Vom telemedizinischen Screening zur Therapie
Was Sie wissen müssen zu Diabetes, Glaukom, AMD
Telemedizin und KI-basierte Tools zur Bewertung von Fundusaufnahmen halten zusehends Einzug in augenoptische Fachgeschäfte. Für einige von uns gehört der Umgang damit bereits zum täglichen Geschäft – und die Nachfrage ist groß. Umso wichtiger ist und wird es, dass wir hierfür ein kompetenter Ansprechpartner vor Ort sind. Zum einen, weil uns unsere Kunden vertrauen, zum anderen, weil Maßnahmen, die im Anschluss an ein Netzhautscreening erfolgen, Einfluss auf die weitere augenoptische und optometrische Betreuung haben können.
Auffällige Screening-Ergebnisse sind für unsere Kunden beunruhigend – wichtig unsererseits ist die sensible Kommunikation. Sicherlich sind die Ergebnisse eines telemedizinischen Screenings in der Regel kein Fall für die Notaufnahme, dennoch bedarf der Verdacht auf pathologische Veränderungen einer mehr oder weniger zeitnahen ärztlichen Abklärung.
Was passiert also, nachdem der Kunde seinen telemedizinischen Bericht in der Hand hält? Und wer sollte zeitnah beim Augenarzt vorstellig werden?
Diabetes
Bei Diabetes sind sich 27,7% der Betroffenen ihrer Krankheit (noch) nicht bewusst. Diabetische Retinopathie ist bei Menschen im erwerbsfähigen Alter der Hauptgrund für Erblindung.1 Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Screening auf einen nicht-diagnostizierten Diabetiker zu treffen, ist vergleichsweise hoch.
Die Versorgungsleitlinien sehen zwar mindestens jährliche Kontrollen vor, aber nur etwa die Hälfte aller Betroffenen konsultiert regelmäßig einen Augenarzt.2 Um Augenarztpraxen zu entlasten, wäre ein Lösungsansatz, Routinekontrollen bei gut ausgebildeten Optometristen durchzuführen und Kunden, die eine Therapie benötigen, gezielt Fachärzten zuzuweisen.
Eine Diabeteserkrankung kann diverse ophthalmologische Komplikationen mit sich bringen. Folgend soll nun auf die Häufigste eingegangen werden: die diabetische Retinopathie (DR). Darunter fallen diabetische Makulaödeme (DMÖ), Ischämie der Makula und deren Folgeerscheinungen (Gefäßneubildungen, Glaskörperblutungen, traktive Netzhautablösung). Die Prävalenz dafür liegt bei etwa 40% (variiert je nach Studie); ein visusbedrohendes Stadium betrifft bis zu 10%. Allgemein gilt: Je länger die Erkrankung besteht, desto höher ist das Risiko für diabetische Veränderungen am Auge. Typ-1-Diabetiker sind häufiger betroffen. Selten entsteht eine DR innerhalb der ersten 5 Jahre nach der Diagnose. Vorausgesetzt, der Blutzucker ist gut eingestellt!3
Zu beachten ist, dass eine Optimierung der Blutzuckereinstellung eine kurzfristige Verschlechterung der DR verursachen kann, diese geht mitunter mit Refraktionsschwankungen einher.
Bei visusrelevanten Veränderungen der Netzhaut in Form von intraretinaler Flüssigkeit sollte die Vorstellung beim Augenarzt innerhalb von vier Wochen erfolgen.4 Eine gute Dokumentation (Fundusfotos, OCT, Visus und Refraktion) erleichtert die Befundung und verbessert auf lange Sicht die Zusammenarbeit!
Die Intervalle der Kontrolluntersuchungen und die Therapie erfolgen in Abhängigkeit der Ausprägung pathologischer Veränderungen: Liegen keine oder milde Veränderungen vor, erfolgt eine jährliche Kontrolle. Bei sichtbaren Veränderungen – vor allem bei ödematösen Veränderungen im Bereich der Fovea – sind eine zeitnahe ärztliche Vorstellung (so auch beim Patienten aus Abbildung 1), bzw. Kontrollen in Intervallen zwischen 2 Wochen (bei schweren Veränderungen) und sechs Monaten (bei moderaten Veränderungen) angezeigt.3,4
Die Therapie des Patienten aus Abbildung 1 erfolgte mittels in den Glaskörper injizierten VEGF-Inhibitoren (intravitreale Injektionen, abgekürzt häufig IVOM). Die OCT-Befunde des Therapieverlaufs sind in Abbildung 2 dargestellt.
