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ZVA vs. Brillen.de: Meisterpräsenz auf der Kippe? 

Bild: mimadeo/stock.adobe.com

Stellungnahme von ZVA und brillen.de

Die FOCUS-Redaktion erreichte kürzlich eine Pressmitteilung von brillen.de. Darin heißt es unter anderem: „Lehrstellen bleiben unbesetzt, Traditionsunternehmen müssen schließen, weil keine qualifizierten Nachfolger gefunden werden – wie in vielen handwerklichen Branchen herrscht auch in der Augenoptik Krisenstimmung. Dabei ist gerade die Dienstleistung dieser Branche gefragter denn je. Die Menschen werden immer älter und die junge Generation ist durch eine permanente Bildschirmnutzung viel früher und häufiger auf eine Sehhilfe angewiesen als noch vor ein paar Jahren.“ Als innovative Lösung biete der Brillendiscounter fachgerechte Betreuung der Kunden trotz Fachkräftemangel an, heißt es weiter darin. „Dafür wurden sämtliche brillen.de-Stores digital umgerüstet und mit einer hochwertigen Remote-Technologie (im Sinne der Telemedizin) ausgestattet, die den Kundinnen und Kunden bundesweit und zu jeder Zeit eine optimale Betreuung durch augenoptisches Fachpersonal bietet. Die Technologie wird sowohl bei Sehtests als auch in der Glasberatung angewendet. Somit werden sämtliche wesentliche Tätigkeiten des Augenoptikhandwerks im Remoteverfahren aus der Ferne betreut und die rein service­orientierten Themen wie beispielsweise die Hilfestellung bei der Fassungsauswahl werden in den Stores vor Ort von geschultem Personal übernommen.“

In der Pressemitteilung kommt auch brillen.de-Vorstand Volker Grahl zu Wort: „Eine digitale Lösung, die unsere 60 Augenoptikermeister via iPad völlig ortsungebunden in die jeweiligen Stores zuschaltet, ist aus unserer Sicht nicht nur zeitgemäß, sondern kommt auch unseren Kunden zu Gute: denn anders als bei unseren Mitbewerbern, wird der Remote-Sehtest bei uns immer von einem Augenoptikermeister durchgeführt. Dass wir mit unserer neuen, reinen Service-Store-Idee auch rechtlich auf der sicheren Seite stehen, beweist das ‚Brillenparty‘-Urteil des Oberlandesgerichts Hamm. Darin wurde festgestellt, dass wenn keine Leistungen des augenoptischen Handwerks vor Ort erbracht werden, weder die klassische Meisterpräsenz, noch eine Eintragung des Stores in der Handwerksrolle erforderlich ist.“

Insbesondere der letzte Satz sorgte nicht nur in der FOCUS-Redaktion für Erklärungsbedarf. Wir haben daher sowohl bei brillen.de als auch beim ZVA nachgefragt. Lesen Sie hier die ungefilterten Antworten. 


Stellungnahme: Zentralverband der Augenoptiker und Optometristen (ZVA), Dr. Jan Wetzel, Geschäftsführer

Dr. Jan Wetzel. Foto: ZVA, Peter Boettcher

FOCUS: Unter welchen Umständen ist in Deutschland keine Meisterpflicht nötig? Wie lautet hier die Definition? 

Dr. Wetzel: Lassen sich es mich andersrum beschreiben: Die Meisterpflicht gilt immer dann, wenn das Augenoptikerhandwerk – zu der rein rechtlich betrachtet auch die Optometrie gehört – ausgeübt wird. Betriebe, in denen dies geschieht, müssen in die Handwerksrolle eingetragen werden und Voraussetzung hierfür ist die Benennung eines fachlichen Leiters mit der Qualifikation Meister, wobei die Hochschul- und Fachschulabschlüsse ebenfalls anerkannt werden. Dies ist auch völlig unstreitig. Der juristische Streitpunkt besteht in der Perspektive: Ist jede einzelne Handlung maßgeblich, oder der gesamte Prozess? Im Rechtsstreit um die Brillenpartys ging das Gericht davon aus, dass auf die einzelnen Handlungen abgestellt werden müsse. Das Gericht hat also gefragt: Was geschieht tatsächlich auf den Brillenpartys? Am Ende war es eine modische Fassungsberatung, das Eingeben der Brillenglaswerte in ein Formular und die Messung der Pupillendistanz. All dies genügte aus Sicht des Gerichtes nicht, um davon auszugehen, dass auf den Brillenpartys tatsächlich das Augenoptikerhandwerk ausgeübt wird. Dabei hat das Gericht eine falsche Perspektive eingenommen. Denn entscheidend sind nicht die
einzelnen Handlungen. Entscheidend ist vielmehr der Umstand, dass auf den Brillenpartys Versorgungen mit individuellen Korrektionsbrillen vorgenommen werden – und dies ist eindeutig Augenoptik. 

