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75 Jahre WVAO

Fotos: Frank Sonnenberg

Weiterbildung öffnet Zukunftschancen

Vom 20. bis 21. April trafen sich 206 Fachreferenten, Industrievertreter und Praktiker endlich wieder analog zum Jubiläumskongress der WVAO und präsentierten aktuelle Erkenntnisse und ihr Wissen rund um die Themen Myopie-Management, Optometrie, Augenoptik und Augengesundheitsvorsorge.

Gerade werden 75 Jahre Grundgesetz in Deutschland gefeiert. Aber auch das Augenoptik-Handwerk formierte sich damals neu. Mittendrin die WVAO, die sich in Bonn-Bad Godesberg gründete. Für den Geschäftsführer Hartmut Glaser ist die Entwicklung der Augenoptik ohne die WVAO und ihre zukunftsorientierte Ausrichtung und Vision nicht denkbar. „Die WVAO hat durch ihre Weiterbildung den Gemeinschaftssinn geschärft und Weiterbildung als wesentlichen – fast selbstverständlichen – Bestandteil der Augenoptik und Optometrie und damit des Berufsstandes etabliert“, erklärt er. In den vergangenen 75 Jahren habe sich die ­Augenoptik auch dank neuer Technologie rasant verändert. „Wer hier den Anschluss versäumt hat, hat verloren. Durch die stetige Weiterbildung bleiben Augenoptik-Betriebe und ihre Mitarbeiter up to date, flexibel, können und konnten sich schnell an veränderte Anforderungen anpassen“, so der Geschäftsführer. „Schon zur Gründung im Jahre 1949 standen optometrische Themen und deren berufsständische Zielsetzung auf der Tagesordnung. Nur zur Erinnerung: Bereits 1992 gab es auf dem WVAO-Jahreskongress praxisorientierte Fachvorträge und eine begleitende Ausstellung zum Thema optometrische Dienstleistungen und Screenings.“ Er erinnerte zudem stolz an die vielen Spezialisierungen – Sehzentrum, Funktional­optometrie, Low Vision, Orthokeratologie, Gleitsicht+ und Kinderoptometrie – die nach einem Umzug in den 1960er Jahren nach Mainz hier entwickelt und für die Branche zu marktreifen Konzepten umgesetzt wurden. Hartmut Glaser sieht die WVAO dabei stolz als Trendsetter an. 

In Ihrer Eröffnungsrede zum Jubiläumskongress erinnerte Vera Pfeifer, die langjährige Vorsitzende der WVAO, an den Moment, als sich die WVAO in Bonn-Bad Godesberg gründete.

Jubiläumskongress mit großem Themenspektrum

Ein breites Spektrum an Themen aus Augenoptik, Optometrie und Ophthalmologie auf dem aktuellen Stand von Wissenschaft, Forschung und Praxis erwartete das Publikum.

Ein Urgestein der WVAO-Fortbildungsriege startete den Vortragsreigen am Samstag. Dieter Kalder (staatl. gepr. Augenoptiker und Augenoptikermeister, Ehrenmitglied der WVAO, Mörfelden) kam die Ehre zuteil, das Publikum durch die vergangenen 75 Jahre WVAO zu führen, einer Augenoptik im Wandel der Zeiten. Als Zeitzeuge hat er selbst 70 Jahre Augenoptik erlebt. Sein Blick fiel u.a. auf die Gründer und die Nachkriegsjahre, die Vereinigung der Vereine WVA (Wissenschaftliche Vereinigung der Augenoptiker) und DGO (Deutsche Gesellschaft für Optometrie). Doch 75 Jahre sind Dieter Kalder nicht genug. Er wagte noch den Blick in die Glaskugel, oder eher sein KI-Assistent wagte sie. Die Zukunft der traditionellen Augenoptiker könnte demnach von folgenden vier Entwicklungen beeinflusst werden: „Personalisierte Dienstleistungen, Integration von Technologie, Erweiterte Dienstleistungen im Gesundheitsbereich, Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung.“

Dieter Kalder blickte zurück auf 75 Jahre WVAO.

An den zwei Konferenztagen konnte das Publikum interdisziplinäre Wissenslücken aus dem Bereich der Ophthalmologie füllen, Potenziale in der Augenoptik entdecken aber auch miterleben, wie die Zukunft unserer Branche mit der zukünftigen KI-Entwicklung verbunden ist. Zwei weniger fachliche Vorträge stachen deswegen besonders heraus. 

