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Das Handwerkliche wird immer weniger

Bild: Arsenii / stock.adobe

Interview mit Optonia-Schulleiterin und Ausbilderin Alexandra Schmidt

Das Brillenglas muss in die Fassung. Für jeden Augenoptiker der Moment der Wahrheit, auch für die noch jungen, die vor der Berufswahl stehend, schon immer eher auf den optometrischen Zweig geschielt haben. Allerspätestens hier trennt sich also die Spreu vom Weizen, so weit so gut?! Wie steht es aktuell um die Tätigkeiten im Handwerksberuf des Augenoptikers und wie wird das in den Lehrplänen eingepasst? Die bedeutungsschwangere Frage sei hier erlaubt: Quo vadis Handwerk in der Augenoptik?

Interessieren sich mehr junge Menschen für die Augenoptik, wenn das Handwerk eine größere oder untergeordnete Rolle spielt? In einer Zeit, die Digitalisierung als Allheilmittel propagiert, wollten wir es wissen und haben genau dort nachgefragt, wo die Handwerker von Morgen ausgebildet werden. Alexandra Schmidt, Augenoptikermeisterin, Hörgeräteakustikermeisterin und Schulleiterin der Optonia in Diez steht uns im Interview dazu Rede und Antwort. Seit 1994 bildet sie den Augenoptiker-Nachwuchs aus und feierte soeben ihr 30-jähriges Dienstjubiläum an der privaten Fachschule für Augenoptik und Optometrie.

Alexandra Schmidt. Bild: Optonia

FOCUS: Frau Schmidt, was hat sich im Handwerk in der Augenoptik in den vergangenen 20 Jahren geändert?

Schmidt: Eigentlich ganz, ganz viel. Das fängt ja schon an mit den Gerätschaften, die wir verwenden. Also von einer hinterleuchteten Sehprobentafel, die damals schon sehr fortschrittlich war, bis hin zu digitalen Systemen, wo jetzt die analogen Systeme keine hinreichende Technik mehr bieten, sei es in der Augenglasbestimmung, sei es in der Brillenanpassung. Und wenn man sich anguckt, was Keratographen leisten, sind glaube ich die Ophthalmometer auch heutzutage nicht mehr unbedingt up to date.

FOCUS: Und fernab der technischen Komponente?

Schmidt: Dann kommt natürlich, was für den traditionellen Augenoptiker vielleicht nicht ganz so angenehm ist, der Onlinevertrieb dazu, sei es bei den Kontaktlinsen, sei es bei der kompletten Brille. Dann noch das Bewusstsein überhaupt für die Gesundheit, für das Ganze.

Grundlegend ändert sich ein jedes Handwerk aber in dem Moment, in dem wir fortschrittlichere Systeme bekommen, die ein ausgefeilteres technisches Know-how des Bedieners voraussetzen. Und die uns die Arbeit sehr stark erleichtern, was auch gesagt werden sollte. Ich denke da zum Beispiel an eine Bohrbrille, wo man früher noch mit der Handbohrmaschine gebohrt hat, und es dann heute der Automat erledigt.

FOCUS: Bleiben wir bei den vergangenen rund 20 Jahren: Was ist aus dem Lehrwerk gestrichen worden in dieser Zeit? 

Schmidt: Es ist relativ viel gestrichen worden – aber auch viel Neues hinzugekommen!

FOCUS: Natürlich, das wollen wir auch nicht verschweigen.

Schmidt: Wenn ich mir die handwerklichen Arbeiten angucke, wird natürlich noch vermittelt, wie gelötet wird oder wie man Glas von Hand schleift. Aber wenn wir überlegen, wie oft es dann auch tatsächlich noch benötigt wird, ist es doch ein sehr, sehr geringer Anteil im Beruf selbst.

Auf der anderen Seite haben wir diese Sachen, die in die
Bereiche Dienstleistung, Verkauf, Beratung gehen, die dazugekommen sind. Das heißt also die Nähe zum Kunden, was früher wesentlich geringer vertreten war in den Lehrplänen, nimmt jetzt ein ganzes Stück mehr in der Ausbildung ein und wird entsprechend unterrichtet.

FOCUS: Waren Sie mit solchen Änderungen einverstanden? Und gibt es etwas, das Sie anders gehandhabt hätten?

Schmidt: Also ich persönlich finde es nach wie vor sehr schade, dass gerade die handwerklichen Fähigkeiten oder Tätigkeiten aus dem Werkstattbereich rausfallen. Da
hätte ich mir eigentlich gewünscht, dass das drinnen bleibt. Wohingegen die anderen Veränderungen, gerade die Zunahme in Richtung Verkauf und Kundenberatung, finde ich sehr gut.