FOCUS: Kann man einen brillen.de-Shop mit einer Brillenparty vergleichen, bei der lediglich Fassungen seinen Besitzer wechseln?

Dr. Wetzel: Stopp. Bei den Brillenpartys haben die Partygäste am Ende auch eine individuelle Korrektionsbrille erhalten, nicht nur eine Fassung. Deshalb versucht die SuperVista AG natürlich diese Entscheidung für sich nutzbar zu machen. Und wenn man den gleichen falschen Bewertungsansatz vornimmt, dann kann man sagen: Glasberatung? Zentrierung? Anatomische Anpassung? Das machen wir im brillen.de-Shop alles nicht. Wir messen nur die Pupillendistanz und beraten den Kunden hinsichtlich Mode und Ästhetik. Genau wie bei der Brillenparty bekommt der Kunde von brillen.de die Brille am Ende auf dem Postweg nach Hause geschickt. 

Ein wichtiger Unterschied ist aber die Refraktionsbestimmung, die am Kunden in den Betrieben durchgeführt wird – auch wenn die Person, die refraktioniert, remote per Video dazugeschaltet wird. Diese Messung ist ebenfalls wie die Kontaktlinsenversorgung und die Abgabe und Herstellung von Brillen eine eindeutig dem Augenoptikerhandwerk zuzuordnende Tätigkeit. Allein schon aus diesem Grund müssen die brillen.de-Shops, die die Refraktionsbestimmung ausschließlich remote anbieten, in die Handwerksrolle eingetragen werden – auch wenn dies die SuperVista AG gerne anders hätte. 

FOCUS: Wie lässt sich überprüfen, ob am anderen Ende einer Remote-Sitzung eines Brillenanbieters, der Refraktionen in dieser Form durchführt, tatsächlich ein dafür ausgebildeter Augenoptiker sitzt? 

Dr. Wetzel: Ich weiß in der Tat nicht, wie dies praktikabel geprüft werden könnte. 

FOCUS: Jedes Geschäft sollte mindestens einen Meister o.ä. vorweisen können. Was ist aber, wenn ein Meister nun 30 oder mehr Geschäfte mit seiner Urkunde legitimiert? Sollte dann nicht ein Remoter für jedes Geschäft zugewiesen sein? 

Dr. Wetzel: In der Vorstellung der SuperVista-Verantwortlichen sieht die Welt so aus. Dennoch gilt: Trotz des Angebotes einer Remote-Refraktion durch einen Meister muss zusätzlich in jedem Betrieb ein Meister als fachlicher Leiter die Verantwortung tragen. 

FOCUS: Wie argumentieren Sie hier gegenüber Augenoptikern, die einen Filialbetrieb haben und für jede Niederlassung einen Meister o.ä. vorweisen müssen?

Dr. Wetzel: Weil so nun mal die Spielregeln sind. Was brillen.de treibt, ist Missbrauch und Rechtsbruch. Das Unternehmen versucht sich einen Wettbewerbsvorteil zu erschleichen, in dem es die Spielregeln ignoriert. Dass dies alles zu Lasten der Kunden geht, das bemerken wir beim Verband durch eine Vielzahl an Be­schwerden hinsichtlich Qualität, aber auch Service. Möglicherweise ist dies für das Unternehmen der einzige Ausweg, nachdem der Umsatz im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr um knapp 15% regelrecht eingebrochen ist. Berücksichtigt man dann noch die Inflation, dann wird es richtig düster. Als Kapitalgeber würde ich langsam nervös werden … 

FOCUS: Kann brillen.de Innungsmitglied werden?

Dr. Wetzel: Die Innungen sind bekanntlich Körperschaften des öffentlichen Rechts und deren Mitglied können alle Augenoptikbetriebe werden. Wenn also einzelne
Betriebsstätten in die Handwerksrolle für das Augen­optikerhandwerk eingetragen sind, dann hat die SuperVista AG einen Anspruch, Mitglied der örtlich zuständigen Innung zu werden. 

FOCUS: Bildet brillen.de Augenoptiker aus?

Dr. Wetzel: Davon ist mir nichts bekannt und ich kann es mir ehrlich gesagt auch nicht vorstellen. 

FOCUS: Liegen dem ZVA Daten vor, wie viele Partner mit dem brillen.de-Geschäftsmodell arbeiten und wie viele eigene Stores es gibt?

Dr. Wetzel: Für das Jahr 2022 wissen wir, dass die ­SuperVista AG 181 Filialen und 423 sogenannte „Partnerbetriebe“ hat.

