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Der (Brillen-)Designer, der zum Mörder wurde

Serge Kirchhofer-Brillenfassung (Bild: Vintage and other things)

Vienna Connection: Die dunkle Geschichte von Serge Kirchhofer

In den 1970er-Jahren war Wien eine Stadt im Spannungsfeld zwischen barocker Pracht und moderner Dekadenz. Inmitten dieser Szenerie betritt ein Mann die Bühne, der alles andere als gewöhnlich ist: Udo Proksch. Er kennt die wichtigsten Leute, spricht mit Wiener Schmäh und blickt durch seine entworfenen Brillen, die genauso provokant sind, wie er sich gibt. Unter dem Künstlernamen Serge Kirchhofer revolutioniert er das Brillendesign – und hinterlässt Spuren, die bis heute in der Optikbranche nachwirken. Doch das ist nur die halbe Geschichte: Udo Proksch ist Drahtzieher eines der spektakulärsten Kriminalfälle Österreichs.

Provokation auf der Nase

Er war eher klein, etwas untersetzt mit schütterem Haar. Udo Proksch, Jahrgang 1934, entstammte einem strammen Nazihaushalt. Die Schule verließ er ohne Schulabschluss und begeisterte sich für Design und Mode. Dem späteren Brillendesigner ist in den 1960er- und 1970er-Jahren etwas gelungen, was bis zu diesem Zeitpunkt seinesgleichen suchte: Mithilfe des gerade dafür neu verwendeten Optyls extravagante Brillen zu kreieren – und damit die Brille ins Licht der Designwelt hervorzuholen. Sein Aufstieg ist dabei eng mit der Familie Anger verknüpft, in deren Brillenwerk er bereits 1956 als Kunststudent arbeitete. Damals galt die Brille vor allem als ein medizinisches Hilfsmittel, die idealerweise unauffällig sein sollte. Genau zu dieser Zeit entwirft er Modelle, die laut sind und auffallen. Bald schon designt er auch legendäre Brillenfassungen für beispielsweise Dior, Carrera, ViennaLine und weitere unter seinem Alias Serge Kirchhofer. Er schafft mit ihren überdimensionalen Formen, kräftigen Farben, und ungewöhnliche Materialien eine Bühne für Individualität, Luxus und Selbstinszenierung.

Der Designer spielt geschickt mit Gegensätzen: klassische Grundformen wurden dekonstruiert, traditionelle Farbpaletten durchbrochen. Kirchhofer-Brillen sind bis heute nicht nur Schmuckstücke, sie sind Statements. Sie passten perfekt zum Zeitgeist – und ebenso zu Prokschs Hang zur Inszenierung. Prominente, Stars, Politiker und Künstler begeisterten sich für seine Modelle. 

Viele seiner Brillen werden so zum Symbol einer neuen Ära – und Proksch zum Star der Optikszene. Was damals Avantgarde war, ist heute Designgeschichte: Viele seiner Entwürfe gelten als stilprägend, und einige Vintage-Modelle werden heute zu Sammlerpreisen gehandelt.

„Genial und verrückt“

Diese Eigenschaften schrieben ihm seine Wegbegleiter zu. Obwohl er optisch nicht so der Hingucker war, hatte er offensichtlich genug Charme, um die österreichische Haute­volee um den Finger zu wickeln. 

Ständig hatte er verrückte Einfälle: Um die Kunststoff­industrie zu seinen Gunsten anzukurbeln, warb Proksch beispielsweise für Bestattungen in senkrecht eingelassenen Plastikröhren. Dazu gründete er 1975 den Verein „Freunde der Senkrechtbestattung“. Außerdem war er ein Waffennarr und hatte stets eine geladene Pistole dabei. Seine Kontakte zum damaligen österreichischen Verteidigungsminister zahlten sich aus:  Für seinen Garten hatte er sich so ein Flugzeug besorgen können und über die österreichische Armee hatte er Zugang zu Sprengstoff, den er gerne auf einem Truppenübungsplatz zündete. 

Club 45 – Eintrittskarte zur Macht

Doch Proksch genügte die Rolle des Designers offenbar nicht. Mit dem Erfolg seiner Marke stieg er schnell in gesellschaftliche Höhen auf, die nur wenige erreichten. Zunächst übernahm er die Wiener Traditionskonditorei Demel – einst k.u.k. Hoflieferant und bekannt als Geburtsstätte der berühmten Sacher Torte. 

Während sich die Wiener Gesellschaft dort zunächst im Café traf, schuf Proksch in einem Salon über dem Verkaufsraum der Konditorei einen geheimen und heute legendären (im unangenehmen Sinn) exklusiven Treffpunkt der Macht. Hier versammelte er in seinem „Club 45“, regelmäßig Minister, Generäle und Industrielle. Was dort besprochen wurde, sollte unter Verschluss bleiben. Doch Proksch, der seine Gäste nicht nur mit Kuchen und Häppchen, sondern auch mit politischen Intrigen fütterte, gewann schließlich mehr und mehr an Einfluss.

Eine Etage darüber bot er Räumlichkeiten seines Studios an, in denen seine Kumpane noch mehr Privatsphäre genießen konnten als im Club 45. Was sich dort abspielte, wussten nur diejenigen, die diese exklusiven Räume betraten – und Udo Proksch.

