Sport mit Seheinschränkung und Blindheit
Beweg dich!
Sport ist weit mehr als nur eine Möglichkeit zur körperlichen Betätigung – er ist ein bedeutender Bestandteil des sozialen Lebens, fördert das körperliche und psychische Wohlbefinden und bietet eine perfekte Plattform zur Teilhabe an der Gesellschaft. Für Menschen mit Seheinschränkung oder Blindheit sind diese Vorteile nicht weniger wichtig, jedoch stellen sie sie oft vor besondere Herausforderungen, um gleichberechtigt an sportlichen Aktivitäten teilzunehmen. Der Verlust der Sehkraft, von leichter Einschränkung des Sehens bis hin zur vollständigen Blindheit, verändert nicht nur die Art und Weise, wie sich Menschen in ihrer Umgebung orientieren, sondern beeinflusst auch, wie sie in sozialen und sportlichen Kontexten interagieren. Pro Retina Deutschland e.V. machte kürzlich erneut darauf aufmerksam. Wir haben uns mit der Thematik beschäftigt.
Fechten, Schwimmen, Fußball oder Bogenschießen: Die Integration von Menschen mit Seheinschränkung oder Blindheit in den Sport hat in den vergangenen Jahrzehnten erhebliche Fortschritte gemacht. Inklusion ist zu einem zentralen Begriff geworden, sowohl in der Gesellschaft als auch im Sport. Zahlreiche Sportarten wurden angepasst oder neu entwickelt, um den spezifischen Bedürfnissen von Menschen mit Sehbehinderung gerecht zu werden. Diese Anpassungen reichen von der Verwendung spezieller Hilfsmittel bis hin zur Veränderung der Spielregeln, um sicherzustellen, dass jeder die Möglichkeit hat, aktiv zu sein und sich sportlich zu betätigen.
Dennoch gibt es noch immer Barrieren, die es zu überwinden gilt: Die Sporteinrichtungen sind oft nicht ausreichend barrierefrei, viele Sportarten erfordern spezielle Ausrüstungen, und in vielen Fällen ist das Bewusstsein und das Verständnis für die Bedürfnisse von Menschen mit Seheinschränkung im Sportbereich noch nicht vollständig verbreitet. Es bedarf also noch einiger Anstrengungen, um den Sport für alle wirklich zugänglich zu machen.
Wie das gelingt und den Betroffenen hilft, körperlich fit zu werden oder zu bleiben, wird in einer neuen Broschüre von Pro Retina mit dem Titel „Beweg dein Leben“ thematisiert. Der Sport als Schlüssel zur mentalen Gesundheit und Teilhabe am sozialen Leben: Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft zur Inklusion bei Sportvereinen, Schulen und in Kursen. Sehbeeinträchtigten und blinden Menschen rät die Patientenselbsthilfeorganisation, sich den zu ihnen passenden Sport zu suchen.
Sport als Beitrag zur Augengesundheit
Es gibt Forschungsergebnisse, die zeigen, dass Sport sowohl das Risiko für die Entstehung von Augenerkrankungen verringert als auch deren Verlauf positiv beeinflussen kann. Wer Sport treibt, senkt durch die körperliche Aktivität und die damit einhergehende bessere Durchblutung das Risiko für Augenerkrankungen wie Grüner Star, Altersabhängige Makula-Degeneration (AMD) oder diabetische Augenerkrankungen. Außerdem hilft Sport als Teil eines gesunden Lebensstils, Krankheiten wie Diabetes mellitus Typ 2 zu verhindern. Auch Diabetes kann langfristig die Gefäße der Augennetzhaut schädigen und so das Sehen bedrohen1.
Lediglich bei Sportarten mit erhöhtem Verletzungsrisiko (z.B. bei Kontakt- oder Kampfsportarten wie Boxen oder Rückschlagspielen wie Squash) ist Vorsicht geboten. Eine notwendige Schutzausrüstung ist hier Pflicht. Auch bei akuten Entzündungen oder nach notwendigen Operationen müssen Vorkehrungen zum Schutz vor Infektionen beachtet werden wie beispielsweise im Schwimmbad. Bei erhöhtem Augendruck oder Netzhautablösungen gelten auch Ausnahmen für bestimmte Sportarten, die dann nur in Absprache mit dem behandelnden Augenarzt ausgeübt werden sollten2.
