CREAL: Eine völlig neue Art der subjektiven Refraktion

Per Lichtfeld-Display zur perfekten Brillenglasstärke
Wie sieht die Zukunft der subjektiven Refraktion aus? Ein Schweizer Start-up hat eine Antwort: Die Refraktion soll digital sein, nahezu unbegrenzte Darstellungsmöglichkeiten bieten und sogar auch vom Kunden selbständig durchführbar sein. Die Refraktion mithilfe von Lichtfeld-Display-Technologie würde somit gänzlich anders funktionieren als die physische Refraktion mit Messbrille oder Phoropter, wie wir sie heute kennen. Auf dem Markt ist die Technologie aktuell noch nicht, doch das soll laut Anbieter nur eine Frage der Zeit sein. Selbst ein „Refraktionsautomat“ im Einkaufszentrum ist dank der neuen Technologie in Zukunft theoretisch denkbar. Wie die Technologie funktioniert und was sie bietet, erklärt dieser Artikel. Außerdem haben wir Tomas Sluka, Entwickler und Gründer des Start-ups CREAL, im Interview befragt. Artikel basierend auf CREAL-Whitepaper.
Die subjektive Refraktion hat sich seit 100 Jahren nicht wesentlich verändert. Augenoptiker, Optometristen und Augenärzte verwenden normalerweise Messbrillen oder Phoropter, um ihr erlerntes Handwerk auszuüben. Aber wird sich diese Art der Refraktion bald ändern?
Die neue Technologie des 2017 gegründeten Unternehmens CREAL bietet völlig neue Möglichkeiten für die subjektive Refraktion. Ein Prototyp des Gerätes mit Lichtfeld-Display wird derzeit von verschiedenen Akteuren aus Forschung und Industrie getestet. Das System soll allerdings in naher Zukunft auf den Markt kommen.
Die Idee
Das Schweizer Start-up-Unternehmen CREAL wurde mit dem Ziel gegründet, ein 3D-Display für den Nahbereich zu entwickeln, das die Augen des Benutzers beispielsweise beim Gaming schont. So hat das Unternehmen eine Lichtfeld-Display-Technologie entwickelt, die ein gesundes und natürliches visuelles Erlebnis digitaler Bilder ermöglicht, indem sie das natürliche Verhalten des menschlichen Auges unterstützt.
Dieses gänzlich neue Display-System bietet eine korrekte Schärfentiefe für digitale Inhalte und kann diese in jeder beliebigen optischen Entfernung platzieren und/oder das projizierte Bild mit einer beliebigen sphärischen, astigmatischen oder prismatischen Stärke versehen.
Außerdem können Bilder mit unterschiedlichen Korrektionen in unterschiedlichen Entfernungen gleichzeitig angezeigt werden. Jedes Gerät, das auf einer solchen Technologie basiert, könnte auch „intelligent“ gemacht und über einen einfachen Touchscreen gesteuert werden, sodass Augenoptiker und gegebenenfalls sogar Kunden selbst das Verfahren durchführen könnten.
Daher ist das Unternehmen der Ansicht, dass die digitale Nahfeld-Lichtfeldanzeige zahlreiche optometrische, optische und ophthalmologische Anwendungen revolutionieren könnte, insbesondere die subjektive Refraktion.
Die digitale Lichtfeldanzeige
Lichtfeldbilder sind eine echte Darstellung dessen, wie Licht in der realen Welt existiert. Sie liefern daher äußerst realistische digitale Bilder mit natürlicher Schärfentiefe, sodass sich die digitalen Inhalte nahtlos in die reale Welt einfügen und visuelle Konflikte, die zu Augenbelastung und Übelkeit führen, vermieden werden.
Die Lichtfeldanzeigetechnologie projiziert eine Abfolge leicht unterschiedlicher Perspektiven einer digitalen Szene (das Lichtfeld) auf das Auge. Jede Perspektive/jedes Bild wird durch den entsprechenden virtuellen Blickwinkel projiziert, der durch die Pupille des Benutzers festgelegt wird. Durch das Senden von mehr als 6.000 scharfen Bildern pro Sekunde wird die vollständige digitale 3D-Szene vor den Augen des Benutzers neu erstellt.
