| |

Autofokus in der Brille – ein Zukunftskonzept?

Bilder: IXI

IXI arbeitet an der Kommerzialisierung einer Autofokus-Brille für Ferne und Nähe

Autofokus. Brille. Das sind zwei Schlagworte, die hellhörig machen. Denn so einige Firmen tüfteln aktuell an einer smarten Alternative zu Progressivgläsern. Eine davon ist das finnische Start-up IXI, das vor Kurzem eine Finanzspritze von 36,5 Millionen US-Dollar erhalten hat. Einer der bekanntesten Investoren ist Amazon. FOCUS hat mit einem der Gründer, Niko Eiden, über das Potenzial der Brille, aber auch über aktuelle Herausforderungen gesprochen.

Für Niko Eiden ist der Plan gesetzt. Wenn jede Handykamera mit Autofokus funktioniert, dann sollte es auch die Brille tun. Aufsetzen, durchschauen und in jeder Entfernung ist alles scharf. Über das gesamte Sichtfeld. Ganz ohne störende Abbildungsfehler. Das ist das Ziel. 

Wie nah das Start-up seinem Ziel bisher gekommen ist, darüber hat FOCUS mit dem Gründer gesprochen. Ganz so einfach wie bei der Kamera ist es leider nicht – aber auch nicht unmöglich.

Ein Unternehmen erwacht zum Leben

2021 gründeten der heutige CEO Niko Eiden und der Chief Algorithm Officer Ville Miettinen das Unternehmen IXI. Beide Gründer kommen aus dem Bereich Augmented Aeality und Virtual Reality und haben bereits Erfahrung mit Firmengründungen.

2016 starteten die Unternehmer das Start-up Varjo, welches heute erfolgreich Lösungen in der VR- und XR-Technology anbietet und damit auch Astronauten, Piloten oder Kernkraftwerksmitarbeiter beliefert.

Im April dieses Jahres wagten sie sich mit IXI aus der Deckung, und gaben offiziell bekannt, dass das Start-up an Autofokus-Brillen arbeitet. Verschiedenste Investoren brachten insgesamt 36,5 Millionen US-Dollar in das Newcomer-Unternehmen ein – ein Teil hiervon stammt aus dem Amazon Alexa Fund.

Außer den Finnen arbeiten übrigens noch weitere Unternehmen an smarten Alternativen zur Gleitsichtbrille, teilweise sogar an Lösungen mit Autofokus. Über einige von ihnen wie Morrow, DeepOptics oder auch Laclarée hat FOCUS bereits berichtet. Die Brille von Morrow liegt der Redaktion vor und wird einem Praxistest unterzogen. 

Aktuell halten sich die IXI-Gründer noch mit einigen Details bedeckt, beispielsweise wann das Produkt marktreif sein könnte. Andere Informationen hingegen konnten wir dem Gründer Niko Eiden im Interview entlocken.

FOCUS: Können Sie bitte kurz erklären, wie die Autofokus-Brille funktionieren soll?

Eiden: Wir möchten mit der Brille dasselbe Erlebnis schaffen, das Sie mit Autofokus-Kameras haben. Deshalb verwenden wir einstellbare Optiken. Das bedeutet, dass wir eine elektro­optische Linse haben, die wir steuern können. Aber nicht per Knopfdruck, sondern das Ganze funktioniert automatisch. Egal was sie betrachten, sie haben automatisch die richtige Sehstärke.

Derzeit arbeiten wir an der ersten Generation dieser Brillen, die auf Flüssigkristalllinsen basieren. Dieses spezielle Element wird in ein herkömmliches Einstärkenglas eingebettet. Wenn Sie in die Ferne schauen, sollen sie die volle Sicht durch das herkömmliche Brillenglas haben, und zum Lesen oder für Computerarbeit ein sehr großes Sichtfeld durch die Flüssigkristalllinse.

Die gesamte Elektronik und Datenverarbeitung findet im vorderen Teil der Brillenfassung statt. Im Bügel befindet sich die Batterie, aber sonst nichts. Und; die Brille soll wie eine normale Brille aussehen.

FOCUS: Ist die Brille mit einem Smartphone verbunden?

Eiden: Ja und Sie können dort die Konfiguration vornehmen. Sie brauchen aber kein Smartphone, um die Brille ein- oder auszuschalten, und die Brille hat zudem auch keine Tasten. Man setzt sie einfach auf und sie funktioniert.

Die Brille hat zahlreiche Sensoren, Mikrocontroller, einen kontinuierlich laufenden Eye-Tracker und eine Bluetooth-Funkverbindung. Das bedeutet, dass wir auch viele Lifestyle-Daten zum Thema Gesundheit erfassen können. Die Nutzer können außerdem Daten zu ihrer Nutzung auf dem Smartphone abrufen.

