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Azubi: Chef – ich hab‘ Angst

Bilder: VectorRocket/stock.adobe.com

Wie Sie Ihrem Azubi die Prüfungsangst nehmen

Das kommt immer wieder vor: Auszubildende, die im Betrieb und in der Berufsschule gute Leistungen zeigen, werden plötzlich nervös, machen häufiger Fehler und wirken unkonzentriert. Der dadurch entstehende Leistungsabfall verstärkt sich, je näher der Termin der Abschlussprüfung rückt. Der Auszubildende hat ganz eindeutig Prüfungsangst. Wie Sie Ihrem Auszubildenden in dieser Situation helfen können, wollen wir in diesem Beitrag verdeutlichen.

Woran erkennt man Prüfungsangst?

Eine Prüfung stellt für jeden Menschen eine Ausnahmesituation dar, mit der man unterschiedlich umgeht. Die einen gehen eine Prüfung „locker“ an und stellen sich entspannt der Aufgabe. Andere werden immer fahriger und nervöser, je näher die Prüfung rückt. Um den ängstlichen Auszubildenden zu helfen, muss man so früh wie möglich erkennen, dass er unter Prüfungsangst leidet.

In vielen Fällen kann man schon beim Bewerbungsgespräch erkennen, wie der Azubi in einer Prüfungssituation reagieren wird. Denn schließlich ist dieses Gespräch auch eine Art ­Prüfung, von der für den Azubi viel abhängt. Achten Sie deshalb darauf, welche Signale vom Lehrstellen-Interessenten ausgehen. Wirkt er nervös? Bekommt er feuchte Hände oder einen roten Kopf? Das können Hinweise sein, die auf Prüfungsangst schließen lassen.

Eine vermutete Prüfungsangst sollte jedoch kein entscheidendes Kriterium für eine Einstellung sein. Selbst bei einer stark ausgeprägten Angst kann man dem Azubi helfen und so einen zuverlässigen Mitarbeiter auf Dauer gewinnen. 

Verhaltensveränderungen sind oft ein Zeichen von Prüfungsangst. Ein ruhiger Azubi wird auf einmal „zappelig“, und kann sich nur noch schwer konzentrieren. Wird er angesprochen, erschrickt er leicht und ein ständig roter Kopf weist auf Bluthochdruck hin. 

Hier geht es nicht um das Wissen

Bei der Prüfungsangst geht es nicht um das Fachliche, sondern um das Emotionale. Ein Azubi, der seine Lehrzeit nicht nutzte, wird die Prüfung auch nicht bestehen, wenn er seine Prüfungsangst unter Kontrolle bekommt. Andererseits kann eine dominierende Prüfungsangst die Zukunft eines jungen Menschen zerstören. Nicht umsonst gibt es eine ganze Reihe von Fachleuten, die eine Gesamtbewertung der Ausbildungszeit für sinnvoller halten als die „Momentaufnahme“, die eine Prüfung liefert. 

Das Thema offen ansprechen

Während der Ausbildung werden sie schnell merken, ob ein Azubi unter einer ausgeprägten Prüfungsangst leidet. Auffällig wäre beispielsweise, wenn der Azubi sich häufig an Berufsschultagen krankmeldet oder gar unentschuldigt fehlt. Hier sollte man Rücksprache mit der Schule nehmen – vielleicht sind dies immer Tage, an denen Klausuren anstanden.

Stellen Sie bei Ihrem Azubi Prüfungsängste fest, sprechen Sie dies offen an. Machen Sie zunächst deutlich, dass die Prüfungsangst an sich etwas Normales ist. Jeder ist bei einer Prüfung mehr oder weniger aufgeregt. Erzählen Sie Ihrem Lehrling auch von Ihren Ängsten, die Sie bei Prüfungen überwinden mussten. Damit signalisieren Sie nicht nur, dass Sie das Problem kennen. Für den Azubi wird es so auch leichter, sich Ihnen gegenüber zu öffnen.

Die „positive Angst“

Wenn wir davon ausgehen, dass jeder eine gewisse Prüfungsangst hat – warum kommen dann einige damit besser zurecht als andere? Die Antwort: Es gibt tatsächlich so etwas wie eine „positive Angst“. Sie wirkt sich auf unseren Körper und unser Gemüt aus, indem Stresshormone freigesetzt werden, die die Leistungsfähigkeit – wenn auch nur zeitlich begrenzt – steigern. Dadurch kann man sich auf das (Prüfungs-)Ziel besser konzentrieren. Auch Prozesse, die ablenken, werden zeitweise unterdrückt (z.B. Hunger, Durst usw.). Das funktioniert aber nur, wenn die Angstgefühle sich in einem kontrollierten, überschaubaren Rahmen bewegen.

