Fachkräftemangel: Dein Traumberuf mit Zukunft
Die aktuellen Zahlen zeigen es: Es herrscht nach der Pandemie so gut wie Vollbeschäftigung in der Augenoptik. Eigentlich eine solide Ausgangslage für Gehaltsverhandlungen. Augenoptiker werden gesucht wie chemische Elemente der 3. Nebengruppe des Periodensystems. Die Nachfrage sollte das Angebot regeln, das Angebot den Preis – meint man.
Heute Morgen lese ich in der Zeit einen Beitrag zur finanziellen Situation eines Augenoptikers. Als Geselle schauen bei ihm demnach bei einer 40-Stunden-Woche am Ende des Monats 1.672 € netto raus. Geld für Hobbies oder Urlaube hat er nicht. Er muss zudem mit diesem Gehalt Frau und Kind versorgen. Sein Bruttogehalt liegt bei 2.400 € und so kommt er auf einen Stundenlohn von 15 Euro. 3 Euro mehr als der seit Oktober 2022 gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn.
Warum arbeitet er also in der Augenoptik, die mitunter vom Verkauf ihrer knapp zwei Brillen am Tag geprägt ist? Bei einer Kette war er schon, da wurde vor allem von ihm gefordert, den Kunden eine neue Brille oder eine Versicherung dafür anzudrehen, erinnert er sich. „Uns wurde eingetrichtert, sich immer freundlich und zuvorkommend zu verhalten, auch den unfreundlichsten Menschen gegenüber“, sagt er. Gesprächsleitfaden eben.
Als er sich für den Beruf des Augenoptikers interessierte, sah er einen kreativen und zukunftssicheren Job. Er hat diesen Beruf bewusst ausgewählt. Seine persönlichen Talente sah er vor allem in der Werkstatt und im Handwerk. An Weiterbildung ist in seiner Situation gerade kaum zu denken. Warum geht er nicht in die Industrie, mag man sich fragen. Das Problem: Er ist bereits in der Industrie. Sein Arbeitsplatz, mitsamt seinem dürren Gehalt, ist bei einem Brillenglashersteller in der Fertigung. Er beschichtet Brillengläser im Schichtdienst.
„Die einstmalige Vorrangstellung, die das Augenoptikerhandwerk gegenüber anderen Berufen eingenommen hat, konnte nicht gehalten werden. Der soziale Status, abhängig vom gezahlten Lohn und übrigen sozialen Leistungen, ist nicht mehr so hoch, wie er aufgrund der notwendigen beruflichen Vorbildung und dem in der Öffentlichkeit noch immer wirksamen Prestige sein müsste.“ Vermutlich würde jeder Augenoptiker dem uneingeschränkt zustimmen. Das Zitat stammt aus einer Schrift des BNA, dem Bundesverband Nichtselbständiger Augenoptiker – oder besser: stammte. Denn diesen Verband gibt es schon lange nicht mehr, das Zitat geht zurück auf Anfang der 70er Jahre.
Das Gehalt eines Gesellen und jungen Meisters lässt seitdem große Wünsch offen. So haben es Personaler von Ketten und Betreiber neuer Vertriebsformen leicht, die frischgebackenen Augenoptiker vom Markt wegzufischen. Es reicht nur die Aussicht auf ein minimal besseres Gehalt und vieles, von dem ein junger Azubi einst geträumt hat, wird über Bord geworfen. Der Alltag ist dann der Verkauf in einer Optik-Filiale in einer Shopping Mall oder bei einem Brillendiscounter in einer x-beliebigen Filiale in einer x-beliebigen Innenstadt. Eine Zange wird nur noch in die Hand genommen, um die Inklination zu ändern, das war’s. Wie soll sich auch unsere Branche Menschen mit einem guten Gehalt leisten, wenn es Firmen gibt, die ihre 59-€-Gleitsichtbrillen flächendeckend verscherbeln? Am besten noch mit Meistertitel?
Doch das Beispiel des Augenoptikers aus der Zeit verschweigt: Mehr denn je stehen einem Augenoptiker heute viele Wege offen. Neben Meistertitel oder Studium geht der Weg sogar noch weiter: Durch die Akademisierung und der damit verbundenen Höherpositionierung hat es unser Beruf geschafft, den Weg noch ein Stück weiter zu gehen – bis zum Doktortitel. Gute Gehälter sind eben auch hier möglich, wenn auch nicht in der breiten Masse.