Die digitale Lichtfeldtechnologie eignet sich auch für die Anzeige grafisch anspruchsvoller Inhalte in Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR). CREAL hat sie bereits in seine patentierten Evaluierungskits für Lichtfeld-Headsets integriert.
Autark, platzsparend und parallele Darstellung verschiedener Stärken
Das auf der digitalen Lichtfeldtechnologie basierende Gerät ist vollständig autark. Das angezeigte Bild entsteht direkt im Gerät selbst, wobei die optische Entfernung vollständig digital rekonstruiert wird. Der aktuelle Prototyp (Grafik 1.4) soll nach und nach weiter verkleinert werden. In weiterer Zukunft soll dann sogar eine Refraktion mit VR-Brille möglich sein.
Darüber hinaus können verschiedene sphärische und astigmatische Stärken gleichzeitig angezeigt werden. Objekte oder Bilder mit unterschiedlicher optischer Stärke können nebeneinander auf einem einzigen Bildschirm angezeigt werden. Dies bringt zwei sehr bedeutende Vorteile mit sich:
1. Die Messung ist schneller und präziser:
- Der Benutzer kann leicht vergleichen, welches Bild am besten zu sehen ist, da er sie gleichzeitig nebeneinander sieht. Beispielsweise werden Buchstaben mit unterschiedlichen Dioptrien gleichzeitig angezeigt.
- Gleichzeitige oder vergleichende Bilder, die nebeneinander projiziert werden (insbesondere für die astigmatische Bewertung), geben dem Benutzer mehr Sicherheit bei der Beantwortung. Derzeit enden viele Refraktionen mit: „Ich bin mir nicht sicher“.
- Der Benutzer kann erkennen, was am besten zu sehen ist, wählt es aus und geht schnell zu einer feineren Refraktionsauswahl über.
- Der Vergleich zwischen verschiedenen Stärken nebeneinander ermöglicht eine schnellere Beurteilung als der Vergleich nacheinander bei herkömmlichen Geräten.
- Durch dieses Verfahren kann die Notwendigkeit einer Erstmessung mit einem Autorefraktometer entfallen.
Realistische Bilder und sofortige Änderung digitaler Inhalte
Dem Benutzer werden realistische Bilder angezeigt und es können beliebige flache Bilder, 3D-Objekte oder sogar Animationen angezeigt werden:
- Es können relevantere und besser erkennbare Szenarien angezeigt werden, um die Refraktion zu bewerten.
- Für Kinder oder Erwachsene, für die Standardsymbole möglicherweise schwer zu erkennen oder zu benennen sind, kann eine Vielzahl verschiedener Symbole oder Bilder, einschließlich 3D-Objekte, verwendet werden.
- Es können anwendungsspezifische Symbole entworfen werden.
- Es können Informationen angezeigt werden, die den Benutzer durch das Verfahren führen.
Es ist auch möglich, den Benutzern relevante Bilder wie Computerbildschirme, Mobiltelefone und Fernseher zu zeigen. Diese Bilder werden in angemessenen Abständen gleichzeitig angezeigt.
Darüber hinaus kann der angezeigte Inhalt digital geändert werden. Das Gerät ermöglicht eine zufällige Permutation der Position der Buchstaben der Snellen-Tafel und der erzeugten Sehstärke für jede Messung. Dadurch wird verhindert, dass Benutzer die Tafel erlernen, was zu zuverlässigeren Testverfahren führt. Jeder Kunde und jede Messung ist einzigartig.
Flexible sphärische und astigmatische Wirkung
Da die optische Wirkung digital erzeugt wird, sind die Darstellungsmöglichkeiten kaum limitiert. Das heißt nicht begrenzt durch die physisch verfügbaren Linsen im Messkasten oder im Phoropter.
- Sphärische Stärken können in Schritten von <0,10 dpt angepasst werden.
- Der sphärische Stärkebereich reicht von 15,00 dpt bis +12,00 dpt
- Der gleiche Bereich gilt für die astigmatische Stärke (-5,00 dpt bis +5,00 dpt)
- Prismatische Stärken können angewendet werden.
