| |

OWA: „Für eine Zukunft, in der Talent mehr zählt als das Geschlecht“

Symbolbild. Bild: stock.adobe.com Anna

Ein Interview mit Nancy Gries von der Optical Women‘s Association

Die Stärkung von Frauen in der optischen Industrie ist das Ziel der Optical Women‘s Association (OWA). In den USA ist die Organisation schon lange bekannt. Nun unternimmt sie auch erste Schritte in Europa mit dem Ziel, die berufliche Entwicklung von Frauen in allen Facetten der optischen Industrie zu fördern. FOCUS sprach mit Nancy Gries, stellvertretende Vorsitzende des internationalen Expansionskomitees der OWA und Mitbegründerin des Brillenkettenanbieters Coti Vision, über diverse Hürden, die speziell Frauen in ihrer Karriere überwinden müssen, die Bedeutung von Mentoren und warum auch Männer eine wichtige Rolle spielen.

Ein kurzer Zeitsprung zurück zur Mido 2025 im Februar. Hier auf der internationalen Augenoptikmesse in Mailand findet die erste OWA-Veranstaltung statt. Die Begrüßungsrede hält die erste weibliche Präsidentin der Mido und Anfao Lorraine Berton: „Was bedeutet es tatsächlich, Frauen zu stärken?“ Wirft die neue Präsidentin ihre erste Frage in die Runde, um sie sich dann umgehend selbst zu beantworten: „Es bedeutet, allen Frauen die Möglichkeit zu geben, zu wählen, ihr volles Talent zum Ausdruck zu bringen und gleiche Chancen zu schaffen. Es bedeutet, die Vielfalt als Wachstumsmotor für Unternehmen und für die Gesellschaft anzuerkennen […] Wir müssen zusammenarbeiten, um eine Zukunft aufzubauen, in der Talent und Fähigkeiten mehr zählen als das Geschlecht!“.

Geschlechterdiskrepanz in Zahlen

Laut Eurostat betrug das geschlechtsspezifische Gefälle in der Europäischen Union im Jahr 2023 12%. Das bedeutet, dass Frauen pro Stunde 12% weniger verdienen als Männer. Umgerechnet heißt es, dass Frauen 1,5 Monate länger pro Jahr arbeiten müssen, um das gleiche zu verdienen. Dabei handelt es sich natürlich um einen Durchschnittswert, der je nach Unternehmen und Land stark variiert. Ein Grund dafür ist, dass Frauen häufig in schlechter bezahlten Berufen arbeiten, z.B. im Gesundheits-, Erziehungs- und Pflegebereich. Diese Daten belegen auch, dass im Jahr 2021 nur 34,7% der Führungspositionen mit Frauen besetzt waren.

Ein weiterer Grund ist die sogenannte „gläserne Decke“. Eine Metapher für das Phänomen, dass Frauen häufig mit kulturellen und strukturellen Hindernissen konfrontiert sind, die den beruflichen Erfolg erschweren.

Erstmals bekleidet mit Berton eine Frau die wichtigen Positionen als Chefin der Mido und des italienischen Herstellerverbandes optischer Produkte Anfao, und insbesondere ein bestimmter Satz hallt noch länger in den Köpfen einiger Teilnehmer nach: „Ich mache mir keine Sorgen um mich, die erste weibliche Präsidentin von Mido und Anfao, aber ich mache mir Sorgen, wie viele Jahre oder Jahrzehnte vergehen werden, bis die nächste Frau folgen wird.“

Die OWA kommt nach Europa

Die OWA wurde 1997 in den USA gegründet und hat heute rund 1.000 Mitglieder. Etwa 7% davon kommen von außerhalb der Vereinigten Staaten. Es handelt sich um eine gemeinnützige Organisation, die vollständig von Freiwilligen geleitet wird.

Ziel ist es nun, die OWA in Europa noch bekannter zu machen. Mit dem Auftrag, Frauen in der optischen Industrie durch Networking, Bildung und gegenseitige Unterstützung zu stärken, um eine Gemeinschaft zu schaffen, in der Frauen zusammenkommen können, um ihre persönlichen und beruflichen Ziele zu erreichen.

Eine Person, die aktiv daran arbeitet, ist Nancy Gries. Die Mitbegründerin und Inhaberin von Coti Vision Limited und stellvertretende Vorsitzende des internationalen Expansionskomitees der OWA hatte schon lange das Ziel, die Organisation nach Europa zu bringen – nun wurde ihr Traum wahr.

FOCUS: Warum genau wurde die OWA gegründet?

Gries: Als die OWA ins Leben gerufen wurde, begann sie mit 13 Frauen, die sich mehr Unterstützung voneinander wünschten und viele Fragen zum Aufbau ihrer Karriere in der optischen Industrie hatten oder ein Unternehmen gründen wollten. Sie waren auf der Suche nach Austausch, Unterstützung und mehr Informationen.