Hinter der Fassade des genussfreudigen, gut vernetzten und provokanten Designers verbarg sich allerdings auch ein Mann mit dunklen Ambitionen. Einer, der kein Problem damit hatte, Grenzen zu überschreiten – auch moralische. Seine Kontakte reichten tief in politische und wirtschaftliche Kreise, und genau das machte ihn gefährlich. Sein Ziel: Noch mehr Reichtum, Macht und Einfluss – notfalls auch durch ein Verbrechen.

Von der Kollektion zum Kriminalfall – Die Lucona-Affäre

Hatte Proksch schon vorher durch geschickte Winkelzüge bei Finanzen und Steuern Kreativität bewiesen und sich entsprechend bereichert, so plante er 1977 etwas Unvorstellbares. Denn hier erreichte seine Gier den höchsten Rang auch auf krimineller Ebene. Nachdem er Industrieanlagen mehrfach zwischen Österreich und Italien hin- und hertransportieren ließ, um die Herkunft und den Zweck der Gegenstände zu verschleiern, lässt er sie auf das Frachtschiff „Lucona“ in Chioggia/Norditalien bringen. Deklariert wurde es als wertvolle Wiederaufbereitungsanlage für Uranerz, das nach Hongkong ausgeschifft werden sollte. 

Doch stattdessen wurden wertloser Schrott und Teile einer ausgemusterten  Extrusionsanlage zur Herstellung von Fernwärmerohren aufs Schiff gebracht. Die Ladung wurde mit einer hohen Summe – nach heutiger Kaufkraft – von rund 65 Millionen € versichert. 

Der Adressat in Hongkong gehörte zur Verschwörung dazu. Denn es war klar, dass die Anlage nie den Bestimmungort erreichen sollte. Stattdessen wurde das Schiff mit einem rund 200 kg schweren Sprengsatz aus österreichischem Heeresbestand – Kontakte zahlen sich aus – nahe der Malediven im Indischen Ozean versenkt. Dabei billigend in Kauf genommen wurde der Tod der zwölfköpfigen Besatzung. Sechs Personen konnten sich knapp retten, sechs Personen starben. 

 In 4000 Metern Tiefe

Ziel war ein gigantischer Versicherungsbetrug. Wie minutiös dies geplant wurde, ließ sich erst Jahre später rekonstruieren. So wurde im Vorfeld der Verschiffung reger Briefverkehr ausgetauscht zwischen Prokschs Firmen und der Käuferfirma in Hongkong, der das Geschäft echt aussehen lassen sollte.

Es war lange unklar, wie die Explosion an Bord der Lucona herbeigeführt wurde. Als wahrscheinlich wird heute angenommen, dass ein Zeitzünder verbunden mit einer Autobatterie die Explosion herbeigeführt hatte. Da sichergestellt werden musste, dass das Schiff in einer großen Tiefe versenkt würde, aber das Schiff schneller vorankam als geplant und somit in flachere Gewässer kommen würde, wurde die Fahrt mehrfach verzögert. Mal wurde die Kanalgebühr für den Suezkanal nicht rechtzeitig gezahlt, so dass der Kapitän warten musste, mal wurde die Route geändert. 

Die Explosion erfolgte am 23. Januar 1977 um 12:00 Uhr im Indischen Ozean an einer Tiefe von über 4.000 Metern. Sechs der zwölf Besatzungsmitglieder inklusive des Kapitäns gelang die Rettung mit einem Floß, den anderen leider nicht.

Es heißt, nur 24 Stunden später wurde schon die Versicherung informiert und die Versicherungssumme angefordert. Doch diese weigerte sich zu zahlen. Acht Jahre lang. Begleitet von äußerst beharrlichen Ermittlungen. Denn, Vermutungen, es handele sich um einen gigantischen Versicherungsbetrug, lagen in der Luft. 

Schutz durch Politik – Jahre der Vertuschung

Am 15. Februar 1985 wurden Udo Proksch und ein mutmaßlicher Mittäter schließlich verhaftet. Nach nur zwei Wochen waren sie wieder auf freiem Fuß. Denn Proksch half sein Netzwerk: Minister vertuschten, Beamte schwiegen, Ermittlungen wurden blockiert. 

Doch der hartnäckige Journalist Hans Pretterebner hängte sich an die Sache ran und brachte Licht ins Dunkel. Der „Lucona“-Skandal erschütterte die Republik – und auch die Optikbranche begann zu hinterfragen: Wie konnte der gefeierte Designer zugleich ein eiskalter Mörder sein?

Der Absturz der Ikone

Danach wurde Proksch erneut verhaftet und kam abermals frei, doch diesmal setzte er sich auf die Philippinen ab. Er unterzog sich einer Gesichts-OP und legte sich eine neue Identität zu. Es half ihm jedoch nicht: Er wurde erkannt und erneut verhaftet. Derweil rollten auch in Österreich einige Köpfe. Hochrangige Politiker, darunter der Innenminister, mussten gehen. 

Diesmal konnte er seinen Kopf nicht aus der Schlinge ziehen, denn die Unfallstelle wurde mit einem ferngesteuerten U-Boot inspiziert. Die Bilder bestätigten die Explosion und zeigten Teile der wertlosen Ladung auf dem Meeresgrund. Fürsprecher gab es nun keine mehr für ihn.  

1992 wurde Proksch in einem „Jahrhundertprozess“ wegen Mordes und versuchten Mordes verurteilt. 2001 verstarb er 67-jährig in Haft während einer Herz-OP in einem Grazer Krankenhaus.

Udo Proksch hat die Brillenwelt verändert – das bleibt, trotz allem. Viele seiner Entwürfe wirken auch heute noch mutig, modern und visionär. Und doch ist es ein Erbe mit dunklem Schatten.

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