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Eine Prüfung „proben“

In vielen Fällen ist das Unbekannte der Grund einer ausgeprägten Prüfungsangst. Dabei geht es weniger um das fachliche Wissen als um die Art und Weise, wie die Prüfung ablaufen wird. Hier können Sie dem Azubi helfen, indem Sie die Prüfung mit ihm durchspielen. Dabei sollten Sie aber so realistisch wie möglich vorgehen. Es ergibt keinen Sinn, dem Azubi „vorzugaukeln“, dass eine Prüfung immer problemlos abläuft. Zeichnet man ein zu perfektes Bild eines Prüfungsszenarios, das mit der Realität nur wenig zu tun hat, endet dies in der realen Prüfung in einem Fiasko.

Was wäre, wenn …

Dieser Tipp gilt natürlich nur, wenn Sie von den Fähigkeiten Ihres Azubis überzeugt sind und Sie ihn in jedem Fall als Mitarbeiter behalten wollen. Sprechen Sie offen darüber, wie es weitergehen wird, sollte der Azubi die Prüfung nur mittelmäßig oder gar nicht bestehen. Sagen Sie ihm offen, dass sie von ihm überzeugt sind und ihm auf jeden Fall eine weitere Chance einräumen werden.

Die Prüfungsangst hängt sehr stark mit dem Selbstwertgefühl eines Menschen zusammen. Indem Sie sich hinter Ihren Azubi stellen und Perspektiven aufzeigen, stärken Sie sein Selbstwertgefühl, was auch dazu beiträgt, dass seine Prüfungsangst zumindest kontrollierbarer wird. 

Aber Vorsicht: Achten Sie genau auf das, was Sie sagen. Auf keinen Fall darf der Eindruck entstehen, dass Sie davon überzeugt sind, dass der Azubi die Prüfung nicht besteht. Dieser Eindruck würde das Gegenteil eines gesteigerten Selbstwertgefühls erzeugen und wäre kontraproduktiv.

Vor der Prüfung

Wenn die Prüfung in greifbare Nähe rückt, sollten Sie Ihren Azubi motivieren, sich hierauf zu konzentrieren. Bei vielen führt die Prüfungsangst dazu, dass man versucht, das Thema Prüfung auszublenden. Dies bewirkt aber, dass man während der Prüfung noch ängstlicher ist. Je näher die Prüfung rückt, desto öfter sollte das Thema angesprochen werden. Machen Sie dabei auch klar, dass für diese Zeit die Freizeitaktivitäten und der Partner oder die Familie zunächst einmal hintenanstehen müssen.

Das heißt aber nicht, dass im „Endspurt“ keine Zeit mehr für Entspannung sein darf. Im Gegenteil. Kein Mensch ist in der Lage, ununterbrochen zu lernen und zu denken. Entspannungsphasen müssen auf jeden Fall sein. Aber sie haben in dieser Phase nur den Zweck der Erholung. Freizeitaktivitäten, die körperlich und geistig höchste Ansprüche stellen, sollten unterbleiben. Ein gutes Rezept ist es, bestimmte Freizeitaktivitäten als Belohnung für Lernziele zu nutzen („Wenn ich dieses Thema beendet habe, gehe ich eine halbe Stunde spazieren“).

Wir haben an anderer Stelle bereits darauf hingewiesen, dass es hier primär um Emotionen geht. Aber natürlich spielt auch die fachliche Vorbereitung des Azubis eine wichtige Rolle. Je größer die Wissenslücken sind, umso schwerer wird die Prüfungsangst wiegen. Aber auch bei einer guten Wissensgrundlage sollte sich der Azubi nicht unter einen zu hohen Leistungsdruck setzen. Machen Sie ihm deshalb klar, dass zwischen einer Spitzenleistung und einer „so gerade bestandenen Prüfung“ ein breites Feld liegt. Wer aber immer nur die Spitzenleistung bringen will, setzt sich selbst unter einen hohen Druck, dem man meist nicht standhält.

Tipps während der Prüfung

In vielen Fällen kommt es während der Prüfung zu dem berüchtigten „Hänger“. Das ist normal, kann aber einen Azubi mit Prüfungsangst ganz aus der Bahn werfen. Raten Sie ihm deshalb, wenn dieser Punkt erreicht wird, nicht mit Gewalt weiterzumachen, sondern zunächst einige Übungen durchzuführen, um wieder auf Kurs zu kommen. Dazu gehört beispielsweise, dass man sich auch immer wieder selbst sagt, dass man die Aufgabe lösen wird. Während dieser gedanklichen Übung sollte man auch kurze Atemübungen durchführen: Zunächst gedanklich von der Prüfung Abstand nehmen, indem man zwei- bis dreimal tief durchatmet, dann die Muskulatur an- und entspannt. Wenn es möglich ist, sollte man auch ein paar Schritte gehen. 

Hartmut Fischer ist seit über 15 Jahren als freier Journalist mit Schwerpunkt ­Mittelstands- und Einzelhandels­themen selbständig tätig. Darüber hinaus ­berät er als Coach kleine und mittlere Betriebe in Kommunikationsfragen.

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