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Die augenoptische Fachkraft aus Marokko

Bilder: Förster Optik

Der Fachkräftemangel ist allgegenwärtig. Insbesondere die Augenoptik leidet stark darunter. Bei Förster Optik gibt es nun eine neue Kollegin. Sie einzustellen, hat allen Beteiligten viel abverlangt. Für den augenoptischen Betrieb und die Augenoptikerin Smahane El Mrabet bedeutet dieser Arbeitsplatz aber noch viel mehr: Es ist ein gemeinsamer Aufbruch in eine offene, zukunftsgerichtete Berufswelt – jenseits von Herkunft, Bürokratie und Erwartungen.

Ein Betrieb mit Verantwortung

Eine junge Augenoptikerin nimmt lachend vor der Kamera für unser Interview Platz. Kurz zuvor hat sie noch in der Werkstatt gearbeitet und eine Brillenglasberatung durchgeführt. Smahane El Mrabet ist 27 Jahre alt und ausgebildete Augenoptikerin. Doch ihre Geschichte beginnt nicht in Bayern – sondern in der zu Marokko gehörenden Region Westsahara, in einem kleinen Dorf in der Wüste.

Auch Johanna Förster nimmt vor der Kamera Platz. Förster Optik ist ein wahres Traditionsunternehmen mit 127 Jahren Geschichte. In vierter Generation geführt von den Geschwistern Florian und Johanna Förster, versteht sich das Unternehmen nicht nur als Anbieter hochwertiger Brillen, sondern auch als Arbeitgeber mit Verantwortung. „Wir erleben den Fachkräftemangel hautnah. Die Bewerbungen werden immer weniger, die Ausbildungszahlen stagnieren. Gleichzeitig wissen wir: Es gibt weltweit Menschen, die qualifiziert sind – aber kaum Chancen haben, ihr Können hier einzubringen.“

Fachkräftemangel reduziert Belegschaft um die Hälfte

Im Jahr 2023 verzeichnete das Unternehmen laut Florian Förster einen erheblichen Personalverlust. Innerhalb kurzer Zeit gingen fünf Vollzeitkräfte aus unterschiedlichen Gründen verloren – darunter unattraktive Arbeitszeiten in der Augenoptik, berufliche Neuorientierung, Renteneintritt nach 40 Jahren und private Umstände. Trotz intensiver Bemühungen über Personalmessen, Social Media und das Arbeitsamt blieb die Suche nach geeignetem neuen Personal schwierig.

Umso überraschender war der Eingang einer außergewöhnlich überzeugenden Initiativ-Bewerbung aus Marokko. Eine junge Frau mit abgeschlossenem Studium in Feinoptik und Optometrie als auch einem Bachelor in Soziologie interessiert sich für eine Anstellung im oberbayrischen Weilheim. Die Unterlagen waren tadellos – in perfektem Deutsch verfasst, mit vollständigem Lebenslauf, überzeugendem Motivationsschreiben, beglaubigten Übersetzungen aller Zeugnisse sowie einem B1-Zertifikat in Deutsch. Dies weckte sofort Interesse, und nach einem sehr überzeugenden Zoom-Gespräch mit der Bewerberin war klar: Hier besteht tatsächlich echtes Potenzial! Auch wenn das Verständnis für den bayerisch eingefärbten Dialekt noch eine Herausforderung für die Bewerberin darstellt, so war die sprachliche Basis doch solide.

Bürokratie und Anerkennung in Etappen

Doch zwischen Entschluss und Arbeitsbeginn liegt ein Hindernisparcours aus Formularen, Gesetzen und unklaren Zuständigkeiten auf deutscher Seite. Im Mai 2024 begann der bürokratische Prozess zur Anstellung von Smahane El Mrabet. Erste Anfragen bei Innung und dem ZVA brachten keine Hilfe hinsichtlich der Einstellung einer Fachkraft aus einem Nicht-Schengen-Staat. Bei der Handwerkskammer München wurde schließlich das Gleichwertigkeitsprüfungsverfahren ins Spiel gebracht, wenn auch zunächst mit geringem Enthusiasmus durch die Behörde. 

Nach Einreichung der aus dem Französischen übersetzten und beglaubigten Dokumente ergab die Vorprüfung, dass sich der weitere Aufwand auf jeden Fall lohnen würde. Ein sehr gutes Signal und somit änderte sich auch schlagartig die Haltung der Handwerkskammer nach der positiven Einschätzung spürbar. In der kostenpflichtigen Hauptprüfung zum Stand der Qualifizierung wurde festgestellt, dass Smahane El Mrabet eine Teilqualifikation besitzt, ihr aber praktische Erfahrung fehlt, da die Ausbildung in Marokko nur schulisch erfolgte. 