Technologie und Hilfsmittel im Sport
Mit der Weiterentwicklung spezifischer Technologie gibt es zunehmend Hilfsmittel, die Menschen mit Sehbeeinträchtigung beim Sport unterstützen können. Diese reichen von speziellen Apps, die den Sportlern bei der Orientierung und beim Tracking von Bewegungen helfen, bis hin zu Geräten, die akustische Signale senden. In einigen Sportarten, wie z.B. beim Laufen, können durch GPS und Audioanweisungen die Orientierung und das Training optimiert werden.
Inklusive Sportangebote und soziale Integration
Ein weiterer wichtiger Aspekt von Sport für Menschen mit Sehbeeinträchtigung ist die soziale Integration. Viele Sportvereine und Institutionen bieten mittlerweile inklusive Sportprogramme an, bei denen Menschen mit und ohne Beeinträchtigung gemeinsam trainieren können. Diese Angebote sind besonders wertvoll, da sie nicht nur die körperliche Fitness fördern, sondern zusätzlich auch Barrieren zwischen den Menschen abbauen und das Verständnis und die Akzeptanz fördern.
Psychologische Vorteile
Neben den physischen Vorteilen hat Sport auch psychologische Auswirkungen auf Menschen mit Sehbeeinträchtigung. Die Teilnahme an Sportarten fördert das Selbstbewusstsein, die Unabhängigkeit und die soziale Eingliederung. Menschen, die sportlich aktiv sind, berichten häufig von einer verbesserten Lebensqualität und einer besseren mentalen Gesundheit. Sport ermöglicht es, Herausforderungen zu überwinden, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken und gleichzeitig Teil einer Gemeinschaft zu sein.
Herausforderungen
Trotz der vielen positiven Aspekte gibt es auch Herausforderungen. Oftmals fehlt es an barrierefreien Sporteinrichtungen, und es müssen zusätzliche Vorkehrungen getroffen werden, um den Sport für Menschen mit Sehbeeinträchtigung sicher und zugänglich zu machen. Auch die finanzielle Unterstützung und die Bereitstellung geeigneter Ausrüstungen stellen eine Barriere dar, die überwunden werden muss.
Individuelle Sportmöglichkeiten
Zahlreiche Beispiele aus der Praxis zeigen, wie Betroffene erfolgreich Sport treiben können. Angepasste Sportarten wie Blindenfußball und Goalball oder die Möglichkeit des Tandemradfahrens eröffnen viele Wege, die körperliche Fitness und die soziale Teilhabe zu fördern. „Menschen reagieren oft erstaunt, wenn sie hören, dass seheingeschränkte Menschen wandern, joggen oder inlineskaten“, sagt Anne Kinski, Leiterin des Arbeitskreises Sport von Pro Retina, aus eigener Erfahrung. „Warum sollte ein sportlicher Mensch aufhören, sportlich aktiv zu sein, nur weil seine Sehkraft nachlässt?“
Hier lohnt sich der Blick auf verschiedene Sportarten. Für blinde oder sehbeeinträchtigte Menschen gibt es speziell angepasste Disziplinen, die eine gleichwertige Teilnahme ermöglichen.
Verschiedene angepasste Sportarten
Blindenfußball
Blindenfußball ist eine der bekanntesten Sportarten für Menschen mit Sehbeeinträchtigung. Der Fußball wird in dieser Version von einem akustischen Signal begleitet. Der Ball enthält kleine Rasseln, sodass die Spieler den Ball hören und sich entsprechend positionieren können. Das Spielfeld ist kleiner als im traditionellen Fußball, und die Spieler orientieren sich durch Klänge und andere taktile Hinweise auf dem Feld. Zudem haben die Spieler einen „Blindenführer“, einen Guide, der sie bei der Orientierung unterstützt. Blindenfußball hat sich international etabliert, mit nationalen und internationalen Wettbewerben, darunter die Paralympischen Spiele.
Goalball
Goalball ist eine Sportart, die speziell für Menschen mit Sehbeeinträchtigung entwickelt wurde. Zwei Teams mit je drei Spielern treten gegeneinander an. Ziel ist es, einen Ball, der ebenfalls ein Geräusch erzeugt, in das Tor des Gegners zu werfen. Während des Spiels tragen alle Spieler Augenbinden, um sicherzustellen, dass die gesamte Beteiligung der Spieler auf der gleichen visuellen Ebene basiert. Das Spiel findet auf einem matten Spielfeld statt, auf dem die Spieler durch das Hören des Balls und der Bewegungen der Gegner agieren. Goalball ist eine der wenigen Sportarten, die ausschließlich von sehbeeinträchtigten Menschen gespielt wird und auch bei den Paralympischen Spielen vertreten ist.