FOCUS: Was ist die größte Herausforderung in der Entwicklungsphase?

Eiden: Einen Eye-Tracker zu entwickeln, der kontinuierlich mit extrem geringem Stromverbrauch arbeitet und in eine herkömmlich aussehende Fassung passt. Das ist insgesamt ein sehr anspruchsvolles Konzept.

Denn man muss den Kontext verstehen, den die Person betrachtet, um die Entfernung zu ermitteln. Ein Beispiel: Wenn ich auf die Ecke meines Laptops schaue, ist nicht klar, ob ich auf die Ecke oder direkt neben die Ecke schaue. Deshalb haben wir viele verschiedene Eye-Tracking-Technologien getestet.

Schließlich haben wir uns für eine Technologie entschieden, die auf der Konvergenz der Augen basiert, da die meisten Menschen ihre Augen konvergieren, wenn sie auf kurze ­Distanz schauen. So können wir den Vektor beider Augäpfel kontinuierlich analysieren, um die Entfernung zu einem bestimmten Objekt zu berechnen. Auf dieser Grundlage steuern wir die Linse.

Eine weitere Herausforderung besteht darin, eine große, einstellbare Linse zu entwickeln, die sehr leicht und dünn ist. Wir entwickeln schließlich ein Brillenglas, das mehr Komponenten enthält als ein herkömmliches Brillenglas. Gleichzeitig werden wir aber hinsichtlich Transparenz oder optischer Qualität mit herkömmlichen Brillengläsern verglichen.

Und schließlich streben wir eine Brille an, die in Bezug auf Gewicht, Größe und Volumen den bestehenden Brillen ­ähnelt. Die Brille muss für die Mehrheit der Menschen ergonomisch passen, für verschiedene Nasenformen, Kopfformen oder Augenhöhen. Die Brille sollte von Augenoptikern angepasst werden können, sie sollte also erwärmbar sein und wir wollen nur eine winzige Batterie und keine weitere Technik im Bügel haben.

Das ist ein Unterschied zu den Tech-Giganten, die aktuell viele smarte Brillen auf den Markt bringen, die aber absolut nicht anpassbar sind.

FOCUS: Können Sie bereits einige technische Daten nennen, zum Beispiel wie lange die Batterie hält und wie viel das Produkt wiegen soll?

Eiden: Wir haben eine sehr kleine Batterie in die Brillenfassung integriert, die in den Bügeln untergebracht ist. Dadurch ist die Form sehr ansprechend und ähnelt herkömmlichen ­Brillen. Das bedeutet aber auch, dass der Stromverbrauch für das Eye-Tracking und für die Linse minimiert werden müssen. Die Idee ist, eine Batterielaufzeit von zwei Tagen zu erreichen, aber das bedeutet im Grunde genommen auch, dass man das Gerät über Nacht aufladen muss.

Es wird vermutlich unmöglich sein, ein Produkt zu entwickeln, das eine Woche lang mit kontinuierlich funktionierendem Eye-Tracking läuft. Der von uns entwickelte Eye-Tracker ist bereits 50- bis 100-mal energieeffizienter als alle anderen auf dem Markt erhältlichen Produkte. Das Gewicht der Fassung ähnelt jenem einer normalen Kunststofffassung. Wir haben weder mehr Volumen noch mehr Gewicht.

FOCUS: In welchem Dioptrienbereich wird die Brille erhältlich sein?

Eiden: Ich kann noch nicht ins Detail gehen, da wir hier noch keine endgültige Entscheidung getroffen haben. Aber es ist möglich, sphärische und zylindrische Flüssigkristalllinsen zu verwenden.

FOCUS: Ist das Tragen der Brille beim Autofahren sicher?

Eiden: Wir wissen noch nicht genau, wie die optimale Lösung zum Autofahren aussieht, aber es gibt viele Möglichkeiten, das zu beheben. Wenn es um den Autofokus im Auto geht, muss er auf jeden Fall superschnell sein. Eine weitere Option wäre ein fester Bereich für die Fernsicht für Autofahrer.

FOCUS: Wie ist der aktuelle Stand der Entwicklung und wann wird das Produkt marktreif sein?

Eiden: Es gibt das Unternehmen nun seit vier Jahren und in dieser Zeit haben wir uns hauptsächlich auf Forschung und Entwicklung konzentriert. Im vergangengen Jahr haben wir das Unternehmen mehr in Richtung Kommerzialisierung ausgerichtet. Wir richten derzeit die Produktion für die Fassungen und die Gläser ein. Diese Arbeit ist noch im Gange und wie schnell wir vorankommen, wird den Zeitpunkt der Markteinführung bestimmen. Wir geben zurzeit jedoch noch keinen Zeitpunkt für die Markteinführung des Produkts bekannt.