Heute gibt es in dieser internationalen Gemeinschaft einen riesigen Pool von Frauen, die sie auf unterschiedlichste Weise vernetzen können. Es gibt Stellenagebote, Live-Chats, eine Mitgliederdatenbank oder auch diverse Veranstaltungen.

FOCUS: Wie wird die OWA in Europa angenommen?

Gries: Wir machen die Erfahrung, dass die Frauen hier sehr daran interessiert sind, sich zu engagieren. Die Zahl der Menschen, die zu unseren Veranstaltungen gekommen sind, ist phänomenal. Wir hatten bereits eine Veranstaltung auf der Mido und werden auch eine auf der Silmo haben.

Das ist der Beginn. Wir suchen jetzt nach Aktiven, die in den einzelnen Ländern und den jeweiligen Sprachen quasi als Botschafter agieren. Langfristig soll es in vielen Ländern ein Komitee von Frauen geben, die als Kontaktstelle dienen und alles koordinieren. Jedes Mitglied kann „nur“ die Vorteile der Organisation nutzen oder sich zusätzlich aktiv engagieren.

FOCUS: Was wünschen sich Frauen von der Organisation?

Gries: Der wichtigste Wunsch, der von unseren Mitgliedern und Sponsoren auch in Umfragen genannt wurde, ist Vernetzung. Die Frauen brauchen einen Ort, an dem sie sich treffen können. Das ist auch das Ziel in Europa: Wege finden, wie Frauen sich vernetzen können und Probleme besprechen. Denn wenn eine Frau ein Problem hat, hat eine andere es vielleicht bereits überwunden. Wie man beispielsweise nach der Geburt eines Kindes in den Beruf zurückkehrt oder die Karriereleiter erklimmt.

FOCUS: Man könnte meinen, dass die Zielgruppe der OWA bereits aus dem Namen ersichtlich ist. Ist es so einfach, wie es aussieht?

Gries: Nicht ganz. Jede Frau, die mit Augenoptik zu tun hat, kann der OWA beitreten. Sie können aus jedem Bereich kommen, seien es Augenoptiker und Optometristen, Mitarbeiter aus der Fertigung, dem Vertrieb oder, oder, oder.

Aber es können auch Männer sein. Sie können zwar kein Mitglied werden, aber sie sind bei allen Veranstaltungen herzlich willkommen, denn sie spielen eine wichtige Rolle. Das Ziel ist es, gemeinsam zu wachsen und Führungsrollen zu übernehmen.

FOCUS: Wie genau können denn Männer Frauen in ihrem Job unterstützen?

Gries: Männer können Frauen am Arbeitsplatz unterstützen, indem sie aktive Mentoren oder Sponsoren sind. Das fängt damit an, dass sie die Sichtweise von Frauen respektieren und dafür sorgen, dass ihre Stimmen in Besprechungen und Entscheidungsprozessen gehört werden.

Anzeige
Nuance (Banner)

Es bedeutet auch, sich gegen Voreingenommenheit oder unangemessenes Verhalten auszusprechen und für Chancengleichheit einzutreten, indem man Frauen für Beförderungen, Projekte und Führungsaufgaben empfiehlt.

Männer können Maßnahmen am Arbeitsplatz unterstützen, die die Gleichstellung fördern, und ihren Einfluss geltend machen, um ein integrativeres und auch leistungsfähigeres Umfeld für alle zu schaffen.

FOCUS: Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach die Vielfalt im Allgemeinen?

Gries: Vielfalt in Bezug auf Ethnie, Geschlecht, Behinderungen und vieles mehr spielt eine Rolle für den Erfolg eines jeden Unternehmens. Je mehr Vielfalt Sie einbringen können, desto mehr tragen Sie auch zum Erfolg bei. Ich denke, es geht nicht unbedingt nur um den Prozentsatz der Frauen in einem Unternehmen. Es geht vielmehr darum, sicherzustellen, dass die Vielfalt im gesamten Unternehmen gegeben ist.

FOCUS: Was würden Sie Menschen antworten, die sagen, dass jeder aus eigener Kraft erfolgreich sein kann, wenn er sich nur genug anstrengt?

Gries: Irgendwie stimmt das schon. Ich meine, es gibt wahrscheinlich eine Kombination und ein Rezept aus harter Arbeit, Hingabe und Konzentration auf das Erreichen des Ziels hin – richtig? Wenn man sich zum Beispiel Sportler anschaut, haben sie ein natürliches Talent, aber es kommt sehr auf ihren Antrieb und die Opfer an, die sie gebracht haben, um diese Goldmedaille zu gewinnen.

