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Interview mit Trendexpertin Selin Olmsted

Selin Olmsted. Bild: Helga Traxler

Die Eyewear-Trends der Zukunft

Vor fast einem Jahrzehnt hat Selin Olmsted ein auf Brillendesign, Trendprognosen und Produktentwicklung spezialisiertes Studio in den USA gegründet. Mit den Erkenntnissen aus ihrem jährlich veröffentlichten Eyewear Trend Report können Augenoptiker ihren saisonalen Fassungseinkauf noch besser planen. Wir wollten mehr darüber wissen.

Selin Olmsted ist nach ihrem Debüt 2024 auch in diesem Jahr wieder auf der Opti in München und präsentiert die Brillentrends für das kommende Jahr 2026. Erstmals wird sie zudem ein Panel mit dem Titel „Shaping the Future of Eyewear“ moderieren, an dem zwei Designer und zwei Augenoptiker teilnehmen. Sie werden darüber diskutieren, wie eine effektivere Zusammenarbeit aussehen könnte, um den Verbrauchern außergewöhnliche Produkte und Dienstleistungen zu bieten. Vor der Opti hatte FOCUS noch die Gelegenheit zum Gespräch mit Selin Olmsted.

Bild: Selin Olmsted Studio

FOCUS: Frau Olmsted, erzählen Sie uns bitte kurz, wie Sie zur Augenoptik gekommen sind? 

Olmsted: Ich bin vor rund 13 Jahren vom Herrenbekleidungsdesign in die Augenoptik gewechselt. Meine erste Tätigkeit in der Brillenbranche war ein Teilzeitjob bei Warby Parker, damals ein Start-up-Unternehmen, das Brillen, Technologie und Geschichtenerzählen miteinander verbindet. Nach sechs Monaten trat ich dem Team in Vollzeit bei und verbrachte 2,5 Jahre dort.

Ich hatte hier das Glück, von unglaublichen Mentoren wie Kenny Schwartz, dem Mitbegründer von Oliver Peoples, zu lernen, dessen Fachwissen über Brillendesign und -entwicklung meine Karriere nachhaltig beeinflusst hat. Eine weitere wichtige Inspiration war Selima Salaun von Selima Optics, deren Rat mich ermutigte, das erste Brillendesignstudio in den USA zu gründen.

FOCUS: Warum ist es bei Brillen noch wichtiger als bei anderen Produkten, Trends frühzeitig zu erkennen?

Olmsted: Der Prozess des Entwerfens, Entwickelns und Produzierens von Brillen – vom ersten Konzept bis zum versandfertigen Produkt – dauert mindestens ein Jahr. Wenn man mit Ländern wie Japan als Produktionsstandort arbeitet, kann sich diese Zeitspanne auf 1,5 oder sogar 2 Jahre verlängern. Aus diesem Grund müssen Brillenmarken und -unternehmen künftige Trends schon lange im Voraus kennen, um ihre Kollektionsgestaltung effektiv in Angriff nehmen zu können.
Die meisten Marken haben beispielsweise schon im August und Anfang September 2024 mit der Erforschung der Trends für Frühjahr/Sommer 2026 begonnen, um dann ihre Konzept- und Designprozesse in der zweiten Septemberhälfte zu starten.

Für die Inhaber von Augenoptikgeschäften ist es ebenso wichtig, den Trends immer einen Schritt voraus zu sein. Sie sind diejenigen, die auf Messen oder bei Gesprächsterminen mit Handelsvertretern die Stil- und Farbauswahl für ihre Kunden treffen. Indem sie künftige Trends kennen, können sie strategischere Kaufentscheidungen treffen. So stellen sie sicher, dass sie die richtigen Stile und Farben vorrätig haben, wenn die Trends ihren Höhepunkt erreichen. Das bindet Kunden und verringert das Risiko, sie an agile Online-Plattformen zu verlieren, die sich besonders schnell an neue Trends anpassen.

Bild: Selin Olmsted Studio

FOCUS: Was sind die wichtigsten Brillentrends für 2026?

Olmsted: Wir haben fünf wichtige Brillentrends identifiziert. Zwei herausragende Trends sind Sculptural und Ultralight. 

Bei Sculptural geht es um kühne, ausdrucksstarke Volumen und dreidimensionale Formen, die die Grenzen zwischen Brillen, Skulpturen und bildender Kunst verwischen. Der Schwerpunkt liegt auf geometrischem Ausdruck, markanten Formen und Silhouetten, die aus ästhetischen Gründen, zur Selbstdarstellung oder als Statement getragen werden. Die Brillendesigns zeichnen sich durch kühne, fließende Konturen, reiche Texturen und einzigartige 3D-Elemente aus, wobei die Materialien von Natursteinen wie Marmor und Granit oder exotischen Hölzern inspiriert sind. 