- Presbyopische Verschreibungen können dank Nahfeldbildern leicht ausgewertet werden.
Interaktive und vollständig benutzergesteuerte und/oder automatisierte Verfahren
Das Gerät kann über ein Tablet oder eine ähnliche Schnittstelle gesteuert werden. Somit ist es möglich, den Benutzer einfach durch das gesamte Verfahren zu führen. Daraus entstehen Vorteile:
- Automatisierte Verfahren: keine Notwendigkeit für subjektive Bewertungen während des normalen Verfahrens.
- Mehrere Geräte können von einem Mitarbeiter überwacht werden.
- Mehrere Verfahren können kombiniert werden.
- Verfahren können unterhaltsam sein (z.B. für Kinder oder Kunden mit besonderen Bedürfnissen).
- Messverfahren können über das Internet aktualisiert werden, sodass neue Verfahren sofort beim Augenoptiker eingesetzt werden können, ohne dass kostspielige und zeitintensive Schulungen des Personals erforderlich sind.
- Für Nischenkunden und -märkte können spezifische, maßgeschneiderte Verfahren entwickelt werden.
- Weitere bereits bestehende Technologien wie beispielsweise Autorefraktometer oder Scheitelbrechwertmesser könnten integriert und somit in einem System vereint werden.
Neue Geräteklassen und Anwendungsfälle
Die Entwicklung völlig neuer Testverfahren oder sogar Behandlungsverfahren ist möglich, z.B.: Interaktive Spiele zur Förderung der Entwicklung der Fokussierungsfähigkeiten, wie die Behandlung von Amblyopie/Schielauge.
Aber auch Farbsehtests, binokulare Sehtests, Gesichtsfelduntersuchungen, Tests mit besonderen Simulationen für Piloten oder Autofahrer und vieles mehr können integriert werden. Das zukünftige Potenzial beschränkt sich somit nicht ausschließlich auf die subjektive Refraktion.
AR-Brille und subjektive Refraktion
Interview mit CREAL-Gründer Dr. Tomas Sluka
Eine neue Art von Technologie, das sogenannte Lichtfeld-Display, könnte in Zukunft eine völlig neue Art der subjektiven Refraktion ermöglichen. Ursprünglich war die Technologie nur für die Entwicklung von Smart Glasses gedacht, aber im Laufe der Zeit verlagerte sich der Schwerpunkt des jungen Unternehmens auf die subjektive Refraktion. FOCUS sprach mit dem Entwickler und CEO Dr. Tomas Sluka darüber, wie es zu dieser Änderung kam und welches Potenzial die Technologie bietet.
FOCUS: CREAL wurde 2017 gegründet. Können Sie kurz erklären, wie die Idee zur Gründung dieses Unternehmens entstanden ist?
Sluka: Es begann 2012, als die ersten Virtual-Reality-Brillen für Verbraucher auf den Markt kamen. Als ich sie ausprobierte, stellte ich eine starke Art von Augenbelastung fest. Der Grund dafür war schnell klar: All diese Brillen haben ein Display mit einer festen Brennebene, sodass die Augen falsch stimuliert werden. Mir war sofort klar, dass sie für mich nie geeignet wären, wenn dieses Problem nicht gelöst würde. Ich dachte auch, dass viele Menschen von diesem Problem betroffen sein könnten. Vielleicht können 10% oder 20% der Menschen wirklich nicht damit umgehen und die meisten fühlen sich irgendwie unwohl – nicht wegen der Reisekrankheit, sondern wegen des falschen visuellen Reizes, der einen Akkommodationskonflikt verursacht.
Also habe ich angefangen, mich mit Forschungsarbeiten, Patenten und der Branche zu beschäftigen, aber ich habe keine gute Lösung gefunden. Ich hatte meine eigene Idee, die mir praktikabler erschien. Dann habe ich zu Hause einen Prototyp für ein Display gebaut, der besser funktionierte als erwartet. In diesem Moment habe ich mir gesagt: Okay, ich werde ein Patent anmelden und ein Unternehmen gründen, weil diese Technologie eine Lösung für ein riesiges Problem ist.
