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Flüssigkristall-Technologien in Brillengläsern 

Bild: Getty Images

Die Innovation der adaptativen Smart Glasses 

Wenn der Arm ab dem 40. Lebensjahr1 immer länger wird und die Schrift der Zeitung bei jeder Ausgabe kleiner zu werden scheint, dann ist es Zeit, sich mit dem natürlichen Alterungsprozess des Auges zu beschäftigen. Mit fortschreitendem Alter treten unter anderem Veränderungen in der Sehfähigkeit auf, insbesondere im Nahsehbereich und das betrifft weltweit Millionen von Menschen. In diesem Zusammenhang gibt es verschiedene Korrektionsansätze, wie multifokale Kontaktlinsen, pharmakologische Augentropfen oder auch Brillengläser. Vor allem bei Brillengläsern sind in den vergangenen Jahren bahnbrechende Fortschritte zu sehen. Dabei rückt die Technologie hinter den Flüssigkristall-Brillengläsern immer weiter in den Mittelpunkt. Dieser Artikel bietet einen Einblick in die Entwicklungen der adaptiven Optiken, den dazugehörigen Aufbau der Flüssigkristall-Brillengläser sowie die daraus resultierenden Vorteile in der Praxis.

Doch zunächst zu den Grundlagen: Die Presbyopie, auch Altersweitsichtigkeit genannt, stellt einen progressiven Verlust des Naheinstellungsvermögens dar. Die Ursache liegt in der Augenlinse, welche ein Teil des optischen Apparates des Auges ist. Im Normalfall kann diese die Krümmung und somit auch die Brechkraft durch ihre
Eigenelastizität verändern, sodass Gegenstände sowohl in der Ferne als auch in der Nähe scharf erkannt werden können. Durch den Alterungsprozess reduziert sich ihre Flexibilität und sie wird starrer, was dann wiederum zu einer reduzierten Akkommodationsfähigkeit führt. Ist es so weit, gibt es verschiedene Hilfsmittel. 

Korrektionsmöglichkeiten 

Die wohl bekannteste Korrektionsmöglichkeit der Presbyopie stellt die Lesebrille dar, welche in Einstärken und multifokaler sowie progressiver Ausführung (Gleitsicht) verfügbar ist. Nachteile dieser Korrektion sind eine reduzierte Sehschärfe im Zwischenbereich sowie sehr nahen Bereich. Zusätzlich ist eine sehr genaue Zentrierung der Brille im Zusammenhang mit der optischen Achse des Auges notwendig. Vor allem bei Gleitsichtgläsern kann es zu einer starken Limitierung des Blickfeldes kommen, bei Lesebrillen kann dies durch die Brillenfassung auftreten. 

Eine weitere Korrektionsmöglichkeit stellt die Kontaktlinse dar. Diese gibt es neben Einstärken und multifokalen Varianten auch als Monovision, sodass nach Bedarf Objekte sowohl in der Nähe als auch im Zwischenbereich sowie der Ferne erkannt werden können. Eine weitere Möglichkeit ist die refraktive Chirurgie, zu der z.B. Intraokularlinsen, Intrakorneale Ringe oder Lasereingriffe zählen. Außerdem wird derzeit an der medikamentösen Therapie der Presbyopie mit Hilfe von verschiedenen Augentropfen geforscht (FOCUS 2023_09). Dabei werden verschiedene Parasympathomimetika, wie Pilocarpin, verwendet, um den Pupillendurchmesser zu verringern. Dadurch kommt es zu einem vergrößerten Tiefenschärfebereich, wodurch Objekte in der Nähe und je nach Medikament auch im Zwischenbereich scharf erkannt werden können. 

Verschiedene Firmen forschen derzeit zudem an Entwicklungen von Flüssigkristall-Brillengläsern, um die Nachteile der verschiedenen Korrektionsmethoden durch innovative Brillenglasdesigns abzuschwächen bzw. zu beheben. 