Für Prof. Dr. med. Volker Busch (Universität zu Halle-Wittenberg & Universität Regensburg), Facharzt für Neurologie, ist der kluge Umgang mit psychischen und emotionalen Grundbedürfnissen hilfreich, um seine Mitmenschen, Mitarbeiter und sich selbst zu motivieren. Vier sogenannte „Basic Needs“ stehen bei ihm besonders im Mittelpunkt von „Motivation mit Herz und Hirn“: Lustgewinn, Orientierung, Verbundenheit und Autonomie. Schließlich ginge es darum, Freude an der Arbeit zu haben, aber auch Abwechslung zu bekommen und Neues zu entdecken und zu wagen. Dadurch würden Arbeitsmotivation und Leistungszuwachs erreicht mit einer großen Portion Zufriedenheit. 

Ein weiteres Highlight: Für Dr. Carl Naughton (promovierter Linguist, Top-100 Speaker, Studienautor des Zukunftsinstitutes und Hochschuldozent für Psychologie an der FOM/Frankfurt, Wiesbaden) ist die Anpassungs-Intelligenz die wichtigste Zukunftskompetenz. Wie gut ausgeprägt unser AQ ist – unser Anpassungsquotient – wird darüber bestimmen, wie gut wir uns im „New Normal“ zurechtfinden werden. Die gute Nachricht: Unser AQ ist wie ein Muskel, wir können ihn trainieren.

Neben den Vortragshighlights gab es ein kleines optisches Glanzlicht. Das setzte Moderator Fritz Paßmann an den zwei Kongresstagen. Dem Jubiläum angemessen führte er im Smoking gewohnt charmant und kompetent durch die zweitägige Veranstaltung. Sein Smoking saß an beiden Tagen perfekt. Sein Resümee: „Die Verantwortlichen wussten, dass es außergewöhnlich gut wird. Jedoch blieben die Teilnehmerzahlen hinter den Erwartungen zurück.“ Für ihn sind Weiterbildung, Seminare, Wissen auf der Höhe der Zeit wichtig. „Dennoch sollten wir uns über neue Formate Gedanken machen. Ist eine Präsenzveranstaltung noch zeitgemäß? Sind neue Formate notwendig?“

Einen Grund für die Kongressmüdigkeit hatte bereits Hartmut Glaser ausgemacht. Für ihn gab es einen Einschnitt im Weiterbildungsbereich in der Corona-Zeit. „Das Lernen und die Art und Weise, wie wir uns Fachwissen aneignen, haben sich zweifellos durch die Auswirkungen von Corona verändert“, erklärt er. „Die Pandemie zwang viele Bildungseinrichtungen und die Industrie dazu, auf virtuelle Lehr- und Lernmethoden umzusteigen, was zu einem verstärkten Einsatz von Online-Kursen, Videokonferenzen und digitalen Lernplattformen führte.“ 

Die Veränderungen hätten sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich gebracht. Zum Beispiel hätten viele Menschen die Flexibilität und den Komfort des Online-Lernens zu schätzen gelernt, wie auch das erfolgreiche WVAO-Wissensforum gezeigt hätte, während andere möglicherweise Schwierigkeiten mit der sozialen Isolation und dem Mangel an direktem Kontakt hatten. „Insgesamt hat die Pandemie jedoch den Einsatz digitaler Technologien im Bildungsbereich beschleunigt und neue Wege eröffnet, wie wir Fachwissen erwerben und austauschen können“, schließt Hartmut Glaser ab. 

Hartmut Glaser ist seit etwas mehr als vier Jahrzehnten in leitender Position bei der WVAO und seit dem 1. Oktober 1983 als Geschäftsführer tätig. FOCUS fragte ihn nach seinem Blick auf die Branche und die Zukunft der Fort- und Weiterbildung.

FOCUS: Sie arbeiten bereits seit Jahren engagiert für die WVAO. Was macht Ihnen am meisten Spaß oder was ist Ihr persönlicher Antrieb?

Glaser: Das Schönste für mich ist es, mit wissbegierigen und engagierten Menschen zusammenzuarbeiten, sie zu inspirieren und zu motivieren, damit sie ihren Beruf – Augenoptik und Optometrie – mit Freude und Begeisterung noch besser ausüben. Natürlich auch die Möglichkeit, meine ständige Neugier nach neuem Wissen zu stillen, mich selbst weiterzuentwickeln, von Anderen zu lernen, Ideen auszutauschen und gemeinsam am Puls der Zeit zu bleiben.

