte. Sowohl auf geschäftlicher Ebene als auch bei der Anpassung und der Individualisierung von Brillen für seine Kunden. Das begann zunächst mit kleinen Korrekturen an vorhandenen Fassungen, Umbauten oder Einstellungen. Schließlich nahm die Umarbeitung immer größere Konturen an und gipfelte in eigens für seine Klienten angefertigten Stücken.

Material ist nicht gleich Material

Heute verarbeitet er dabei die verschiedensten Materialien, die jeweils ganz eigene Eigenschaften aufweisen oder besondere Merkmale haben. Acetat schätzt er für seinen großen Gestaltungsspielraum, seine Farben und dreidimensionalen Effekte. Büffelhorn verlangt nach einer umsichtigen Handhabung bei der Bearbeitung. Das stellt eine gewisse Herausforderung dar. Aber auch Holz verarbeitet er. Hierbei bereitet ihm die Haptik einfach ein gewisses Vergnügen. Die Struktur der Furnierarten ist immer anders und der Bau einer solchen Brille besonders spannend. 

Bei den Metallen ist Blech aktuell ein gefragtes Material, was auch regelmäßig auf seiner Werkbank liegt. Diese werden nach seinen Design-Vorgaben und der Erstellung der digitalen Vektorgrafiken in einem kleinen süddeutschen Betrieb aus der Platte gelasert und er erhält zunächst eher zweidimensionale Ausschnitte. Er bearbeitet sie weiter und gibt ihnen dreidimensionale Strukturen. Dabei kombiniert er auch durchaus übliche 4er Glas-Kurven mit Fassungsteilen, die eher Kurve 6 aufweisen, durch geschicktes Biegen der temporalen Fassungsbereiche und der Kombination mit Nylorfäden.

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Ausflug in die Brillenindustrie

Mit Metallen hat er bereits langjährige Erfahrung. Vor vielen Jahren hatte zudem für einen Hersteller Designs entworfen, als der Minimalismus bei den Brillenfassungen Einzug hielt. Seine Kreationen formten eine eigene Kapsel-Kollektion. Für Zimmermann war es eine interessante Zusammenarbeit. Doch sie markierte für ihn auch einen Wendepunkt, an dem er sich entscheiden musste: Vollends in das Fassungsdesign und in die Herstellung einzusteigen oder in der klassischen Augenoptik zu bleiben und sich auf individuelle Einzelstücke zu konzentrieren. Er wählte Letzteres.

Individualität statt Mainstream

Wenn heute ein Kunde eine Anfertigung möchte, ist es häufig so, dass durch Empfehlungen eine bestimmte Brillenfassung gewünscht wird, die dann speziell für ihn angefertigt wird. Die individuellen Vorlieben seiner Kunden und natürlich deren anatomische Gegebenheiten im Gesicht spielen dabei eine maßgebliche Rolle. „Das kann dann minimalistisch sein oder bis hin zum aufwendigen ‚Gesichtsmöbel‘. Das Individuum gibt den Weg vor“, so der Augenoptiker.

Mit seiner Fräse hat er die Möglichkeit, die Grundstruktur in relativ kurzer Zeit präzise vorzufertigen. Der Feinschliff und die exakte Ausarbeitung folgen dann weiter in Handarbeit. Nach der Montage kommt es schließlich zur Hochzeit von Fassung und Brillengläsern. Diese passt er mittels modernem Zentriersystem an. Der Kundenwunsch steht immer im Vordergrund. Er begleitet behutsam seine Kunden, macht möglich, was durchführbar ist, aber berät sie auch bei Wünschen, die kein gutes Ende nehmen würden – im Interesse der Kunden.

Eine kleine Ausstellung seiner eigenen Brillenkreationen hat er, doch „sind sie da, sind sie auch meist schon wieder weg“, verrät er uns. „Als Stimuli wecken sie natürlich Begehrlichkeiten, sei es aufgrund des besonderen Materials, deren Einzigartigkeit oder durch die Liebe zur Handwerkskunst.“ Es gebe verschiedene Gründe, warum ein Kunde genau ein bestimmtes Fassungsmodell haben möchte. 