Die Technologie dahinter

1888 wurde der Flüssigkristall durch den österreichischen Botaniker Friedrich Reinitzer erstmals beschrieben. Dieser beobachtete, dass Cholesterinbenzonat bei einem Schmelzpunkt von 145,5°C schmolz, aber dies in einer wolkig trüben Zusammensetzung. Wurde die Temperatur um 30°C erhöht, änderte sich dessen Optik schlagartig zu einer klaren Schmelze. Er erkannte somit, dass die Cholesterinbenzonat-Moleküle in der trüben Phase eine gewisse Anordnung aufweisen, die für die lichtstreuenden Eigenschaften verantwortlich ist. 100 Jahre später berichteten C. W. Fowler und E. S. Pateras über den Einsatz der Flüssigkristalle in Brillengläsern zur Veränderung der Brechkraft des Korrektionsmittels. Die Flüssigkristalle haben vor allem in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung erfahren, beispielsweise in den Bereichen der (Smartphone-)Kamera- sowie der Brillenglasindustrie. Anfang der 2000er Jahre entwickelte ein Team unter dem amerikanischen Wissenschaftler Tom Krupenkin eine der ersten Flüssiglinsen. International sind diese als Liquid Crystal Lens (LCL) bekannt. Flüssigkristalle stellen die Mesophase einer Materie dar, in der sowohl Eigenschaften von Flüssigkeiten als auch von Festkörpern (Kristalle) wirken. Auf Grund dessen wird der Ordnungszustand dieser Stoffe oft als vierter Aggregatzustand bezeichnet.  

Die damalige Forschung legte den Grundstein für das heutige Ziel einer schnellen, unkomplizierten und individuellen Anpassung der Sehstärke an die Umgebungsbedingungen und das ohne das Auftreten von Abbildungsfehlern oder die Notwendigkeit des Brillenwechselns. Als adaptive Linsen können Brillengläser bezeichnet werden, welche durch den Einfluss eines externen Reizes, wie eines magnetischen Feldes, thermischer Einwirkung oder elektrischer Spannung, ihre Brennweite verändern können. Das Funktionsprinzip von Flüssigkristalllinsen lässt sich grob in zwei verschiedene Prinzipien unterteilen – die zweiphasige sowie die einphasige Linse. Gemeinsam haben beide Variationen, dass im Zentrum der Brillengläser Flüssigkeit zu finden ist. 

Das erste Prinzip beruht auf den zweiphasigen (lyotropen) Flüssigkristallen. Dabei werden zwei, nicht mischbare fluide Medien wie beispielsweise Öl und Wasser in eine Kammer gegeben. Die Flüssigkeiten sollten dabei dieselbe Dichte, jedoch unterschiedliche Brechungsindizes sowie Reaktionen auf elektrische Impulse besitzen. Die Kammer kann zum Beispiel durch einen Hohlraum innerhalb eines Brillenglases entstehen. Im Ruhezustand liegen beide Medien ausgewogen nebeneinander. Durch das Anlegen eines äußeren Reizes (z.B. elektrische Spannung) an die Oberfläche der Kammer, wird das elektrische Feld innerhalb der Kammer verändert. Auf Grundlage dessen ändert sich der Kontaktwinkel zwischen den beiden Medien sowie die Ausrichtung der Flüssigkristallmoleküle. Daraus resultiert nun eine Änderung der Krümmung beider Medien in der Kammer, was wiederum zu einer Änderung der Brennweite der Linse führt. Diese Methode kann durch eine formbare Membran verändert werden, sodass Flüssigkeiten verwendet werden können, die mischbar sind. Dem Prinzip gegenüber steht das der einphasigen (thermotropen) Flüssiglinsen. Der Aufbau dieser Linsen beruht auf Flüssigkristallen, welche in einer dünnen Schicht zwischen zwei transparenten Elektroden eingeschlossen sind. Durch das Anlegen einer elektrischen Spannung können die Moleküle definiert ausgerichtet werden und verändern so die Brechungseigenschaften und damit auch die Brennweite der Linse. Auf Grundlage der Funktionsprinzipien haben drei verschiedene Unternehmen Brillen entwickelt, deren Funktionalität auf Flüssigkristalllinsen basieren. 

eProgressives

Die belgische Firma Morrow Eyewear bezeichnet ihre Flüssigkristall-Brillengläser als „eProgressives“. Mit dieser Entwicklung gewannen sie 2023 die Silmo d’Or-Auszeichnung für optische Systeme. 

