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In Barberia: Maßarbeit in Venedig

Bilder: Silke Sage

Zu Besuch bei einem Brillenmacher 

Unweit des Markusplatzes, in einer engen, aber belebten Seitengasse, liegt ein kleines Geschäft: Ein Augen­optiker hat sich hier niedergelassen, der seine handwerkliche Leidenschaft voll und ganz auslebt. Im Schaufenster von „In Barberia“ fertigt Antonio Battaglia maßgeschneiderte Brillen an – aus Acetat, Büffelhorn und mit viel Gespür für Form, Stil und Individualität. An die Blicke der staunenden Passanten hat er sich dabei schon längst gewöhnt. Wir haben ihn besucht.

Ein Handwerk mit Geschichte

Wer durch die vielen Gassen Venedigs läuft, findet eine ganze Reihe von Augenoptikern – (fast) alle gemeinsam haben: Auf dem Eiland in der Lagune steht nicht viel Platz zur Verfügung. Eine große Fensterfront an den kleinen Geschäften zeigt die meist mehr oder weniger ähnlichen typischen Einrichtungen. Schaufenster-Deko, Brillenwände, ein bis zwei kleine Anpasstische und ein paar optische Geräte.

Doch ein Geschäft sticht deutlich heraus: das „In Barberia“. Hier sind keine Brillen im Schaufenster ausgestellt. Hinter dem Schriftzug auf der Scheibe fällt der Blick auf eine alte Werkbank mit allerlei Werkzeug. Ein Mann mit langem weißem Bart feilt konzentriert an einem Stück Acetat, bei der man die Form einer markanten Brillenfassung deutlich sieht. Passanten bleiben stehen, schauen ihm eine Weile zu. Manche gehen weiter und andere sind derart fasziniert, dass sie hereinkommen. Antonio Battaglia unterbricht seine Arbeit gerne, er berät und erzählt, was er hier genau macht. 

Wir haben uns bereits Wochen vorher einen Termin geben lassen und bekommen eine Tour durch seine kleine, aber feine Manufaktur. „Die Idee, eigene Brillen herzustellen, kam sicher nicht über Nacht“, erzählt Antonio mit hochgezogenen Augenbrauen. „Vor etwa 15 Jahren habe ich begonnen, mich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Zuvor war ich ganz normal als Augenoptiker tätig, mit allem, was dazugehört: Verkauf, Beratung, Kontaktlinsen, Refraktion – aber ich wollte etwas Eigenes schaffen. Etwas, das über die Massenware hinausgeht.“ Damals war er noch auf dem Festland tätig und nicht wie heute in der Altstadt von Venedig. Zu seinem Geschäft gehört noch ein weiterer Betrieb gut 30 km nördlich in Treviso dazu, den er mit seinem Geschäftspartner Marco Andreoni betreibt. 

Ob er auch selbst hier wohnt? „Ja, natürlich“, erklärt er. „Ich lebe hier, arbeite hier, gehe hier einkaufen. Venedig ist ein Teil von mir – ich könnte nirgendwo anders diese Art von Arbeit machen.“ Die Nähe zum Markusplatz sei dabei keineswegs ein Zufall. „Venedig inspiriert mich täglich. Die Geschichte, die Handwerkskunst, die Farben – all das prägt meine Arbeit. Die „Barberia“ war einst ein Friseursalon, den ich übernommen und in eine Augenoptik-Werkstatt verwandelt habe. Der Name ist geblieben, als Hommage an den Ort.“ Falls doch noch mal jemand hereinkommt und nach einem Haarschnitt verlangt, sagt er, dass er inzwischen lieber Gesichter mit Brillen „frisiert“.

Jede Brille ein Unikat aus 40 Arbeitsschritten

Als Kunden hat er zum Teil auch einige bekannte Persönlichkeiten. Welche genau das sind, verrät er nicht – zumindest nicht im offiziellen Teil des Interviews. Darunter befinden sich bekannte Schauspieler und Politiker. Wenn sie hereinkommen, spielt das für ihn allerdings keine Rolle. Er ist an ihren Gesichtern, wie an jedem anderen Gesicht, interessiert – und möchte nur eins: Die perfekte Brille dafür kreieren. Dazu hat er sich unter anderem ein Tool gebaut, was er den Kunden aufsetzen kann, um die Maße direkt abzulesen, auch anhand von Fotos. Im Angebot hat er rund 400 Farben. 

Eine Zeichnung bildet die Basis, aber er nutzt keine Schablonen oder Maschinen zum Ausfräsen. Hier werden Mittelteil und Bügel mit der Laubsäge ausgesägt und weiter klassisch mit Feile und Schmirgelpapier bearbeitet. Die Scharnier­betten und Fassungsnuten fräst er oder einer seiner Mitarbeiter auch selbst. Seine Scharniere sind besonders schön. Sie hat er mit Bedacht bei einem renommierten Anbieter ausgewählt.   