VEGF-Inhibitoren dämmen die Neubildung von intraretinalen Gefäßen ein. Eine weitere Therapiemöglichkeit ist die Behandlung mittels eines Lasers. Dabei werden einzelne oder mehrere Laserherde gesetzt, um exsudierende Mikroaneurismen zu unterbrechen. Diese Methode wird häufiger in der Peripherie der Netzhaut angewandt, bevor eine Beteiligung der Fovea entsteht.3
Besonders wichtig im Diabetes-Management ist die Compliance und die Sensibilisierung der Patienten. Der gut aus- und weitergebildete Augenoptiker/Optometrist kann im Gespräch wichtige Impulse setzen. Für eine erfolgreiche Therapie und das Erhalten einer guten Sehleistung auf langfristige Sicht sollten hier allgemeine Risikofaktoren für das Fortschreiten oder Auftreten einer DR, wie Rauchen, Übergewicht und Hypertonie, angesprochen werden. Erfahrungsgemäß sind sowohl Gesprächsatmosphäre als auch Kommunikationsebene zwischen Kunde und Augenoptiker bzw. Optometrist deutlich angenehmer und die Aufklärung in vielen Fällen ausführlicher als im laufenden Betrieb der Augenarztpraxis.
Glaukom
Der „grüne Star“ ist eine progressive Erkrankung des Sehnervs. Sie verläuft schmerzlos, der Verlust des Sehvermögens geschieht schleichend. Die ersten Einschränkungen des Gesichtsfelds in Form von Sensibilitätsminderungen werden in der Regel nicht wahrgenommen. Kommt es zu einer Schädigung der retinalen Nervenfaserschicht, ist diese irreversibel.
Die Verbindung zwischen Glaukom und erhöhtem Augeninnendruck (IOD) ist vielen unserer Kunden bekannt. Tatsächlich liegt ein erhöhter IOD aber nur bei etwa 50% der Glaukompatienten vor. Meist handelt es sich um ein sogenanntes Normaldruckglaukom. Neben AMD und diabetischer Retinopathie gehört das Glaukom zu den häufigsten Erblindungsursachen in den Industrienationen. In Deutschland ist der „grüne Star‘“ der zweithäufigste Grund für Blindengeldbezug.5 Jedoch gilt der Augeninnendruck als „modifizierbarer Schlüsselfaktor“.3
Risikofaktoren für die Entwicklung eines Glaukoms sind neben dem IOD unter anderem eine auffällige Familienanamnese (bekannte Glaukom-Erkrankungen bei Verwandten ersten Grades), Myopie, Lebensalter über 50 Jahre, und Bluthochdruck.
Als auffällig gekennzeichnete Screening-Berichte beinhalten meist einen oder mehrere der folgenden Punkte:
- Auffällige Anamnese
- Augeninnendruck oberhalb des Normbereichs
- Auffällige Merkmale der Papille (siehe Abbildung 3)
Beurteilung der Papille:6
- Exkavation (Einsenkung im Zentrum der Papille)
- Symmetrie zum jeweils anderen Auge
- Hochovale Exkavation und Kerbenbildung
- SNT-Regel: Beurteilung des Nervenfaser-Saums. Dieser sollte unten (Inferior) am breitesten und in abnehmender Reihenfolge oben (Superior), Nasal und Temporal etwas schmaler sein.
Zur Diagnose des Glaukoms oder zur Entscheidung darüber, ob es sich um einen Verdacht handelt, der regelmäßig kontrolliert werden sollte, gehören neben der Papillen-Beurteilung (Ophthalmoskopie und OCT) in jedem Fall eine Perimetrie, Pachymetrie (Messung der Hornhaut-Dicke) und die Messung des IOD im Tagesverlauf. Letztere wird in der Regel während eines 24-stündigen Aufenthalts in einer Augenklinik durchgeführt.
Wird in der Folge ein Glaukom diagnostiziert, erfolgt zunächst eine Therapie mit Augentropfen – idealerweise so niedrig dosiert und appliziert wie möglich. Nach einer ersten Kontrolle zur Verträglichkeit der Tropfen können die Kontrollintervalle etwas größer gefasst werden: etwa nach einem Quartal und in der Folge, bei stabilen Befunden und guter Compliance, halbjährlich.
Sollte die medikamentöse Therapie nicht den gewünschten Erfolg erzielen, können auch chirurgische Maßnahmen ergriffen werden. Diese zielen darauf ab, den Abfluss des Kammerwassers zu verbessern und darüber die Regulation des IOD zu gewährleisten.
AMD
Die altersbedingte Makuladegeneration ist eine degenerative Erkrankung der Netzhautmitte. Im Wesentlichen unterscheidet man zwischen zwei Formen:
- der Trockenen (nichtexsudativen, nicht-neovaskülaren) AMD und
- der Feuchten (exsudativen, neovaskulären) AMD.
Erstere betrifft etwa 90% der diagnostizierten Fälle. Die exsudative AMD kommt deutlich seltener vor, geht jedoch häufig mit einem raschen Sehverlust einher.3,6
Klinische Symptome bei Netzhautkomplikationen:3
- Verschwommensehen und Verschlechterung des Sehens in der Nähe
- Veränderungen des Gesichtsfeldes: Häufig in Form von Schatten im zentralen Sehbereich
- Verzerrungen (Metamorphopsien)
- Subjektive Verkleinerung oder Vergrößerung des Seheindrucks
- Farbsinnstörungen
- Verschlechterung des Dämmerungssehens
- „Rußregen‘“ durch Glaskörperblutungen oder traktive Netzhautablösung (augenärztlicher Notfall!)
