Zeiss: Reduktion beim Fertigungsvolumen
Interview mit Joachim Kuss, Head of Communications von Zeiss
Hochwertige Brillengläser sind beim Verbraucher zwar stark gefragt, werden aber seltener gekauft. Damit sieht sich Zeiss konfrontiert und kündigte Ende Oktober an, am Aalener Standort die Fertigungsmengen für Rezeptgläser und photochrome Brillengläser an sinkende Bestellvolumen anpassen zu wollen. Dies sei notwendig trotz weltweit anhaltendem Wachstum, da man sich lokal flexibel auf regionale Trends anpassen müsse, hieß es in einer Pressemeldung des Geschäftsbereichs Vision Care des Unternehmens. Das Wachstum in der Augenoptik sei zwar ungebrochen, in einzelnen regionalen Märkten sei aktuell jedoch nicht absehbar, dass mittel- und langfristig die Bestell- und damit Fertigungsvolumen wieder zunehmen.
Mit der nun angekündigten Volumenreduktion werde in der Produktion in Aalen auch der Umfang der Beschäftigung sinken, heißt es in der Mitteilung des Unternehmens. Hierzu kündigte Zeiss in den kommenden Monaten Gespräche mit dem Betriebsrat an. Die Umsetzung solle sozial fair und verträglich erfolgen. Ein wichtiges Thema in den Gesprächen werde auch die zukünftige Aufstellung des Produktionsstandorts Aalen sein. Dazu hat FOCUS mit Joachim Kuss, Head of Communications von Zeiss Consumer Markets Segment gesprochen.
FOCUS: Unablässig steigende Kosten, Kaufzurückhaltung, Inflation und konjunkturelle Aussichten lassen nach Meinung von Zeiss keinen Anstieg der Bestellvolumen in absehbarer Zukunft erwarten. Dazu komme der strukturelle Kostennachteil am Standort Deutschland, der sich seit Jahren verschärft. Warum ist es notwendig, das Fertigungsvolumen in Aalen zu reduzieren?
Kuss: In einzelnen Märkten, darunter in Deutschland, gehen die Bestell- und damit die Fertigungsvolumen für Brillengläser zurück. Und alle Marktdaten zeigen, dass dies ein Trend ist, der sich auf absehbare Zeit nicht ändert. Daher planen wir jetzt die Anpassung in der Fertigung.
FOCUS: Wurden die angekündigten Schritte auf lange Sicht geplant? Oder führten auch ähnliche Schritte von Mitbewerbern nun zu der Entscheidung bzw. haben diese beeinflusst?
Kuss: Wenn wir Handlungsbedarf sehen, nehmen wir Gespräche mit dem Betriebsrat auf, um zu vereinbaren, wie die Anpassungen umgesetzt werden können. Dabei wird auch die künftige Aufstellung des Produktionsstandorts Aalen eine wichtige Rolle spielen. Und wir informieren natürlich die Belegschaft entsprechend. Die Anpassungen sind aufgrund von Marktentwicklungen notwendig, daran orientieren wir uns, nicht an Mitbewerbern.
FOCUS: Die Reduktion wird unter anderem damit begründet, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Bestellmengen wieder steigen. Gleichzeitig haben wir es in Deutschland mit einer stark alternden Bevölkerung zu tun, der Bedarf an Brillen müsste theoretisch steigen. Wie passt das zusammen?
Kuss: Wir haben die Situation, dass Verbraucher seltener eine Brille kaufen, dafür höherwertiger. Die Umsätze entwickeln sich positiv, anders als die Bestellvolumen. Das Konsumklima und die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland schlagen sich hier nieder. Wie sich die Versorgung der Bevölkerung insgesamt entwickelt, können wir nicht sagen.
FOCUS: Auf der ZVA-Obermeistertagung wurde vor Kurzem vorgestellt, dass die Kundenzahlen der bekannten Brillenglaslieferanten (Essilor, Rodenstock, Zeiss) seit Jahren kontinuierlich abnehmen. Bei Hoya hingegen entwickelt es sich genau umgekehrt. Seit Jahren steigt die Zahl der Kunden. Was macht Hoya richtig, was Zeiss und andere vielleicht falsch machen?
Kuss: Zeiss ist mit weitem Abstand Marktführer in Deutschland und erfolgreich. Da Verbraucher höherwertiger kaufen, entwickeln sich die Umsätze positiv, gleichzeitig sinken Bestellvolumen. Und deshalb sind Anpassungen der Fertigungsvolumen leider notwendig.
FOCUS: Die Menschen haben aktuell immer weniger Geld zur Verfügung. Ergibt es in Anbetracht dieser Umstände noch Sinn, als Unternehmen den Hauptfokus auf High-End-Brillengläser zu legen?
Kuss: Ja. Wir dürfen über den aktuellen Herausforderungen nicht die Zukunft vernachlässigen – individuell optimale Versorgung ist und bleibt wichtig. Dazu zählen hochwertige Brillengläser und Innovationen, gerade angesichts zunehmender Myopie bei Kindern und den steigenden Ansprüchen einer alternden Bevölkerung. Die Marktentwicklung zeigt ja gerade das: Verbraucher kaufen zwar seltener, aber höherwertiger und mit mehr Blick auf Qualität. Es wäre für augenoptische Fachgeschäfte und Hersteller fahrlässig, dieses Segment nicht auszubauen.
FOCUS: Zeiss sprach in seiner Pressemeldung von einem strukturellen Kostennachteil am Standort Deutschland. Maschinenhersteller werben hingegen gerne damit, dass die vermehrte Automatisierung der Maschinen weniger Standortabhängig macht, beispielsweise weil weniger Mitarbeiter benötigt werden. Wie passt das zusammen?
Kuss: Uns geht es ja gerade darum, die notwendigen Veränderungen für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fair und sozial zu gestalten. Ziel ist ein langfristig wettbewerbsfähiger Produktionsstandort Aalen, auch angesichts sinkender Bestellvolumen. Dazu gehören auch Investitionen in Innovationen, Technologie und Modernisierung des Standorts.
FOCUS: Wie schätzen Sie die wirtschaftliche Lage von Zeiss in den kommenden Jahren ein?
Kuss: Im Dezember 2024 wird die Bilanz veröffentlicht, die wirtschaftliche Entwicklung ist positiv. Aber natürlich sind auch wir mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Wir konzentrieren uns deshalb auf die Umsetzung unserer Strategie: mit Innovation, Investitionen in die Zukunft und Stärkung unserer Resilienz.
FOCUS: Können Sie sich vorstellen, bei besserer Wirtschaftslage, die entfallenen Produktionskapazitäten auch wieder zurück nach Deutschland/Aalen zu holen?
Kuss: Wie wir die Zukunft des Produktionsstandorts Aalen gestalten, ist eines der Themen, die wir mit den Arbeitnehmervertretern diskutieren.