Tandemradfahren
Tandemradfahren ermöglicht es Betroffenen, gemeinsam mit einem sehenden Partner Fahrrad zu fahren. Dabei sitzt der sehbeeinträchtigte Fahrer auf der hinteren Sitzposition und hat keinen direkten Blick auf die Strecke. Der sehende Partner, der vorne sitzt, steuert das Fahrrad und gibt dem Mitfahrer durch Kommunikation Hinweise und Anweisungen. Diese Sportart fördert nicht nur die körperliche Aktivität, sondern auch das Vertrauen und die Zusammenarbeit zwischen den beiden Fahrern.
Schwimmen
Schwimmen ist eine weit verbreitete Sportart für Menschen mit Sehbeeinträchtigung, da es nicht nur den Körper kräftigt, sondern auch aufgrund der niedrigen Verletzungsgefahr besonders gut geeignet ist. Es gibt spezielle Trainingsmethoden, bei denen Trainer akustische Signale oder taktile Hinweise verwenden, um den Schwimmer zu leiten. In Schwimmerbecken werden in der Regel Schwimmbahnen optisch durch die Markierung am Beckenboden kenntlich gemacht. Aber auch Schwimmleinen können sehbeeinträchtigten Schwimmern als haptische Orientierung dienen. Eine gelbe Badekappe mit drei schwarzen Punkten hilft zusätzlich, anderen Badegästen zu signalisieren, dass man seheingeschränkt ist. Im Wettkampfsport werden seheingeschränkte Schwimmer während des Rennens im Bereich der Wende oder des Ziels durch eine Assistenz (den „Tapper”) unterstützt. Der Tapper tippt mit Hilfe einer Art Angel auf den Hinterkopf oder die Schulter des Schwimmers und weist so auf das nahende Beckenende hin.
Bogenschießen
Durch bestimmte Anpassungen und mittels eingesetzter Techniken ist Bogenschießen auch für Menschen mit einer Seheinschränkung möglich. Dazu gehört die optimale Ausrichtung. Eine entsprechende Markierung auf dem Boden oder vorgefertigte Schienen ermöglichen eine schnellere, zielgerichtete Positionierung. Über ein Stativsystem, an dem eine Platte mit einem kleinen Stab zur Orientierung der Hand befestigt wird, können die Athleten den gestreckten Arm und damit den Bogen ausrichten. Ein wichtiges Merkmal des Bogensports ist es, sich durch Ruhe, Konzentration und kontinuierliches Üben einen individuell beständigen Schussablauf anzueignen.
Fechten
Der Fechtsport eignet sich sehr gut als inklusive Sportart für Menschen mit einer Seheinschränkung. Um für alle Sportler mit verschiedenen Stufen der Sehbeeinträchtigung die gleichen Voraussetzungen zu schaffen, müssen sich alle Sportler die Augen verbinden. Sie fechten somit ausschließlich nach Gehör mit den drei Waffen Florett, Degen oder Säbel. Eine spezielle Ausrüstung, die mit Sensoren ausgestattet ist, ermöglicht den Fechtenden beim Kontakt mit dem Gegner akustische Signale zu empfangen. Die Fechtbahn ist zudem mit taktilen Linien ausgestattet. Im Fechtsport sind Konzentration, Präzision, Kraft und Reaktion von entscheidender Bedeutung.
Klettern
Wer mit Seheinschränkung klettert, in der Natur oder in der Halle, erfühlt sich seinen Weg. Die Griffe und Tritte werden mit Arm und Fuß im Halbkreis ertastet. Eine Möglichkeit kann es hier sein, durch die Ansage von Griffen und Positionen den Sportler zu unterstützen. Das ist insbesondere dann von Vorteil, wenn die Routen mit steigendem Können anspruchsvoller werden.
