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Die Starbrille

Die Starbrille

Historie: Serie zur Sammlung Roth

Seit der Antike ist der graue Star bekannt und letztlich als Ursache der Blindheit beschrieben. Als etwas, „das von oben herab“ ins Auge fließt, bezeichneten die Griechen seine Entstehung als Katarakt, ein Wort, das heute weltweit zum festen Begriff der Medizin zählt. Die Ursache ist schon lange bekannt. Der graue Star kann, was selten ist, einmal angeboren sein, meist aber entwickelt er sich mit zunehmenden Alter, um beim betagten Menschen die Sehfunktion erheblich zu beeinträchtigen. Schon früh versuchte man durch den sogenannten Starstich die eingetrübte Linse ganz oder teilweise zu beseitigen. Das sollte zumindest eine Restfunktion des Auges erhalten.

Nach Beseitigung der eingetrübten Linse durch Reklination in den Glaskörper oder totale Entfernung aus dem Auge fehlte diesem ein erheblicher Betrag an Sehkraft. Im Mittelwert waren es beim emmetropen Auge 12 bis 18 Dioptrien.

Da die Reklination der eingetrübten Linse häufig zu entzündlichen Reaktionen im Augeninneren führte, empfahl man die Entfernung der eingetrübten Linse, man beließ sie nicht mehr im Glaskörper. Die klassische Operation, manch älterer Augenarzt kennt sie noch, erfolgte nach Gräfe mit einem halbbogenförmigen limbusparallelen Schnitt. Nach Eröffnen der Vorderkammer wurde die eingetrübte Linse samt ihrer Kapsel mittels einer Pinzette oder Anfrieren an einem Kryostab entfernt. Nach Verschluss des Augapfels mit etwa acht Korneoskleralfäden musste man etwa 8 Wochen warten, bevor die erste Brille angepasst werden konnte.

Die Starbrille sollte die natürliche eingetrübte Linse ersetzen, dazu brauchte sie aber, bezogen auf den Hornhautscheitelabstand, eine Brechkraft für die Ferne von etwa +14 bis 18 Dioptrien. Um in der Nähe scharf zu sehen, war eine Addition von 3,0 dpt erforderlich. Als man es schaffte, die Innenfläche der Linse konkav zu schleifen, um sie den Bewegungen des Augapfels anzupassen, erzielte das eine wesentlich bessere Abbildungsqualität. 

Das Gewicht der Brille

Das Problem, so berichten die Augenoptiker der Zeit, war das Gewicht. Noch vor 100 Jahren waren die Gläser extrem schwer, doch selbst heute beträgt ihr Gewicht noch bis zu 50 Gramm. Die Brillenfassung verlangte daher große, halbbogenförmig gekrümmte Ohrenbügel, um bei heftigen Kopfbewegungen nicht abzurutschen. Auch musste, um ein unscharfes Sehen zu vermeiden, der Abstand zwischen Gläsermitte und Hornhautscheitel konstant sein. Denn selbst bei starken Bewegungen musste die Brille perfekt sitzen.

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Versuche mit Bifokalschliffen dieser Stärke waren erfolglos, Gleitsichtgläser unbekannt. Um jetzt dem aphaken Patienten mit einer einzigen Sehhilfe den Blick in die Nähe und Ferne zu ermöglichen, suchte man nach einer einfachen Lösung. Man fand sie mit Hilfe eines monokularen Ausgleichs: ein Auge erhielt die Vollkorrektur für die Ferne, das zweite die für die Nähe. 

Gab es, wie zu erwarten war, dabei Störungen der beidäugigen Zusammenarbeit, so half man sich mit einem anderen Trick. Das führende Auge erhielt das Glas für die Ferne, das zweite den um drei Dioptrien höheren Nahausgleich. Wollte der Patient, statt das Bild auf dem entfernten Fernsehschirm zu betrachten, die Zeitung lesen, dann drehte er die Brille einfach um. Das ging problemlos, weil die Ohrenbügel um 180 Grad drehbar waren und der bewegliche Nasensteg umgeklappt werden konnte.

Vergoldete Messingfassung

Diese Starbrille besteht aus einer vergoldeten Messingfassung, sie ist insgesamt 11,2 cm breit. Ihre Brechkraft für die Ferne beträgt +13,5 dpt, für die Nähe +17,1 dpt. Gläser und Fassung haben zusammen ein Gewicht von 32,2 Gramm. Der Nasensteg, zweiseitig nutzbar, ist mit einer dicken Plastikschicht überzogen, um den Druck möglichst gleichmäßig auf dem Nasenrücken zu verteilen. 

Diese Brille stammt noch aus den ersten Nachkriegsjahren, lange bevor man sie durch das moderne Implantat ersetzen konnte. Sie ist ein Geschenk eines bekannten Augenoptikers, der selbst ein Sammler ist. 

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