Ultralight konzentriert sich auf Transluzenz, Schwerelosigkeit und ein Gefühl von Anti-Schwerkraft. Die Fassungen sind ultradünn, sowohl im Profil als auch in der Vorderansicht, sodass sie kaum zu spüren sind. Materialien wie Beta-Titan, Titan, hochdichtes Acetat und fortschrittliche 3D-gedruckte Materialien stehen im Mittelpunkt. 

FOCUS: Gibt es einen Megatrend, der von anderen Bereichen wie Kunst, Mode, Musik usw. auf die Brillenbranche übergreifen wird? 

Olmsted: Ja, er heißt Punk Quotidien. Er lehnt sich zwar an den Begriff „Punk“ an, aber bei diesem Trend geht es weniger um Punk-Musik als vielmehr um die Punk-Haltung – Individualität, Gegenkultur und der Wunsch, sich abzuheben. Es geht darum, einen einzigartigen Standpunkt und Stil zu haben, der nicht konform ist.

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Die von Punk Quotidien inspirierten Brillen zeichnen sich durch Farben und Kombinationen aus, die traditionelle Vorstellungen von Schönheit und die Idee von Perfektion in Frage stellen, wobei „Hässlich“ das neue Schön sein könnte. Metallic-Finishs, gestörte Texturen, Y2K- und 90er-Jahre-Einflüsse tragen zu Designs bei, die unverwechselbar, eigenständig und völlig originell sind.

FOCUS: Was darf im Fassungssortiment in den nächsten beiden Jahren nicht fehlen?

Olmsted: Bei den Stilen sind es ultraleichte, superdünne Sonnen- und Brillenfassungen, insbesondere für Frauen mit größeren Augen. Dazu Flieger- und Navigatorbrillen in minimalistischem, modernem oder retro-modernem Design.

Kernformen wie P3s und quadratische Rechtecke werden mit subtilen geometrischen Details für einen frischen Look aktualisiert. Vintage-Inspirationen von Designs aus der Y2K-Ära und ikonische Vintage-Formen gehören ebenfalls dazu.

Bei den Farben und Materialien sind es raffinierte kunstähnliche Laminierungen und mehrschichtige Acetate mit kontrastierenden Innen- und Außentönen. Einzigartige Texturen wie Perlmutt, Novitäten und Marmormuster erwarten uns und leichte 3D-gedruckte Materialien, die mehr Transparenz und leuchtende Farben bieten. Was die Brillengläser betrifft, sind es nicht mehr nur Braun, G15 und Grau, sondern sattere, einzigartige Töne und frische Farbverläufe, die im Kommen sind.

FOCUS: Was würden Sie Trendmuffeln entgegnen, die sich als Konsument nur für Altbewährtes begeistern lassen?

Olmsted: Ich verstehe und respektiere die Bequemlichkeit, an vertrauten Stilen festzuhalten – eine Brille ist etwas, das wir 8–10 Stunden am Tag tragen, und sie ist oft das erste, was die Leute an uns bemerken. Aber eine Brille kann auch unsere Ambitionen widerspiegeln, sei es, dass wir bei einer Präsentation auf der Arbeit einen guten Eindruck machen, eine Beförderung erhalten oder uns bei einem ersten Date selbstbewusst fühlen. Abgesehen von Komfort und Passform kann eine gut gewählte Form und Farbe unsere Identität wirklich ergänzen und verstärken.

In der heutigen schnelllebigen Welt, in der der erste Eindruck sowohl persönlich als auch online zählt, spielen Brillen eine wichtige Rolle dabei zu zeigen, wer wir sind. 

Ich habe oft erlebt, dass Kunden zögern, etwas Neues auszuprobieren, sich dann aber in es verlieben, sobald sie es tun. Manchmal führt ein kleiner Schritt außerhalb der Komfortzone dazu, dass sie etwas entdecken, das ihnen ganz und gar entspricht.

FOCUS: Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach das Thema Nachhaltigkeit?

Olmsted: Nachhaltigkeit ist extrem wichtig, es beeinflusst das Produktdesign von Anfang an stark. Es ist eine strategische Entscheidung für jede Marke. Die Umstellung auf nachhaltige Materialien erfordert eine sorgfältige Planung und finanzielle Ausrichtung, ist aber durchaus machbar. 

Der Schlüssel liegt darin, dass die Unternehmen ihre Rentabilität aufrechterhalten und gleichzeitig nachhaltige Praktiken einführen. Dies ist durch sorgfältige Forschung, schrittweise Maßnahmen und die Verfolgung von Daten zur Verfeinerung des Ansatzes möglich. Nachhaltigkeit ist kein Sprint, sondern ein Marathon mit langfristigen Auswirkungen.

FOCUS: Vielen Dank für das Gespräch. 

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