Das Brillenglasdesign des belgischen Herstellers wird als „proprietäre Linsen-in-Folie-Technologie“ beschrieben. Dabei besteht das Brillenglas aus elektrisch veränderbaren Flüssigkristallen, welche auf der Grundlage der Fresnel-Linsen beruhen. Dabei verändert sich die Brechkraft der Linse durch das Anlegen eines elektrischen Stromes mit einer Leistung von 500 µW (bei unpolarisiertem Licht). Die eProgressives sollen als Alternative zu Multifokaloptiken gesehen werden, welche ihre Träger durch zu geringe Sehbereiche beeinträchtigen. Zur Entwicklung wurde Morrow durch imec, ein belgisches Forschungszentrum für Nano- und Mikroelektronik und den belgisch-japanischen Brillenglashersteller Tokai Optecs unterstützt.

Mit der Touch-Bottom-Steuerung ändert eine kurze Berührung am Bügel die Fokuseinstellung der Brillengläser. Die flüssigkristallbasierten Linsen lassen sich über den optischen Boost um 0,75 bis zu 1,0 dpt verändern. Die Brillengläser besitzen dabei eine Entspiegelungsschicht sowie eine Hartschicht. Des Weiteren punkten sie mit einer CE-Zertifizierung sowie der Wasserschutzklasse IP68. Die IP68-Zertifizierung beschreibt, dass das Gerät sowohl staub- als auch wasserdicht ist. Wasserdicht bedeutet in diesem Zusammenhang den Schutz vor dauerndem Untertauchen bis maximal 1,5 m Wassertiefe für wiederum maximal 30 Minuten. Seitens des Unternehmens wird jedoch vor allem auf die Beständigkeit gegenüber Regen hingewiesen. 

Die Technologie der Brillengläser ist in zwei Einstellungsmöglichkeiten unterteilt. Im Off-Zustand wird ein klares Sichtfeld in der Ferne geboten, wodurch zusätzlicher Komfort bei alltäglichen Aktivitäten wie Autofahren und Einkaufen erreicht werden kann. Auch wird ein verbessertes Sehen im Zwischenbereich kommuniziert. Eine Erklärung kann das Wegfallen des eingeschränkten Fokuskanals bei herkömmlichen Gleitsichtgläsern beziehungsweise das Fehlen der scharfen Übergänge zwischen Fokusebenen bei bifokalen Glasdesgins darstellen. So können Objekte im Zwischenbereich im unteren Bereich des Glases erkannt werden – dabei aber annähernd über die gesamte Glasbreite. Limitiert werden diese Möglichkeiten durch die gewählte Brillenfassung. Ein weiterer Vorteil der Gläser stellt die bessere Tiefenwahrnehmung dar. Der bekannte Multifokaleffekt solle durch die Brillengläser reduziert werden, in dem es keine abgegrenzten Sehbereiche gibt. Hier entfällt auch die Suche der richtigen Kopfhaltung zum Erkennen der Schrift in der gewünschten Entfernung. Ein weiterer Vorteil sind die geringeren peripheren Verzeichnungen, welche bei Gleitsichtgläsern einen Nachteil darstellen. Somit können auch in den Randbereichen des Brillenglases schärfere Abbildungen erreicht werden, was zu einem größeren Sichtfeld führt.  

Der On-Zustand der eProgressive Brillengläser wandelt den Brennpunkt der Gläser von der Ferne in die Nähe – und das innerhalb von 0,6 Sekunden. Der breite Lesebereich von rund 24 mm und die damit einhergehende Begrenzung der Aberrationszone führt zu einem hohen Lesekomfort sowie zu einem geringeren Risiko für das Auftreten von Abbildungsfehlern. Dadurch müssen die Augen und im Umkehrschluss das Gehirn weniger verschiedene Bildeindrücke verarbeiten, was folglich die Anfälligkeit auf Schwindel reduziert. In diesem Zusammenhang wird derzeit getestet, ob die Brillengläser eine positive Auswirkung auf Migränepatienten haben können. Weiterhin werden sowohl der Kontrast als auch die Präzision des Brillenglases durch die Reduzierung der Abbildungsfehler erhöht. Der Bereich des Glasdesigns für das Sehen in der Nähe erstreckt sich dabei bis in die Mitte des Korrektionsglases. Im oberen Bereich können zeitgleich weiterhin Objekte in der Ferne bzw. im Zwischenbereich erkannt werden. 