Die ersten Symptome einer Makulaerkrankung führen Patienten häufig zuerst zum Augenoptiker. Ist die Sehstörung nicht durch eine Refraktionsänderung erklärbar, kann ein Screening der Netzhaut zur Ursachenfindung erfolgen.
Als erste Auffälligkeiten am Fundus zeigen sich Drusen und Pigmentverschiebungen (Abbildung 4). In einem sehr frühen Stadium bemerkt der Patient an dieser Stelle noch keine Sehverschlechterung.
Bei Vorliegen eines Makulaödems sollte die Vorstellung bei einem Ophthalmologen binnen vier Wochen erfolgen.3 Der Augenarzt wird beim Verdacht auf chorioidale Neovaskularisation ergänzend zu Ophthalmoskopie und OCT eine Farbstoffuntersuchung durchführen, bei der die retinalen Gefäße auf Leckagen kontrolliert werden können.
Eine Therapie mit intravitrealen Injektionen kann bei einer exsudativen AMD den Visus stabilisieren. Die Prognose dabei ist umso besser, je höher die Sehschärfe zu Beginn der Behandlung war. Typischerweise werden VEGF-Hemmer im Abstand von jeweils vier bis sechs Wochen insgesamt dreimal injiziert. Je nach Befund kann die Behandlung in Serien oder als Einzelinjektion wiederholt werden. In 50% der Fälle zeigt sich über sieben Jahre mit Therapie eine Stabilisierung des Visus.6
Die nicht exsudative Form der AMD bedarf, bei stabilem Befund, regelmäßiger Kontrollen (mind. einmal jährlich). Für den Erfolg medikamentöser Behandlungen existieren keine gesicherten Daten. Wichtig ist also hier die Sensibilisierung der Patienten auf Veränderungen und insbesondere die Selbstkontrolle mittels Amsler-Gitter. Wird diese durch den Augenoptiker oder Optometrist kompetent durchgeführt, spart dies wertvolle Zeit beim Augenarzt.
Zur Prophylaxe der trockenen AMD kann eine bestimmte Kombination aus Nahrungsergänzungsmitteln förderlich sein (Lutein, Zink, Omega-3-Fettsäuren). Laut AREDS1- und AREDS2-Studie verzögert die Einnahme über einen jahrelangen Zeitraum die Entstehung einer trockenen AMD. Bereits vorhandene Atrophien können nicht behandelt werden. Mit der Supplementierung konnte ein prophylaktischer Effekt erzielt werden, wenn in einem Auge bereits eine Spätform der AMD aufgetreten war.
Ein weiterer Ansatz zur Therapie der trockenen AMD ist die Behandlung unterschwelliger entzündlicher Prozesse der Netzhaut mittels IVOM.
Screenings sind die Zukunft
Auch wenn sich die Zusammenarbeit mit Augenärzten aktuell vielerorts noch schwierig gestaltet, werden Screenings im Fachgeschäft weiter an Bedeutung gewinnen. Der Mangel an Fachärzten ist nicht wegzudiskutieren und die Wartezeiten auf Termine sind teilweise utopisch.
Natürlich geht es nicht darum, Ärzten ihre Arbeit „wegzunehmen“ – im Gegenteil: Durch die Selektion unauffälliger Patienten und die Durchführung von Routinekontrollen haben Fachärzte mehr Zeit für die Patienten, die wirklich eine Behandlung benötigen.
Quellen: 1. (P. Raum, J. Lamparter, K.A. Ponto et al.: Prevalence and Cardiovascular Associations of Diabetic Retinopathy and Maculopathy: Results from the Gutenberg Health Study; PLOS ONE), 2015. 2. Christian Wolfram, Norbert Pfeiffer, Weißbuch zur Situation der ophthalmologischen Versorgung in Deutschland, September 2012. 3. Salmon / Wolf (Hrsg.) – Kanskis Klinische Ophthalmologie; Ein systematischer Ansatz; 9. Auflage 2022; ISBN: 978-3-437-23485-9; Verlag: Urban & Fischer/Elsevier. 4. JP Medical Ltd (Hrsg.) – Moorfields Manual of Ophthalmoloy; 3. Edition 2020; ISBN-10: 190983694. 5. https://www.augeninfo.de – Normaldruckglaukom. 6 Franz Grehn – Augenheilkunde; 32. erweiterte Auflage 2019; ISBN: 978-3-662-59153-6, 7. Nationale Versorgungs-Leitlinie; Prävention und Therapie von Netzhautkomplikationen bei Diabetes; Langfassung; 2. Auflage, 2015 Version 2 AWMF-Register-Nr.: nvl-001b