Klettern kann mit drei Sicherungsformen praktiziert werden: Vorstieg, Nachstieg und Toprope. Für Anfänger empfiehlt sich das Toprope-Klettern. Das Sicherungsseil bleibt dabei oben in der Umlenkung eingehängt und der Partner sichert den Kletternden vom Boden aus. Beim Sichern muss die sichernde Person laufend Seil nachgeben, während der Partner klettert. Dabei kann sich der Kletternde jederzeit ohne Sturz in das Seil hängen, um sich auszuruhen, oder von der sichernden Person wieder auf den Boden abgelassen werden.
Leichtathletik
Para Leichtathletik ist seit den ersten Paralympics im Jahr 1960 Teil des Wettkampfprogramms und ist die Sportart mit dem größten Teilnehmerfeld. Sportler mit Seheinschränkung starten in der Regel mit einem Begleitläufer (Guide) zu 100-Meter-Sprint oder Marathonlauf, Weitsprung oder Weitwurf.
Auch im Breitensport Joggen laufen Menschen mit einer Seheinschränkung meist mit Guide. Beide sind verbunden durch ein Führband, welches sie in der Hand halten. Mit klaren Kommandos werden Richtungsänderungen, Untergrundwechsel, Bordsteinkanten, Treppen und weitere Kommandos angesagt.
Reiten
Beim Reiten werden auf einem Reitplatz oder in einer Reithalle verschiedene Gangarten des Pferds trainiert und eingeübt. Für Menschen mit einer Seheinschränkung ist es mithilfe von sehenden Begleitpersonen möglich, die Orientierung zu behalten. Sie weisen dem Pferd die Richtung oder führen es an der Leine.
Showdown
Diese Sportart wird in Deutschland auch „Tischball” genannt. Es ist eine Disziplin, die dem Tischtennis oder auch dem Air-Hockey sehr ähnelt. Sie wird häufig von Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung gespielt. Die Spielplatte hat die gleichen Maße wie eine Tischtennisplatte, allerdings mit abgerundeten Ecken und einer 14 cm hohen Bande. An jeder der beiden Endseiten ist in der Mitte der Bande eine quadratische Öffnung sowie ein halbrundes Loch in der Tischplatte, welche das jeweilige Tor kennzeichnen. Anstatt den Kunststoffball mittels Schläger über ein Netz zu spielen, muss im Showdown ein mit Metallstiften gefüllter Kunststoffball unter einer vertikalen Platte, die über der Bande angebracht ist, hindurch geschlagen werden. Zum Aufhalten und zum kraftvollen Zurückspielen des ankommenden Balls wird mit einem flachen rechteckigen Schläger gespielt.
Ziel ist es, den Ball in das gegnerische Tor zu spielen. Ein Tor zählt zwei Punkte. Elf Punkte gewinnen den Satz und zwei Sätze bringen den Gesamtsieg. Die Spieler orientieren sich dabei vollkommen am Gehör.
Skiabfahrt
Skisport alpin gibt es für seheingeschränkte und blinde Sportler im Freizeitbereich und im Wettkampfsport (Parasport). Beim alpinen Skifahren sind ein Guide und der seheingeschränkte Sportler mittels Headsets ausgerüstet. Je nach Restsehvermögen fährt der Guide vor und beschreibt mit ganz klaren Kommandos den Fahrtverlauf, der dann 2 bis 3 Sekunden später vom nachfolgenden Skifahrer entsprechend gefahren wird. Das Kommando für die Beschreibung, wie man um eine Linkskurve fährt, lautet „Go, go und hopp links”. Bei blinden Skiläufern kann der Guide auch hinterherfahren. So hat er noch mehr Übersicht über die Strecke und das Fahrverhalten. Hier müssen dann entsprechend früher die Kommandos gegeben werden. Der seheingeschränkte Skifahrende muss ein gutes Vertrauensverhältnis zu seinem Guide haben, da er auf seine Information angewiesen ist.
Einige Ski-Sportabteilungen in Sportvereinen bieten Begleitläuferausbildungen und Trainings für seheingeschränkte Skifahrer an.
Diese und viele weitere Sportarten, wie unter anderem auch Segeln, Skat oder Kampfsportarten finden Sie auch in der Broschüre „Beweg dein Leben“ von Pro Retina Deutschland e.V.
1 https://www.augenspiegel.com/stiftung-auge-sport-verringert-risiko-fuer-entstehung-von-augenerkrankungen/
2 https://www.pro-retina.de/bewegung-und-sport-bei-erkrankungen-des-auges-oder-seheinschraenkungen