Der Prozess einer Maßanfertigung beginnt immer mit einem Gespräch. „Wir reden viel – über Stil, Alltag, was jemandem wichtig ist. Ich schaue mir die Gesichtsform an. Dann zeichne ich erste Skizzen, wähle mit dem Kunden Materialien und Farben aus. Von der ersten Idee bis zur fertigen Brille vergehen oft mehrere Wochen. Jede Brille durchläuft rund 40 einzelne Arbeitsschritte.“

Neben den Einzelanfertigungen fertigt Antonio auch kleine Kollektionen an. „Das sind Serien von fünf bis zehn Stück – jedes Modell ein Statement. Das sind keine Serienprodukte, sondern eher Ideen, die ich teilen möchte. Sie dienen oft auch als Inspiration für Kunden, die dann eine Variante nach ihren Wünschen bestellen“, so der Augenoptiker. Manchmal ­kooperiert er auch mit anderen Marken, aber nur, wenn solche Werte übereinstimmen wie Respekt für das Handwerk, Qualität und Individualität. Wenn es nur ums Verkaufen geht, dann interessiert es ihn nicht. 

Einen bekannten Namen verrät er uns dann doch: US-Schauspieler Jason Momoa (Aquaman, Game of Thrones) hat sich eine Brille von ihm auf die Nase schneidern lassen. Das Modell führt er in leicht geänderter Form unter dem Namen „Jason“ im Programm. 

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Material mit Charakter 

Bei der Wahl der Materialien ist Antonio kompromisslos. „Ich arbeite mit ausgewähltem Acetat hauptsächlich aus Italien und ab und zu auch aus Frankreich – das Material muss nicht nur schön aussehen, sondern sich auch gut anfühlen und langlebig sein. Büffelhorn beziehe ich über spezialisierte ­Anbieter, die ethisch einwandfrei arbeiten und das Horn als Nebenprodukt aus nachhaltiger Viehzucht gewinnen.“

Ein Ort für echte Kundenerlebnisse

Der Besuch in seinem Geschäft ist für viele Kunden ein wahres Erlebnis. „Viele kommen gezielt, manche stolpern eher zufällig herein. Aber fast alle sind überrascht, was hier alles entsteht. Ich nehme mir Zeit – für die Beratung, für die Geschichte hinter jeder Brille.“ Rund 75 % seiner Kunden kommen aus dem Ausland. Und ja, auch Online-Bestellungen werden immer wieder angefragt. Manche haben von ihm gehört oder wurden ihm von anderen Kunden empfohlen. Dann schreiben sie ihm E-Mails und teilen Fotos. Antonio bespricht es manchmal per Videocall. Das funktioniere zwar erstaunlich gut, aber der direkte und persönliche Kontakt sei durch nichts zu ersetzen.

Da seine Kunden nicht immer zu ihm kommen können hat Antonio mehrere Termine im Jahr, bei denen er in die Nähe einiger seiner Kunden reist. Dazu zählen New York, Wien, Athen. Hier berät er, stellt Messungen an und bereitet alles vor für die Fertigung in Venedig bzw. Treviso.

Viele seiner Kunden sind „Wiederholungstäter“. Sie kommen immer wieder – für eine neue Brille, für Reparaturen und manchmal einfach nur auf einen Espresso. Es entstehen echte Beziehungen. „Ich habe Kunden aus New York, aus Tokio, aus Paris – und trotzdem ist es immer sehr persönlich, wenn wir uns treffen. Das ist das Schöne an dieser Arbeit“, sagt er und fügt hinzu: „Wenn jemand seine fertige Brille zum ersten Mal aufsetzt, ist es immer etwas Besonderes. Es ist dann so, als ob zusammenpasst, was schon immer zusammengehört hat. 

Kooperationen und Nachhaltigkeit

Antonio arbeitet auch mit ausgewählten Augenoptikern zusammen. Allerdings ist er dahingehend sehr wählerisch, denn seine Brillen brauchen intensive Beratung – man muss schon wissen, wie man sie verkauft und anpasst. „Deshalb arbeite ich nur mit Partnern, die das Handwerk schätzen und ihre Kunden wirklich beraten wollen. Dazu gehören auch Verlässlichkeit, Begeisterung für das Produkt – und die Zeit für Kunden. Wer meine Brillen verkauft, muss erklären können, warum sie anders sind. Es reicht nicht, sie einfach ins Regal zu stellen“, betont er. 

Nachhaltigkeit als Grundhaltung

Auch das Thema Nachhaltigkeit spielt eine Rolle. „Wir vermeiden Plastikverpackungen, verwenden natürliche Materialien, fertigen nur auf Bestellung. Weniger ist oft mehr – gerade in Venedig, wo man täglich sieht, was Massentourismus und Wegwerfmentalität anrichten.“

Persönlich wird’s beim Modell

Sein eigenes Modell ist leicht, aus schwarzem Horn und mit sehr klarer Form: schlicht, aber ausdrucksstark. Für ihn ist dabei wichtig, dass sich das Design zurücknimmt und der Mensch im Vordergrund steht. Er betont: „Für mich muss eine Brille wie ein gutes Kleidungsstück funktionieren – man fühlt sich damit einfach gut.“

Es gibt bereits Pläne, das Geschäft in Venedigs Altstadt zu vergrößern. Die Chancen stehen gut, dass das Nachbargeschäft frei wird. Dann kann er seiner Arbeit noch mehr Raum geben. 

Antonio ist seit einiger Zeit nicht komplett allein im Geschäft, unter seiner Werkbank tappst ein noch nicht ganz ausgewachsener Dackelwelpe hervor. Er ist das geschäftige Treiben vor der Schaufensterscheibe gewohnt und kennt die Geräuschkulisse. Früh am Morgen oder am späten Abend, wenn die Gassen mit den vielen Touristen sich wieder leeren, drehen beide ihre Runden und wissen, wie sich die Stadt anfühlt, wenn die zahlreichen Tagesgäste wieder abgereist sind. n

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