Die Katastrophe

Am 15. Juli vergangenen Jahres wurde die Manufaktur durch die Hochwasserkatastrophe schwer beschädigt. Die Vicht, normalerweise ein kleiner Bach, verläuft in unmittelbarer Nähe des Brillen-Werks. Sie schwoll hier bereits auf eine gewaltige Fläche an, bevor sie ihren zerstörerischen Weg Richtung Stolberger Innenstadt nahm. Die Stadt ist bis heute noch weit davon entfernt, ein funktionierendes Zentrum zu haben. Praktisch alle Geschäfte wurden darin überflutet und die Aufräumarbeiten, Instandsetzungen und Renovierungen sind nach über einem Jahr immer noch in vollem Gange. Viele Geschäfte werden leer bleiben, denn die Inhaber haben längst aufgegeben. 

Auch für Markus Zimmermann lag nach der Katastrophe zunächst ein weiter Weg vor ihm. Neben der offensichtlichen Zerstörung kamen auch noch die Existenzangst und die Sorge um Leib und Leben, insbesondere seiner Familie, hinzu. Das Areal war von der Außenwelt abgeschnitten, als die Flut anschwoll und die gesamten Geschäftsräume bis zur Decke flutete. Während er mit seiner Familie auf dem Dach ausharrte, und durch entweichendes Heizöl kaum atmen konnte, kam auch kein Rettungsdienst zu ihnen durch. Autos, Äste, Tanks und Trümmer trieben umher. 

Danach war Vieles unwiederbringlich zerstört. Auch die Räume mussten bis auf die Grundmauern abgetragen werden, da das Hochwasser allerlei Chemikalien, Schwermetalle, Heizöl und Abwasser mit sich führte und das Mauerwerk belastete. Dabei kam eins zum anderen, denn an alte Leitungen lassen sich keine neuen anschließen, Stromleitungen mussten verlegt werden und Wände und Böden wieder ausgebaut werden. Hinzu kam, dass ganz Stolberg und die Nachbarorte ebenso von der Flut betroffen waren und einfach nicht genug Fachleute da waren.

Doch manches ließ sich wiederherstellen. „Glücklicherweise war meine Fräsmaschine, bis auf den Hauptschalter, nur leicht beschädigt, was bei einem Verlust eine Tragödie für mich gewesen wäre“, so Zimmermann rückblickend. „Meine Frau hatte aus einem Impuls heraus, als Starkregen gemeldet wurde, die Holzschablonen in das Auto gepackt, was wir auf einem höher gelegenen Weg abgestellt hatten. Das war wirklich Glück!“

Es hatte dann noch rund neun Monate gebraucht, bis er die Geschäfte wieder aufnehmen konnte. Neben der Katastrophe, die über die Region hereinbrach, hat Markus Zimmermann besonders die überbordende Anteilnahme der vielen Menschen bewegt. „Leute, die wir kaum kannten oder völlig fremde Personen, kamen mit einer Handlungsoffensive, die mir immer noch im Stillen die Tränen in die Augen treibt.“

So stand kurz nach dem Unglück Christian Knobloch* vor seiner Tür. Der Augenoptiker-Kollege hat seinen Sitz im Nachbarort. Dort betreibt er ein mobiles Augenoptikgeschäft und war durch seine Lage von der Katastrophe nicht betroffen. Gemeinsam packte er mit an, schippte stundenlang Schlamm und half mit Geräten aus. „Diese Erfahrung macht mich sehr dankbar, das ist die pure Hilfsbereitschaft und Hilfe in der Not. Unfassbar!“

Man mag es kaum glauben, wenn man das Brillenwerk heute sieht und was geleistet wurde. Nun erstrahlen die Geschäftsräume wieder in neuem Glanz. Der unverwechselbare Look ist zum Glück erhalten geblieben und die Motivation von Markus Zimmermann scheint ungebrochen.

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