Der Wirkbereich der Gläser liegt dabei zwischen -6,0 bis +4,0 dpt mit einer maximalen Addition von +2,75 dpt. Auch die Korrektion des Astigmatismus ist möglich. Nach der individuellen Anpassung der Gläser sollen diese kontinuierlich getragen werden, um eine schnelle Gewöhnung der Augen sowie des Hirns an die Brille innerhalb von 14 Tagen zu erzielen. Die durchschnittliche Autonomie der Brille beträgt rund zwei Tage, je nach Benutzung der verschiedenen Modi. Im dauerhaften Off-Modus hält der Akku der Brille für bis zu zwei Wochen, im Dauerzustand des On-Modus lediglich acht Stunden. Innerhalb von 30 Minuten ist der Akku wieder vollständig geladen. Doch was ist, wenn der Akku vollständig geleert ist und keine Ladeoption zur Verfügung steht? Dann geht das System automatisch in den Fail-Safe-Modus, währenddessen die Brille laut Hersteller im Off-Modus voll funktionsfähig ist, da der optische Boost deaktiviert wird. 

32°N

Eine weitere Entwicklung bei Flüssigkristall-Brillengläsern geht auf das israelische Start-up Deep Optics zurück, welches 2021 durch eine Kooperation mit Fielmann die Flüssigkristall-Sonnenbrille „32°N“ mit variablen Fokus auf den Markt gebracht hat. Die Investmentfirma Fielmann Ventures beteiligt sich in diesem Zusammenhang mit 10% an dem Start-up. Deep-Optics Chef Yariv Haddad betont die „Vorteile der gemeinsamen Entwicklung der Brille“, da die Mitarbeitenden seines Unternehmens das tiefe technologische Know-how und Produktentwicklungsexpertise einbringen, wohingegen Fielmann das weitreichende Verständnis von Kundenbedürfnissen mit augenoptischer Fachkompetenz beisteuert. 

Die erste Innovation aus der Kooperation stellt eine Sonnenbrille dar, welche über einen Knopfdruck am Brillenbügel zu einer Lesebrille umfunktioniert werden kann. Die 32°N-Brille erlangt den dynamischen Fokus über pixelierte Flüssigkristalllinsen. Dabei bilden Millionen von Pixeln die sogenannte Liquid Crystal-Schicht. 

Die Ausrichtung der Kristalle in der Schicht ist variabel veränderbar, abhängig davon, in welcher Entfernung eine scharfe Abbildung generiert werden soll. Diese Ausrichtung geht jedoch nicht von allein vonstatten, sondern durch das Anlegen einer Spannung. Die Spannung wird durch den Wisch-Wechsel bzw. Knopfdruck am Brillenbügel ausgelöst. Daraus entsteht bezüglich der optischen Leistung der Linsen entweder eine streuende oder eine fokussierende Wirkung. Anhand der Einstellvarianten kann zwischen dem „Szenenmodus“, welcher für das Sehen in einer entfernten Distanz entwickelt wurde und dem „Lesemodus“ für die Naharbeit, z.B. das Lesen einer Speisekarte, unterschieden werden. 