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FOCUS: Hätte es denn stärkere Veränderungen geben müssen, wenn wir uns auf die Lehrlinge beziehen? Und wie sehen Sie das in der Meisterausbildung?

Schmidt: In der Lehrlingsausbildung halte ich das für voll und ganz ausreichend, was da gemacht wird. Bei der Meisterausbildung würde ich mir gerade Kundenpsychologie durchaus präsenter wünschen. Das wird meiner Meinung nach ein bisschen vernachlässigt, auch wenn es im Lehrplan steht. Ja klar, man bringt da immer was
irgendwo mit rein, aber so wirklich kaum. Wie gehe ich denn jetzt mit einem schwierigeren Kunden um? Hier in die Tiefe zu gehen, wäre noch ganz hilfreich für die jungen Leute. Zumal seitdem ja auch die Gesellenzeit weggefallen ist. Es gibt nun Personen, die mit 20/21 ihren Meisterbrief in der Hand halten. Das, was man früher über die Gesellenzeit erreicht hat, wo man die Erfahrung sammeln konnte, das sollten wir jetzt in dem Bereich, meiner Meinung nach, mehr kompensieren.

FOCUS: Inwieweit spielt denn die Höherpositionierung in der Augenoptik eine Rolle? Also bei der Verlagerung von Handwerk zu Optometrie?

Schmidt: Muss ich die Frage beantworten? (lacht) Also ich denke, dass die angestrebte Höherpositionierung da sehr, sehr stark hineinspielt. Wobei wir bitte nicht vergessen dürfen: Wir sind nach wie vor ein Handwerksberuf. Und da muss auch das Handwerkliche durchaus noch mitberücksichtigt werden. Auf der anderen Seite ist es ebenso gut, dass wir uns in der Optometrie gut aufstellen und dementsprechend
bitte auch die Leute ausbilden. Besonders wenn man sich
die Ärztelandschaft ansieht, die ja auch mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen hat.

FOCUS: Muss ein moderner Augenoptiker denn alles können? Also Handwerk plus Optometrie? Oder ist es sinnvoll, sich zu spezialisieren und Schwerpunkte zu setzen, wie es teilweise auch in anderen europäischen Ländern gemacht wird? Dort gibt es ja zum Beispiel den technischen Augenoptiker, der vor allem in der Werkstatt arbeitet.

Schmidt: Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es sinnvoll ist, sich zu spezialisieren, schon allein, weil man so eher
Bereiche im Beruf forciert, die einem persönlich liegen. Wenn ich kein großes handwerkliches Geschick mitbringe, dann kann es ein Hindernis sein, dass ich in der Werkstatt arbeiten muss. Perfekt, wenn ich mich dann eher über den medizinischen Bereich, also den Bereich der Optometrie, angesprochen fühle.

Jeder nach seiner Fasson, was ihm also wirklich liegt – das wäre eigentlich das Optimale.

FOCUS: Kommen wir zum Abschluss einmal auf die Auszubildenden zu sprechen. Was bringen denn Ihre Azubis heute noch an handwerklichen Kenntnissen mit im Vergleich zu früher?

Schmidt: Das Handwerkliche generell wird immer weniger. Schon in der Schulausbildung wird darauf nicht unbedingt Wert gelegt. Es gibt zwar den mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig, in dem auch das Handwerkliche gelehrt wird, aber wenn ich mir angucke, wie viele Gymnasiasten oder Abiturienten wir dann in der Augenoptik haben: da fehlt die handwerkliche Ausbildung von Grund auf, von der Schule her. 

FOCUS: Bemerken Sie auch, dass den Schülern zu Hause weniger handwerkliche Vorerfahrung an die Hand gegeben wird?

Schmidt: Ja, auf jeden Fall. Nur einige wenige haben zu Hause schon mal mit Werkzeugen gearbeitet. Das könnte zunächst der Tatsache geschuldet sein, dass wir allgemein jetzt alle digitaler werden und dass solche Tätigkeiten dann auch häufiger wegfallen. Höchstwahrscheinlich ist aber auch ein Grund der, dass wir in dieser „Wegwerfgesellschaft“ leben. Warum soll man dann noch was reparieren? Kauft man sich halt neu – denken viele.

Das halte ich für das größte Problem, das wir hier haben.

FOCUS: Vielen Dank für das Gespräch.

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