Made in … wo?

Bild: Efstathios Efthimiadis x KI

Vor einigen Wochen habe ich eine Brillenglasproduktion in Deutschland besucht. Diese kann auf eine 80-jährige Tradition an diesem Standort verweisen. Manche der langjährigen Mitarbeiter haben hier bereits ihre Ausbildung gemacht und waren zum Zeitpunkt unseres Besuchs im letzten Viertel der beruflichen Karriere.

Zu beobachten war eine äußerst moderne Anlage mit automatisierter Fertigung in den allermeisten Schritten. Viele Mitarbeiter sind nicht nötig, um diese exzellente Produktion zu betreiben. Und jeder hier ist Experte auf seinem Gebiet. Brillengläser Made in Germany – auch wenn der Anbieter ein großes italienisch-französisches Unternehmen ist.*

Kurz nach dem Besuch erreicht uns die Meldung, dass ein anderer Hersteller, der ebenfalls noch vor gar nicht allzu langer Zeit stolz die moderne Produktion der FOCUS-Redaktion zeigte, nun verkündete, seine Fertigung komplett ins Ausland nach Tschechien zu verlagern. Am Standort in Langen liege der Fokus nun auf Vertrieb, Marketing und Produktmanagement. Die Mitarbeiterzahl sinkt hier von knapp 400 auf 130 Personen.

Damit steht Optovision in der Reihe zwei weiterer deutscher Traditionsunternehmen, die ihre Produktion kürzlich in Deutschland heruntergefahren bzw. komplett geschlossen haben, um – wie im Fall von Rodenstock, dem Optovision angehört – ebenfalls in Tschechien zu produzieren.

Auch in Aalen wurde im Oktober 2024 das Aus für einen großen Teil der Brillenglas-Fertigung auf der Schwäbischen Alb beschlossen. Obwohl die Zeiss-Mutter Spitzenwerte im Jahr 2024 erreicht hatte, streicht sie aufgrund der niedrigen Nachfrage bei Brillengläsern hier einen Großteil der Stellen. Alle drei Unternehmen kündigten zwar an, dies mit sozialverträglichen Plänen umsetzen zu wollen, doch ist es eine Absage an den Standort Deutschland.

Die Produktionen werden immer moderner, arbeiten effizient und kommen mit immer weniger Personen an den Linien aus, daher ist es schwer zu begreifen, warum eine moderne Fertigung mit einer vergleichsweise kleinen Mannschaft gezwungen ist, im Ausland zu produzieren.

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Es mag kurzfristig für Unternehmen bzw. deren Investoren effektiver sein, noch billiger im Ausland zu produzieren. Doch was kommt dann? Angesichts der aktuellen Lage ist dies zu knapp gedacht. Der Fachkräftemangel in Deutschland lässt grüßen. Auch wettbewerbsrelevante Technologien werden so ins Ausland verlagert, mitsamt dem ganzen Know-how.
Mit dieser Meinung stehe ich nicht allein da, denn auch der Verband der Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) warnt vor einem Wissensabfluss ins Ausland. In deren Umfrage, an der 400 Betriebe teilgenommen hatten, beklagten viele Unternehmen, dass auch die öffentlich finanzierte Wissenschaft zu freizügig mit dem in Deutschland generiertem Know-how umgehe. Trotz der international anerkannten Stärke Deutschlands im Maschinen- und Anlagenbau sowie in Forschung & Entwicklung führten eben diese Faktoren wie Fachkräftemangel, geringes Wagniskapital und zunehmende Bürokratie dazu, dass wertvolles Wissen ins Ausland abwandere.

Die Brillenglassparte mag im Vergleich zur Präzisionsoptik oder zu anderen Bereichen wie beispielsweise Maschinenbau verhältnismäßig klein sein, aber ich sehe das verständlicher­weise mit Tunnelblick für unsere Branche.

ZVA und Spectaris haben auf der Pressekonferenz Anfang des Jahres bestätigt, dass unsere Branche beim Umsatz vergleichsweise mit einem blauen Auge davongekommen ist. Ein dürres Plus von 1,8% haben die Augenoptiker hingelegt. Der Industrieverband Spectaris formulierte ein Plus von 1%.

Bei der Abkehr gleich mehrerer Brillenglashersteller von Deutschland kann man hier allerdings nicht von einem blauen Auge sprechen. Die allesentscheidende Frage wird sein, wohin die Reise geht, wenn sich der Trend fortsetzt. Selbst wenn die Hersteller nicht müde werden zu betonen, dass die dortige Fertigung zu 100% den eigenen Maßstäben entspreche, kann es doch verändern, wie wir das fertige Produkt am Ende des Tages bewerten. Und was die Endkunden davon halten werden, steht noch auf einem ganz anderen Blatt ­geschrieben.

*Alles zu diesem Besuch lesen Sie in Ausgabe 04 vom FOCUS

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