Wie in der dargestellten Abbildung (Abb. 3) liegen die Flüssigkristalle für den Szenenmodus (Ferne) alle parallel nebeneinander, ohne eine Verkippung der einzelnen Linsen. Je stärker die Kristalle in diesem Fall verkippt sind, umso stärker wird das einfallende Licht gebrochen, sodass der Brennpunkt näher an die Linse wandert. Daraus zeigt sich, dass die Einstellung für den Lesemodus sowohl parallele als auch um 90 Grad verdrehte Linsen beinhaltet. Für eine genaue Anpassung wird auch bei dieser Brille die Pupillendistanz erhoben. Darüber hinaus wird zusätzlich der Abstand zwischen den Zentren der aktiven Linsen kontrolliert. Der Vergrößerungsbereich der Linse kann laut Hersteller individuell zwischen 0 und 2,5-fach variiert werden. Zusätzlich besitzen die Gläser eine Antikratzschicht, einen UV-Schutz sowie Polarisationsfilter. Das Gesamtgewicht der Sonnenbrille soll in diesem Fall 45 g betragen.  

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Ziel des Start-up ist die Anpassung der dioptrischen Wirkung sowie der Steuerung der Brille über eine App, welche über das Handy bedient werden kann. Diese soll sowohl im Google Play-Store als auch im App-Store zu finden sein. Bisher ist geplant, ein kostenpflichtiges Abonnement in der App anzubieten. Die Innovation wurde 2022 erstmals auf der Fachmesse für Unterhaltungselektronik (CES) in Las Vegas vorgestellt. Im selben Jahr erhielt diese Entwicklung durch das „Time Magazine“ die Auszeichnung der besten Innovation im Bereich „Style“. Auf der offiziellen Webseite des israelischen Unternehmens wird die Brille in den Farben Schwarz, Karamell, Braun sowie einer durchsichtigen Variante, bei der die Technik hinter der Brille gesehen werden kann, für rund 849 Dollar angeboten. Erhältlich ist sie in den USA.

Französiches Start-up als Entwickler

Das dritte Unternehmen im Bunde ist das französische Start-up „Laclarée“. 2016 von dem Gründer Bruno Berge ins Leben gerufen, brachte dieser die Technikentwicklung der adaptiven Brillengläser ins Rollen. Hier soll es sich um echte Autofokus-Linsen handeln. Betroffene werden in der Lage sein, ein flüssiges, natürliches und immer scharfes Sehen zu erleben. In dem Projekt vereinigen sich Wissen und Erfahrungen aus Physik, Werkstofftechnik, der Optik (Vision Science) sowie der Betriebswirtschaft. Der erste Prototyp entstand bereits nach zwei Jahren Forschung.

Auf Grundlage dessen erhielt das Unternehmen im Jahr 2019 eine Seed-Förderung in der Gesamthöhe von 2 Millionen €, um damit die Entwicklung fortzusetzen. An der Förderung beteiligt sind in diesem Zusammenhang zwei der aktivsten Seed-Kapital-Investoren, aus Frankreich mit dem Investor Kreaxi sowie mit dem High-Tech-Gründerfonds (HTGF) aus Deutschland.

Die ersten Teste der damaligen Entwicklung wurden an rund 40 presbyopen Probanden in der CHU St-Etienne in Frankreich (Dr. Trone, Prof. Gain, Dr. Thuret) durchgeführt, um die Relevanz des Designs zu überprüfen. Das Feedback war laut Unternehmen sehr gut. Auch augenoptische Einzelhändler, Augenärzte sowie Experten aus der optischen Industrie
hatten die Möglichkeit, das Brillenglas auf Funktionalität zu testen. Als Fazit stimmten in diesem Fall erneut alle Beteiligten der Anwendung der Gläser zu. Doch wie funktionieren diese Brillengläser?