FOCUS: Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen.


Stellungnahme: brillen.de, SuperVista AG, Volker Grahl, Vorstand/CSO

Volker Grahl. Foto: Klaus Söder, SuperVista AG

FOCUS: Unter welchen Umständen ist in Deutschland keine Meisterpflicht nötig? Wie lautet hier die Definition?

Grahl: Es geht unseres Erachtens nicht um die Interpretation einer Definition, sondern darum, inwieweit gesellschaftlicher Wandel, Fachkräftemangel und digitaler Fortschritt antiquierte Anforderungen in Frage stellen. Beispiel: Eine notwendige Meisterpräsenz, die einen Meister pro Geschäft vorsieht, in denen aber am Tag hunderte von Kunden einen Sehtest erhalten, zeigt, dass es hier nicht um die Kompetenz vor Ort geht, sondern nur um ein Diktat.

FOCUS: Welche Tätigkeiten/Arbeiten sind hiervon genau betroffen?

Grahl: Das OLG Hamm hat 2019 (OLG Hamm v. 28.01.2021 4 Rbs 446/20) den Schwerpunkt meisterliche Tätigkeit auf die Refraktion gelegt. Alle anderen Tätigkeiten sind anlernbar und nicht notwendigerweise durch einen Meister durchzuführen.

FOCUS: Kann man einen brillen.de-Shop mit einer Brillenparty vergleichen, bei der lediglich Fassungen ihre Besitzer wechseln?

Grahl: Bei unseren Stores handelt es sich um Showrooms, die gemäß der Definition des OLG Hamm keiner Meisterpräsenz bedürfen.

FOCUS: Wie lässt sich unabhängig überprüfen, ob am anderen Ende einer Remote-Sitzung tatsächlich ein dafür ausgebildeter Augenoptiker sitzt?

Grahl: Die Frage erübrigt sich, wenn berücksichtigt wird, dass diese Mitarbeiter genau auf diese Tätigkeit, nämlich die Refraktion, extra geschult und damit besonders qualifiziert sind und deshalb nur dafür eingesetzt werden.

Es werden nur die besten Refraktionisten eingesetzt, weil die Ergebnisse hervorragend sein müssen, um Rückgaben auszuschließen. Die Ergebnisse sind so gut, dass auch Partneroptiker auf diesen Service zugreifen.

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Zukünftig werden wir den Service auch Optikern außerhalb unseres Netzwerkes anbieten, weil wir wissen, wie schwer es ist, diese Fachkräfte zu bekommen.

FOCUS: Jedes Geschäft sollte mindestens einen Meister o.ä. vorweisen können. Was ist aber, wenn ein Meister nun 30 oder mehr Geschäfte mit seiner Urkunde legitimiert? Müsste man dann nicht daraus schließen, dass ein Meister jeweils genau einem Geschäft zugeordnet ist?

Grahl: Wie bereits beschrieben, sehen wir analog zu dem OLG-Urteil die Tätigkeit im Vordergrund, nicht den Aufenthaltsort. Wie Sie vielleicht wissen, fällt die Remote-Refraktion in den Bereich der Telemedizin, was zur Folge hat, dass schon der Ort der augenoptischen Dienstleistung bei unseren 60 Augenoptikermeistern liegt und nicht in den Ladengeschäften. Auch hier greift die Rechtsprechung in Sachen „Brillenparty“ (OLG Hamm v. 28.01.2021 4 Rbs 446/20), bei der festgestellt wurde, dass – wie auch in unseren brillen.de Showrooms – keine Leistungen des augenoptischen Handwerks angeboten werden und weder eine Augenoptikermeister-Präsenz notwendig noch eine Eintragung in die Handwerksrolle erforderlich ist.  

An der Stelle sei der Fachkräftemangel erwähnt, der bei einer 1:1-Zuordnung von Meister zu einem Store in keiner Weise verbessert werden würde. Durch den dezentralen Einsatz unserer Fachkräfte ermöglichen wir sogar in Gegenden eine fachliche Unterstützung, wo niemals ein Meister zu finden wäre. Gerade ältere Menschen in ländlichen Gegenden profitieren davon, weil sie keine langen Strecken in Kauf nehmen müssen, um zur nächsten Großstadt zu gelangen. Wir haben keine 1:1-Zuordnung zu Stores, wir ordnen 1:1 den Sehtest zu.

FOCUS: Sind die 60 Augenoptikermeister von brillen.de remote für eine vorher festgelegte Anzahl von Geschäften zuständig oder schalten sie sich unabhängig davon bei Auftragseingang in jede Filiale deutschlandweit dazu?

