DOG: Psychosoziale Folgen des Schielens werden unterschätzt
Augenärzte weisen auf mit Strabismus verbundener Ausgrenzung, Ängsten und Depressionen hin
Schielen hat nicht nur organische Auswirkungen, sondern bedeutet für die Betroffenen oft immensen psychosozialen Leidensdruck. Warum Schiel-Operationen wichtig sind und wann der richtige Zeitpunkt für eine Korrektur der Fehlstellung ist, berichtet nun eine Expertin der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft e.V. (DOG).
Etwa 4% der Bevölkerung in Deutschland schielen. Mitunter beginnen Menschen erst im Erwachsenenalter zu schielen – etwa aufgrund eines Schlaganfalls, eines Unfalls oder einer Schilddrüsenerkrankung. „Aber das ist eher selten, die meisten Schielformen beginnen im Kindesalter“, erläutert Professor Dr. med. Bettina Wabbels, Leiterin der Orthoptik, Neuro- und pädiatrische Ophthalmologie an der Universitäts-Augenklinik Bonn. Schätzungsweise jedes 25. Kind schielt. „Man findet im Prinzip in jeder Klasse ein betroffenes Kind“, so Wabbels.
Vorurteile in der Gesellschaft: Menschen mit Strabismus sind weniger intelligent, sympathisch, attraktiv und fleißig
Beim Schielen, auch Strabismus genannt, weicht ein Auge von der Blickachse des anderen Auges ab. Das kann Doppeltsehen, verringertes räumliches Sehen oder Kopfschmerzen, bei Kindern auch einen einseitigen Sehverlust auslösen. „Mindestens genauso gravierend sind jedoch die psychosozialen Folgen“, betont die DOG-Expertin.
Studien würden belegen: Schielende Menschen werden von ihrer Umwelt als weniger intelligent, sympathisch, attraktiv und fleißig wahrgenommen, wodurch es zu Benachteiligungen im Alltag, Schule und Beruf sowie bei der Partnerwahl und folglich auch zu einer verringerten Lebensqualität kommen kann.
Blickkontakt wird häufig gemieden – zwischenmenschliche Irritationen die Folge
Das schafft seelischen Leidensdruck. „Schielen kann bei Kindern und Erwachsenen zu Scham, Vermeidungsverhalten, sozialem Rückzug oder mentalen Problemen führen“, berichtet Bettina Wabbels. „Diese Aspekte des Schielens werden bisher unterschätzt, obwohl sie für die Schielenden extrem bedeutsam sind“, betont die Bonner Augenärztin. Insbesondere im Blickkontakt seien schielende Menschen häufig verunsichert.
„Betroffene berichten, dass sie in der zwischenmenschlichen Kommunikation Schwierigkeiten haben; dass sie sogar beschuldigt werden, unehrlich oder unaufmerksam zu sein und nicht zuzuhören, da ihr Blick abschweife“, so Wabbels. Einige Betroffene versuchten, das Schielen durch Frisuren oder Kopfhaltungen zu kaschieren oder sehen ihrem Gegenüber gar nicht erst in die Augen, was die Interaktionsprobleme eher noch verstärke. Der Tipp der DOG-Expertin: „Schauen Sie auf die Nasenwurzel Ihres Gegenübers.“
Eine Schiel-Operation bietet Abhilfe – sie bessert nicht nur das Zusammenspiel beider Augen, sondern auch die psychosoziale Situation, indem sie zu größerer sozialer Akzeptanz und Attraktivität verhilft. Einen positiven Einfluss von Schiel-Operationen auf die Lebensqualität konnte die Universitäts-Augenklinik Bonn bereits in einer Pilotstudie belegen „Nach der Schiel-Operation sanken die Symptome von Ängsten und Depressionen unter die Schwelle der Behandlungsbedürftigkeit“, resümiert Wabbels. „Viele äußerten sich extrem dankbar, dass sie diese belastenden Probleme endlich offen thematisieren konnten – sie sagten vielfach, dass das Schielen ihr ganzes Leben beeinträchtigt hätte.“
Sechs-Jahresstudie kommt
Jetzt sollen diese Faktoren erstmals in einer großen Multicenterstudie („QUALITAS – Quality of live after strabismus surgery“) unter Leitung der Universitäts-Augenklinik Bonn über die Dauer von sechs Jahren an mehr als 1,000 erwachsenen Schielpatienten untersucht werden.
Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund sei es wichtig, Schiel-Operationen auch in Zukunft ausreichend zu finanzieren. Es gäbe zwar keine Studien zur Häufigkeit des Mobbings unter Kindern. „Aber das Hänseln beginnt meist im Grundschulalter“, sagt die Augenärztin. Vor Schuleintritt sollte die Fehlstellung idealerweise korrigiert sein.
Quelle: DOG