Meine persönliche Motivation ist ideeller Natur, einen positiven Beitrag dazu zu leisten, dass fehlsichtige Mitmenschen vom Kindesalter bis ins hohe Alter einen kompetenten Ansprechpartner finden, der ihnen die Teilhabe am Leben ermöglicht, erhält und ihnen bei der Bewältigung ihrer Sehprobleme hilft. Diese Zielsetzung gibt meinem Leben Sinn.

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FOCUS: Welche Ziele verfolgt die WVAO in der Zukunft?

Glaser: Die WVAO wird auch in Zukunft ihren Blick von der Tradition in die Moderne richten. Dazu gehört die Vertiefung des optometrischen Fachwissens im Berufsstand, die kontinuierliche Weiterentwicklung der Kompetenzen – Spezialisierungen – unter Einbeziehung modernster Technologien (Weiterentwicklung von Bildgebungsverfahren und Diagnosetechnologien) und die stärkere Integration in das Gesundheitssystem und von digitalen Gesundheitsplattformen, um die bestmögliche Versorgung von Menschen mit Sehproblemen zu gewährleisten. 

FOCUS: Die Seminare der WVAO sind auch in Online-Weiterbildungsplattformen vertreten. Sehen Sie einen stärker werdenden Wettbewerb zwischen Online-Seminaren und Analog-Veranstaltungen im Weiterbildungsbereich?

Glaser: Ja, definitiv. Online-Plattformen bieten oft mehr Flexibilität und Zugänglichkeit, da sie es den Lernenden ermöglichen, von überall aus zu lernen und ihren eigenen Zeitplan anzupassen. Dies kann traditionellen analogen Veranstaltungen Konkurrenz machen, die weniger flexibel sind, eine physische Anwesenheit und einen höheren finanziellen Aufwand erfordern.

Auf der anderen Seite bieten analoge Veranstaltungen eine persönlichere Erfahrung und die Möglichkeit, direkt mit Fachleuten zu interagieren, was für eine persönliche Weiterentwicklung meiner Meinung nach unersetzlich ist. Es liegt an den Lernenden, die für sie am besten geeignete Option auszuwählen, basierend auf ihren individuellen Bedürfnissen, Lernstilen und Zielen – und die WVAO bietet „beide Kanäle“ deshalb auch an.

FOCUS: Vor welchen Herausforderungen stehen die Branche und die WVAO im Moment? 

Glaser: Herausforderungen sind u.a. Fachkräftemangel und insbesondere der Verkauf von etablierten mittelständischen Betriebsstätten an „Filialketten“ ist eine Entwicklung, die es zu stoppen gilt. Dies wird sich negativ auf die Branche auswirken. 

Sowas verstärkt ein falsches Bild der Augenoptik nach außen – Stichwort Brillenverkäufer –, beeinträchtigt die Qualität der Dienstleistungen und die Motivation für die Weiterbildung und damit eine Weiterentwicklung des Berufsstandes. 

FOCUS: Was wünschen Sie sich für unseren Berufsstand?

Glaser: Für Augenoptiker und Optometristen wünsche ich mir die Anerkennung und Wertschätzung ihrer wichtigen Rolle im Gesundheitswesen. Die ausgebildeten Fachleute werden zunehmend eine bedeutende Funktion bei der Versorgung der Bevölkerung mit Sehhilfen und der Vorsorge und Erkennung von Augenkrankheiten einnehmen.

Darüber hinaus wäre es wünschenswert, dass der Berufsstand weiterhin von Fortschritten in der Technologie und Aus- und Weiterbildung profitiert und eine Weiterbildungspflicht postuliert, um die bestmögliche Versorgung für die Bevölkerung sicherzustellen. Dies könnte beispielsweise die Förderung von Spezialisierungen in Bereichen wie der optometrischen Beratung und Versorgung auf breiter Basis sicherstellen.

Eine enge Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen wie Augenärzten, Kinderärzten, Orthoptisten, Ergotherapeuten etc. könnte dazu beitragen, eine umfassende und koordinierte Versorgung für Patienten mit Sehproblemen zu gewährleisten.

FOCUS: Vielen Dank für das Gespräch.

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