Denn rein inhaltlich unterscheidet sich die Augenoptik in Marokko vom deutschen System. Ähnlich dem französischen Modell erfolgt die Brillenverordnung durch den Augenarzt, während der Augenoptiker hauptsächlich für Beratung, Verkauf und einfache Sehtests zuständig ist. 

Zwischen Werkbank und Willenskraft

Ende August bzw. Anfang September 2024 lag schließlich die Zustimmung der Handwerkskammer vor – das beschleu­nigte Fachkräfteverfahren jedoch noch nicht. Eine engagierte Beraterin der Handwerkskammer gab einen Tipp. So gelang ein wichtiger Durchbruch durch die Vermittlung an die ZSEF – Zentrale Stelle für Einwanderung von Fachkräften in Mittelfranken. Dort fand sich ein kompetenter, wenn auch kostenpflichtiger Ansprechpartner, der dabei half, die Koordination mit Agentur für Arbeit, Ausländeramt und weiteren Behörden voranzutreiben.  

Gemeinsam mit dem Betrieb arbeitet sich die junge Augen­optikerin nun durch das Anerkennungsverfahren. Zeugnisse werden mehrfach übersetzt, Module verglichen, Inhalte bewertet. Wochen werden zu Monaten. Die Handwerkskammer München erkennt El Mrabets Ausbildung schließlich offiziell als teilqualifizierte Augenoptikerin an – ein Begriff, den es in der Form bisher kaum gab. Das bedeutet: Sie darf sofort in ihrem Beruf arbeiten, muss aber die neunmonatige Nachqualifizierung im Betrieb durchlaufen, um den Gesellinnentitel in Deutschland offiziell zu tragen. Prüfungen sind keine mehr nötig – nur praktische Erfahrung im Alltag. Zusätzlich muss sie einen wöchentlichen Bericht über ihre Tätigkeiten im Betrieb an die Handwerkskammer leiten, die dann anhand dessen über die erfolgreiche Nachqualifizierung entscheidet. 

Dennoch dauerte es bis Februar 2025, bis das Visum offiziell beantragt werden konnte. Am 4. April 2025 war es schließlich so weit. Nach fast einem Jahr konnte die Augenoptikerin einreisen. Das Arbeitsverhältnis begann offiziell bereits am 1. April, was gut zusammenpasste. 

Ein Ankommen in Etappen

Nun arbeitet Smahane ElMrabet offiziell bei Förster Optik. Sie schleift Brillengläser, montiert Fassungen und findet sich in der Werkstatt ein. Darüber hinaus beginnt sie nun mit ersten Vorlesungen, Kundenberatungen und Kontaktlinsenabgaben. „Die Werkzeuge sind ähnlich – aber die Begriffe, die Technik, die Kundenerwartungen sind anders“, sagt sie. „Ich lerne jeden Tag Neues dazu.“

Die Unterschiede zur Augenoptik in ihrer Heimat sind teilweise sehr groß. Während Werkstattarbeiten vergleichbar sind, gibt es große Unterschiede bei Sortiment und Ausstattung: etwa bei Markenfassungen, Sport- und Sonnenbrillen sowie Kontaktlinsen, die in ihrer Wüstenregion kaum gefragt sind. Hochmo­derne Refraktionsräume wie in Deutschland kennt sie aus Marokko nur aus Privatkliniken in Großstädten. So erarbeitete sie sich erneut einen eigenen Lehrplan, um sich alle Informationen über Gläser, Kontaktlinsen, Brillenfassungen und Kundenberatungen auch in ihrer Freizeit weiter anzueignen.

Smahane El Mrabet hat einen weiten Weg hinter sich gebracht. Aus einem kleinen Ort in Westsahara wurde sie unter anderem durch ihre ältere Schwester inspiriert, die bereits als IT-Ingenieurin in Frankreich arbeitet. Die Augenoptik faszinierte sie jedoch schon immer – das Thema Sehen, Brillen und alles drumherum begeisterte sie nachhaltig. So war für sie selbst Deutschland besonders attraktiv, da die Augen­optik hier auf einem deutlich höheren fachlichen Niveau ist – und insbesondere der medizinisch-optometrische Aspekt weckte ihr Interesse. Smahane El Mrabet entschied sich auch aus gesellschaftspolitischen Gründen für eine berufliche Zukunft in Deutschland.