FOCUS: Welche Art von Problemen lösen Sie?
Sluka: Wir beseitigen im Grunde zwei Hauptprobleme. Eines davon heißt Vergenz-Akkommodations-Konflikt. Dabei geht es darum, wie die beiden Augen die Tiefe wahrnehmen und wie jedes einzelne Auge die Tiefe wahrnimmt. Wenn es hier zu einem Konflikt kommt, wertet das Gehirn dies wie eine Seekrankheit aus.
Das zweite Problem wird als fokale Rivalität bezeichnet. Das bedeutet zum Beispiel, dass, wenn ich ein virtuelles Objekt mit meiner Hand berühren möchte, meine Hand und das Objekt sich aber in unterschiedlicher Fokusentfernung befinden, das Auge somit den Fokus zwischen dem Finger und dem Objekt in meiner Hand wechseln muss. Man kann nicht beide Objekte nebeneinander sehen. Und die dritte Herausforderung ist die Brillenglasstärke. Mit unserem AR-Display können wir all diese Probleme beheben. Wir integrieren unser Display in den Bügel der Brille und sorgen dafür, dass es mit jedem Brillenglas funktioniert – auch mit genau dem, das Sie gerade tragen. Dann legen wir eine holographische Folie darauf, um die erweiterte Realität zu realisieren.
FOCUS: Sie wollen auch die subjektive Refraktion revolutionieren. Wie kam es dazu?
Sluka: Am Anfang gab es keine Gedanken zur Sehkorrektur, aber später stellte sich heraus, dass dies eine fast unvermeidliche Konsequenz war, da das Display eine digitale Version von linsenbasierten Instrumenten bereitstellen kann. Dann wurde uns klar, dass wir mit dem Display ein Refraktionstestgerät herstellen können. Unser früher eher sperriger Prototyp, ein Evaluierungskit, war das erste, was wir an Unternehmen für Sehkorrekturen zum Testen auslieferten.
FOCUS: Was ist der Vorteil für diese Art der subjektiven Refraktion?
Sluka: Es hängt nicht von physischen Linsen ab, im Gegensatz zu allen anderen bestehenden Refraktionsmethoden, die durch eine Reihe von Linsen oder eine variable Linse eingeschränkt sind. Der Hauptunterschied zu allen anderen bestehenden Technologien besteht darin, dass das Display die Linse rein digital nachbilden kann. Wir laden einfach ihre Form in die Software hoch und Sie sehen genau das, was Sie durch die physische Linse sehen würden – aber in einer digitalen Umgebung.
Außerdem projiziert das Display nicht nur die reale 3D-Welt und reale Linsen. Wir können alles darstellen, was wir wollen, wie zum Beispiel ein Raumschiff-Cockpit, das durch ein ideales Gleitsichtglas betrachtet wird. Es ist auch möglich, einen Vergleich zwischen hochwertigen Gleitsichtgläsern und minderwertigen Gleitsichtgläsern zu zeigen. Auf diese Weise können wir das Kauferlebnis für die Kunden enorm verbessern.
FOCUS: Ihre Technologie ermöglicht es den Kunden, das System selbst zu steuern. Wo sehen Sie die Vertriebskanäle?
Sluka: Der erste Prototyp wird von den Kunden selbst bedient. Sie haben einen Klicker und wählen aus, was für sie am schärfsten aussieht – die verschiedenen Korrektionen werden nebeneinander oder in einer bestimmten Mischform angezeigt. Da sie derzeit noch einen Experten benötigen, der ihnen den Prozess erklärt und sie durch den Prozess führt, planen wir, das Gerät zunächst bei Augenoptikern und Augenärzten einzusetzen, die je nach den Vorschriften des jeweiligen Landes für Sehtests zuständig sind. Die Grundidee besteht jedoch darin, Sehtests viel zugänglicher zu machen. Sie können sich vorstellen, dass das Gerät, sobald es automatisiert und vollständig als automatisiertes Instrument zertifiziert ist, an Schulen, Arbeitsplätzen und in kleinen Geschäften eingesetzt werden kann, die sich derzeit keinen Augenoptiker leisten können.
FOCUS: Vielen Dank für das Interview.