FOCUS: Derzeit scheint es, dass Autofokus-Brillen relativ teuer sein könnten – auch aufgrund der Flüssigkristalllinsen. Wird dieses Produkt immer ein High-End-Produkt bleiben?

Eiden: Am Anfang wird es ein High-End-Produkt sein – aber nichts Außergewöhnliches. Letztendlich ist es wie bei allen Unterhaltungselektronik-Produkten eine Frage der Stückzahlen. Sobald die Stückzahlen der elektrischen Komponenten steigen, wird es günstiger. Das Gleiche gilt für das von uns entwickelte Verfahren zur Herstellung von Flüssigkristallen. Sobald wir die Massenproduktion erreichen, wird es möglich sein, auch die Preise für diese Art von Brillen zu senken.

FOCUS: Wie wichtig ist die Rolle von Amazon als Investor für Ihren Erfolg?

Eiden: Natürlich interessieren sich derzeit alle großen Technologieunternehmen für Brillen als neue Wearable-Plattform, aber alle mit unterschiedlichen Anwendungsfällen.

Amazon als Investor war definitiv hilfreich, wenn wir Gespräche mit großen Unternehmen geführt haben, die Materialien, Technologien oder Maschinen beschaffen. Ein Investor wie Amazon ist immer ein guter Start, um in den Gesprächen Aufmerksamkeit zu erregen.

Allerdings hat die Start-up-Branche, was Investoren angeht, auch ihre eigenen Superstars. Wenn man jedoch zu einem produzierenden Unternehmen geht, hat man dort höchstwahrscheinlich noch nie von diesen gehört.

FOCUS: Welchen Vertriebsweg werden Sie zunächst für die Brille wählen?

Eiden: Wahrscheinlich den klassischen Augenoptiker. Natürlich ist es verlockend von Direktverkäufen an Verbraucher und Online-Verkäufen zu träumen. Aber Brillen sind eine sehr persönliche Sache. Brillen müssen gut sitzen und gut aussehen, und die Leute wollen sie ausprobieren. Aktuell halte ich es daher nicht für sinnvoll, auf dieser Ebene gegen Windmühlen zu kämpfen. 

FOCUS: Was erhoffen Sie sich persönlich von der Einführung der Autofokus-Smartbrille?

Eiden: Wenn ich mit Freunden spreche, die sich gerade an Gleitsichtbrillen gewöhnen, berichten viele von Problemen. Wenn ich ihnen dann erkläre, wie wir dieses Problem lösen, sind alle beeindruckt und sagen, dass sie so etwas noch nie gesehen haben.

Ich bin mir nicht sicher, ob es ein irgendein anderes Produkt oder Konzept gibt, das eine stärkere Anziehungskraft auf den Markt ausüben würde. Wir wollen ein Produkt entwickeln, das ein grundlegendes Problem löst! Wir wollen Menschen mithilfe von Technologie zu besserem Sehen verhelfen.

Natürlich sehen wir auch andere Unternehmen wie DeepOptics, Morrow und Laclarée, die versuchen, genau dasselbe Problem zu lösen. Auf der anderen Seite sehen wir aber auch die großen Technologieunternehmen. Sie bringen auch Technologie in Brillen, aber nicht solche, um besser sehen zu können. Diese Brillen dienen dazu, Inhalte für soziale Medien aufzuzeichnen oder dem Nutzer Informationen zu liefern.

Ich denke, wir befinden uns in einer sehr interessanten Position dazwischen – in einer Welt mit diesen Giganten.

FOCUS: Glauben Sie, dass wir eines Tages an dem Punkt sind, dass Autofokus-Brillen so normal sind wie jede andere Art von Brille?

Eiden: Es ist schwer, die Zukunft vorherzusagen. Aber wenn man sich Autofokus-Brillen ansieht, hat die erste Generation natürlich ihre Grenzen. Aber wir sind nicht mehr weit von einem Punkt entfernt, an dem man sich eine Brille aussuchen und die Sehstärke mit einer mobilen App einstellen kann.

Sobald wir diesen Punkt erreichen, wird sich alles ändern. Diese Brille wird dann zum Mainstream werden – wer auch immer dieses Problem löst. Es wird die Logistik verändern, wie Brillen hergestellt und verkauft werden.

Denken Sie an das Beispiel der Kamera, und den Weg vom manuellen Fokus zum Autofokus. Veränderungen geschehen oft sehr schnell. Die gesamte Art und Weise, wie Brillen hergestellt werden, zu verändern – das ist unser Ziel!

FOCUS: Vielen Dank für das Interview.

Ähnliche Beiträge