Sie unterscheiden sich einerseits von den Designs aus Israel. Die Brillengläser des französischen Start-ups bestehen aus vier verschiedenen Schichten, wie in Abbildung 5 zu sehen. Die beiden äußeren, klaren Schichten stellen ein reguläres unifokales Brillenglasdesign dar. Dabei beinhalten diese die dioptrischen Korrektionswerte und tragen Zusatzschichten, wie eine Hartschicht. Die beiden mittleren Schichten bilden eine zentrale Duplettlinse, welche einen Durchmesser von rund 20 mm besitzt. Diese Schichten umfassen wiederum zwei Flüssigkeiten mit unterschiedlichem Brechungsindex, die Low-Index-Schicht (hellblau) und High-Index-Schicht (dunkelblau). Beide sind durch eine verformbare Membran (rot) voneinander getrennt. Das Einbringen zusätzlicher Flüssigkeit führt zu einer Änderung der Krümmung der Linsen, wodurch die Brennweite der Gläser variiert werden kann.
Je höher das Volumen in der High-Index-Schicht, desto positiver wird die Wirkung (Jarosz et al., 2019). Die Flüssigkeiten beider Schichten können über zwei Mikrofluidik-Aktuatoren mit geringer Leistung von wenigen Mikrowatt in das Zentrum der Linse hinein- oder herausgepumpt werden. Die Brille wird neben dem opto-fluiden Aktuator auch durch zwei ToF-Lasersensoren (Laserdistanzsensoren) auf jeder Seite komplettiert. Dieser Sensor berechnet die Entfernung zu dem betrachteten Gegenstand. Anhand des Ergebnisses wird das benötigte Volumen der beiden Flüssigkeiten in der Linse abgeleitet.

Der Fokuswechsel des Prototyps zwischen den verschiedenen Entfernungen nimmt rund eine Sekunde in Anspruch. Alle Bestandteile der Brille sind laut Unternehmen kompatibel mit einer breiten Palette an Brillenfassungen, wodurch die Brille somit sehr individuell an die Bedürfnisse des Trägers angepasst werden kann.

Eine genaue Beschreibung der Prototypen der Brillengläser kann in der Veröffentlichung von Jarosz et al. von 2019 nachgelesen werden.

Das Produkt soll bis Ende 2025 in kleinem Maßstab mit den Mitteln aus der Anschubfinanzierung auf den Markt gebracht werden. Das Unternehmen arbeitet jedoch weiterhin an der Beschaffung von Mitteln zur Beschleunigung der Skalierung mit dem Ziel, die Linsen in industriellen Mengen an optische Einzelhändler zu liefern.

Nach der jüngsten Veröffentlichung des Unternehmens ist derzeit eine Probefassung (Abb. 4, links) für Augenoptiker erhältlich. Deren Kunden können den Sehkomfort der Autofokus-Brillengläser testen und dann verkaufen.

Derzeit gibt es noch einige weitere Unternehmen, welche im Bereich der Flüssigkristalllinsen-Technologie forschen und entwickeln. Dabei weitet sich die Thematik auch auf die Intraokular- und Kontaktlinsen aus.6 Ob sich bestimmte bestehende Designs durchsetzen oder vollkommen neue Entwicklungen den Markt dominieren werden, wird sich in der Zukunft zeigen. Bisher steht fest, dass ein großes Potenzial bei der Presbyopie besteht, was den Weg für verschiedenste Innovationen ebnet.

Lena Petzold begann nach dem Abitur 2018 das Bachelorstudium Augenoptik/Optometrie an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena, welches sie im Oktober 2021 abschloss. Mit gleitendem Übergang startete sie im selben Monat das anschließende Masterstudium. 2022 ergab sich ihr die Möglichkeit, ihre Bachelorarbeit auf der American Academy of Optometry vorzustellen. Nebenbei arbeitet sie seit 2021 bei JenVis Research.

Literatur:

1. Anderson HA, Stuebing KK. Subjective Versus Objective Accommodative Amplitude: Preschool to Presbyopia. Optom Vis Sci 2014;91:1290–301. 

2. https://www.hoet-design.com/site/data/images/paginablock/H02-DU-PBL-45Degreesite.jpg,  Stand 09.01.2024. 

3.https://32northglasses.com/products/32%C2%BAn-transpernt, Stand 09.01.2024. 

4. https://www.deepoptics.com/technology, Stand 09.01.2024. 

5. Jarosz J, Molliex N, Chenon G, Berge B. Adaptive Eyeglasses for Presbyopia Correction: An Original Variable-Focus Technology. Opt Express 2019;
27:10533–52. 

6. Syed IM, Kaur S, Milton HE, et al. Novel Switching Mode in a Vertically Aligned Liquid Crystal Contact Lens. Opt Express 2015;23:9911–6.

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