Nach ihrem Abschluss suchte sie intensiv über verschiedene Plattformen im Internet nach einer passenden Stelle. Teilweise verschickte sie bis zu 100 Bewerbungen pro Tag, erhielt jedoch nur wenige Rückmeldungen. Es kam zu einigen Vorstellungsgesprächen – doch das Gespräch mit Förster Optik überzeugte sie am meisten, weshalb sie sich klar für diesen Betrieb entschied. 

Sprachbarrieren und Selbststudium

Eines der größten Hindernisse war die Sprache. „Ich habe nie einen offiziellen Deutschkurs besucht“, sagt El Mrabet. „Also habe ich selbst gelernt, vor allem mit Sprach-Apps. Es war schwer – auch weil ich niemanden hatte, mit dem ich sprechen konnte. Aber ich wusste genau: Wenn ich eine Zukunft in diesem Beruf in Deutschland will, muss ich mich unbedingt verständigen können.“ Die Geschwister Förster sind davon beeindruckt: „Viele Muttersprachler könnten sich von ihrer Disziplin und Klarheit etwas abschauen. Sie spricht vier Sprachen: Arabisch, Französisch, Englisch und Deutsch.“

Pionierin mit Vorbildfunktion

Aktuell macht Smahane El Mrabet die betriebliche Nachqualifizierung. Neun Monate lang wird sie in sämtlichen betrieb­lichen Bereichen intensiv mitarbeiten – begleitet von Feedbackgesprächen und wöchentlichen Dokumentationen. Am Ende steht der Gesellinnentitel – ohne Prüfung, alleine durch Praxisnachweis an die Handwerkskammer München. „Wir haben das in enger Abstimmung mit der Kammer entwickelt. Es ist das erste Mal, dass so ein Weg in der Augenoptik möglich ist“, betont Johanna Förster. „Wenn wir das sauber umsetzen, kann es ein Modell für andere Betriebe werden.“

In Deutschland ist sie damit eine Pionierin. Darüber ist sie glücklich und dass ihre Arbeitgeber von Förster Optik den beschwerlichen Weg mitgegangen sind und viele der Hürden für sie genommen haben. 

Ein Signal für die Branche

In einer Zeit, in der viele Betriebe händeringend Fachkräfte suchen, zeigt dieser Fall: Die Lösungen könnten längst da sein – wenn man bereit ist, neue Wege zu gehen. „Es war kein leichter Weg“, sagt Johanna Förster. „Aber es hat sich gelohnt. Smahane ist eine Fachkraft auf hohem Niveau mit größten Zukunftsperspektiven. Sie bringt etwas mit, das man nicht lernen kann: den Willen, sich einzubringen und dafür auch die Extrameile zu gehen.“ 

Ausblick mit Haltung

Heute ist sie angekommen – in einem Beruf, einem Betrieb und in einem Land, das durch seinen Bürokratie-Dschungel nicht immer einladend war. Den Kontakt zu ihrer Familie hält El Mrabet überwiegend über Telefon und WhatsApp. Auf die Frage, was sie anderen empfehlen würde, die einen ähnlichen Weg gehen möchten, antwortet sie: „Man braucht Geduld, Zeit und sollte vor allem die Sprache gut erlernen!“

Rückblickend sagt Johanna Förster, dass der gesamte Prozess deutlich schneller hätte ablaufen können, wenn man früher von der ZSEF-Fachkräfteagentur in Mittelfranken gewusst hätte – allerdings ist deren Existenz nicht landesweit gegeben, sondern hängt vom jeweiligen Bundesland ab. Wer ein ähnliches Verfahren anstoßen möchte, sollte sich daher schon vorab gut informieren. Nach den neun Monaten praktischer Nachqualifizierung werden Smahane El Mrabet alle Wege offenstehen – sie wird dann einer in Deutschland ausgebildeten Augenoptikerin gleichgestellt sein. 

Johanna Förster zieht das Fazit: Es braucht Ausdauer, Hingabe und Disziplin, um ein solches Verfahren erfolgreich umzusetzen – aber es lohnt sich.

Förster Optik hat Geschichte geschrieben – als Betrieb und als Team. Jetzt geht es darum, dass andere auch den Mut finden, Chancen zu geben. Denn das Handwerk braucht Menschen wie Smahane El Mrabet.

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