Grahl: Die Verfügbarkeit des Remote-Teams richtet sich immer nach der Anzahl der notwendigen Refraktionen und wird entsprechend angepasst.

FOCUS: Wie gehen Sie mit ermittelten Werten um, die einen nicht zufriedenstellenden Visus erreichen?

Grahl: Der Ablauf der Refraktion und die Interpretation der Ergebnisse ist nicht anders, als wäre der Refraktionist vor Ort. Sollte eine unerklärliche Abweichung, ein nicht zufriedenstellender Visus oder eine andere Besonderheit erkannt werden, wird der Besuch eines Augenarztes empfohlen.

FOCUS: Was sagen Sie den Kunden, wenn Sie mit einer Krankenkasse abrechnen möchten?

Grahl: Die Kunden erhalten eine Rechnung, die ggf. bei der Krankenkasse eingereicht werden kann.

FOCUS: Bildet brillen.de Augenoptiker aus?
Diese Frage blieb unbeantwortet.

FOCUS: Rückblick 2014: Wie war das Konzept von brillen.de aufgestellt. Welche Rahmenbedingungen sah die Zusammenarbeit vor?

Grahl: Die Rahmenbedingungen haben sich für Partneroptiker nicht geändert:

Es wird ein Kooperationsvertrag abgeschlossen, der das Optikergeschäft in das Händlerverzeichnis (= Optikersuche) mit aufnimmt und dadurch für Kunden sichtbar macht.

Der Partner erhält ein Fassungskontingent ohne Berechnung und Zugang zum Kalender und Bestellsystem. Marketingunterlagen, Schilder, Aufkleber, Flyer, um die Kooperation sichtbar zu machen, sind ebenso kostenlos. Kosten des Marketings, der Produkte und der Kundenakquise trägt brillen.de.

Der Partner erhält eine Umsatzprovision auf die Nettoumsätze der brillen.de-Aufträge.

brillen.de-Kunden müssen brillen.de-Produkte verkauft werden, mindestens die Gläser, Fassungen kann dieser Kunde auch vom Optiker beziehen. Der Partner kann die Zusammenarbeit jederzeit beenden – ohne Kosten oder Nachberechnungen.

FOCUS: Wie hat sich die Zusammenarbeit über die Jahre verändert?

Grahl: Jeder Partner hat die Möglichkeit, eine Exklusivpartnerschaft abzuschließen. Damit erhält er eine regionale Exklusivität (abhängig von der Einwohnerzahl), verpflichtet sich aber im Gegenzug, brillen.de als Hauptglaslieferanten zu nutzen. Ausgenommen sind Produkte, die nicht im brillen.de-Portfolio enthalten sind.

Die Erfolgsbeteiligung wurde von einem fixen Satz zu einer erfolgsabhängigen Provision geändert.

Wir unterstützen alle unsere Partner verstärkt bei der
notwendigen Digitalisierung, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Dazu werden wir künftig digitale Innovationen anbieten, die allen Optikern – auch außerhalb des brillen.de-Netzwerks – zugänglich sind und den Arbeitsalltag massiv erleichtern werden: von der Kundenverwaltung über die Abrechnung bis hin zu verkaufsfördernden Maßnahmen. Das alles als modulares System, ohne Kosten und Risiko über unsere Plattform OptiservX.

FOCUS: Warum verzichtete brillen.de auf Verträge mit seinen Partnern? Diese bieten ja für beide Seiten Sicherheit.

Grahl: Selbstverständlich hat jeder Partner einen Partnervertrag, der die Zusammenarbeit und die Provision regelt.

FOCUS: Wie viel Prozent erhält ein Teilanbieter beim Verkauf einer Brille bzw. einer Gleitsichtbrille?

Grahl: Es gibt keine Teilanbieter, jeder Partner erhält zu 100% Zugang zu allen Angeboten und Produkten. Die Provision ist erfolgsabhängig und ist in einem dem Vertrag anhängigen Provisionsplan geregelt.

FOCUS: Wie viel erhält ein Augenoptiker beim Verkauf einer 59 €-Gleitsichtbrille bzw. einer 9 €-Brille? Werden diese Brillen verkauft?

Grahl: Es gelten die gleichen Provisionssätze wie in der letzten Frage beschrieben. In den Geschäften erfolgt eine bedarfsgerechte Beratung, damit die Sehansprüche der
Kunden Berücksichtigung finden.

FOCUS: Wie sieht das Konzept hingegen bei einem Komplettanbieter aus?

Grahl: Wie bereits beschrieben, gibt es für alle Partner das gleiche Sortiment und alle Angebote gelten gleichermaßen. Auch in der Provisionierung gibt es keine Unterschiede.

FOCUS: Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen.

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