Fragt man jedoch diejenigen, die es geschafft haben, was dazu geführt hat, sagen die meisten von ihnen, dass sie ihre Führungsposition denjenigen verdanken, die sie als Mentoren oder Förderer unterstützt haben. Ich würde daher nicht unterschätzen, wie wichtig das für Frauen ist. Oftmals hat ein guter Mentor den Menschen die Möglichkeit gegeben, in einer Führungsposition zu wachsen.

FOCUS: Haben Sie persönlich schon Hürden in Ihrer Karriere erlebt, nur wegen Ihres Geschlechts?

Gries: Ja, zu 100%. Ich habe meine Karriere 1993 in der optischen Industrie begonnen. Das bedeutet, ich habe meine gesamte berufliche Laufbahn in dieser Branche verbracht. Als ich damals anfing, war ich die erste Frau, die in unserem Unternehmen am Vorstandstisch saß – und ich war sehr jung. Ich war sehr eifrig im Export tätig, reiste unabhängig um die Welt und hatte wirklich das Gefühl, dass ich eine Stimme im Unternehmen hatte.

Aber eines Tages saß ich am Tisch, nachdem ich einige fantastische Präsentationen gehalten hatte, und mir wurde gesagt, dass ich gefährlich sei, nur weil ich gut aussah und intelligent war. Anstatt also den Sitzungssaal ermutigt und motiviert zu verlassen – nachdem ich eine großartige Arbeit geleistet hatte –, war es genau das Gegenteil.

Man erklärte mir, dass ich nicht auffallen sollte. Ich sollte einfach den Kopf einziehen und gute Arbeit leisten, anstatt den Mund aufzumachen. Das war eine herbe Kritik für mich und ich habe danach viele Jahre lang nur den Kopf gesenkt und hart gearbeitet, weil ich nicht auffallen wollte.

FOCUS: Was würden Sie heute in dieser Situation anders machen?

Gries: Wenn ich heute wieder in diesem Sitzungssaal sitzen würde, wäre ich nicht ruhig geblieben. Ich hätte gesagt, dass dieser Kommentar nicht akzeptabel und nicht professionell ist. Aber ich war sehr jung, und zu diesem Zeitpunkt wusste ich es als alleinstehende Frau nicht besser.

Also ja, ich habe die Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz durchaus gespürt. Aber auch das war in den frühen 90er Jahren. Um es ganz klar zu sagen: Wir haben für Frauen in der Branche enorme Fortschritte gemacht. Aber ich habe das  alles persönlich miterlebt.

FOCUS: Wir sehen derzeit Trends in vielen Teilen der Welt, wo die Rechte der Frauen nicht gefördert oder sogar eingeschränkt werden. Präsident Trump hat eine Liste mit etwa 200 Wörtern veröffentlicht, die in offiziellen Dokumenten entfernt oder zumindest vermieden werden sollten. Einer dieser Begriffe ist „Frauen“ …

Gries: Ich möchte als Stimme der OWA nicht über Politik sprechen, aber natürlich habe ich eine persönliche Meinung dazu.

Ich denke, dass solche lächerlichen Äußerungen nur die Aufmerksamkeit auf die Diskrepanz zwischen den Geschlechtern lenken und hoffentlich den gegenteiligen Effekt haben werden. Es ist absurd und nur ein Beispiel dafür, was mit den Rechten der Frauen in den USA im Allgemeinen geschehen ist. Das ist besorgniserregend, aber ich hoffe sehr, dass es die Frauen stärkt, aufzustehen und sich zusammenzuschließen.

Ich sehe auch viele Männer, die sich zur Unterstützung der Frauen einsetzen. Es geht nicht nur um Frauen, die Frauen unterstützen, sondern auch um Männer, die Frauen unterstützen. Ich hoffe, dass sich daraus etwas Gutes ergibt und dass es ein gemeinsames Gefühl für die Absurdität solcher Aussagen geben wird. Ich meine, es ist lächerlich, sich vorzustellen, dass dies in unserer Gesellschaft heute – im Jahr 2025 – überhaupt eine Option darstellt.

FOCUS: Wie sieht Ihrer Meinung nach die perfekte Welt in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter aus?

Gries: In einer perfekten Welt würde die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern gar nicht existieren. Wir müssen dazu ein Stadium erreichen, in dem wir überhaupt nicht mehr über die Kluft und den Unterschied zwischen dem Lohn von Männern und Frauen und den Chancen von Männern und Frauen diskutieren müssen. Es sollte einfach normal werden, dass es dasselbe ist. Das wäre doch die perfekte Welt – oder?

FOCUS: Vielen Dank für das Gespräch.

Ähnliche Beiträge